Göttlicher Sex
Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin widmet sich der religiösen und künstlerischen Auseinandersetzung im Judentum mit Sexualität. Von Sabine Lueken
Augen, Arme, Hände, Brüste, Penisse, Vulven, Hodensäcke, Tropfen von Körpersäften, Sperma, Blut, Schleim, alles gehäkelt aus Wolle, in Rosa, Weiß, Braun, Lila, Gelb und Rot, zu einem großen Ball geformt: Das »Tumtum« (Gil Yefman, 2023) wirkt fröhlich und harmlos, fast albern, aber es steckt mehr dahinter. In der Mischna, der Niederschrift der mündlichen Tora, ist das Tumtum eine Person, deren Geschlechtsorgane verborgen sind, anders als beim Androgynos, dessen Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist.
Bayerische Ermittlungen
Die Flugblattaffäre war für Hubert Aiwanger nach einer guten Woche überstanden. Ende August 2023 veröffentlichte die »Süddeutsche Zeitung« Auszüge aus dem Naziflugblatt, mit dem Hubert Aiwanger als Gymnasiast erwischt worden war, Anfang September erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Sache für erledigt, und Anfang Oktober legten Aiwangers Freie Wähler bei der Landtagswahl gut vier Prozent zu. Einen ehemaligen Lehrer, der seinerzeit Mitglied des Disziplinarausschusses war, der den Schüler Aiwanger milde davonkommen ließ, verfolgt der bayerische Staat dagegen immer noch.
Progregressiv
Es braucht keinen Uniabschluss, um gewisse Hirnverrenkungen der pro-palästinensischen Studentenbewegung zu erkennen. Die Gruppe Students for Palestine der FU Berlin etwa kritisierte den Aufruf »Fuck Islamismus – Antifa reunite« dafür, dass er den Islam mit Faschismus gleichsetze und also rassistisch sei. Gut, könnte man sich denken, wer nie, sagen wir, Verstehen mit Verständnis gleichgesetzt hat, steinige die erste Frau, und gerade die Studis sollten das Handwerk des Differenzierens schon noch lernen, indem sie den Meistern im Vorlesungssaal zuhören.
Vormarsch der Verrückten
Der rechte Flügel des Silicon Valley schlägt sich auf die Seite des Kandidaten Trump, aber der linksliberale ist auch nicht besser. Die Klassenposition haben sie gemeinsam. Von Dietmar Dath
Herrschende Klassen aller Räume und Zeiten setzen sich aus Gruselpersonal zusammen; das gilt stets, der Job verlangt’s. Was aber als Digitalbranchenkapital derzeit von den USA aus die Menschheit neu zu formatieren sucht, ist von besonderer Abscheulichkeit. Man kapiert das nicht erst bei der Lektüre der Ausschleimungen des Algorithmen-Mittelständlers und faschistischen Amateurphilosophen Curtis Yarvin alias Mencius Moldbug, den Donald Trumps designierter Vizepräsident J. D. Vance einen »persönlichen Freund« nennt.
Mehr Klassismus!
Der Begriff »Klassismus« bedeutet die Herabsetzung einer Person aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit. Das Problem an dem Begriff ist, dass er aus Ausbeutung eine Respektlosigkeit und aus Unterdrückung eine Diskriminierung macht. Bei der Lektüre von Marlen Hobracks munterem Büchlein Klassismus fallen noch zwei weitere Probleme auf: Ihn zu bekämpfen, drängt in die Defensive und verewigt die Verhältnisse.
Rechtspflege
Die Münchener Justiz im Kampf gegen Pazifisten und John Heartfield. Von Martin Knepper
München, März 2023: Auf einer öffentlichen Versammlung der Klimastreik-Bewegung verteilt Gaby G. Flyer mit der Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung der Gewerkschaft Verdi, bei der sie im Arbeitskreis gegen rechts aktiv ist. Nachgeordnete Vollzugsorgane, das heißt Polizisten, die bei dieser Veranstaltung anwesend sind, beschlagnahmen die Flyer unter Verweis auf Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs, der das »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen« ahndet.
Patridioten für Europa
Benjamin Horvath über die neue rechte Fraktion im EU-Parlament
Sie sind nicht mehr allein! Über drei Jahre irrten die Abgeordneten der ungarischen Fidesz ohne Fraktion und Parteifamilie im EU-Parlament umher. Immer wieder kamen Spekulationen über eine Zukunft bei den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) oder bei Identität und Demokratie (ID) auf, doch deren Chefinnen Meloni und Le Pen wollten sie dort nicht haben. Einen Tag vor Ungarns Übernahme der halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli gaben Herbert Kickl (FPÖ), Viktor Orbán (Fidesz) und Tschechiens Ex-Ministerpräsident Andrej Babiš (ANO) in Wien die Gründung der neuen Fraktion Patrioten für Europa (PfE) medienwirksam bekannt.
Ungeliebter Informant
Nach zwölf Jahren Haft und Isolation ist Julian Assange frei. Potentielle Whistleblower werden die Affäre als Warnung verstehen. Von Peter Kusenberg
Seit 2019 schmorte der Gründer der Medien-Organisation Wikileaks im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, zuvor hatte er beinahe sieben Jahre lang in der Botschaft Ecuadors verbracht, um nicht verhaftet und an die Sicherheitsbehörden der USA ausgeliefert zu werden, wo ihm höchstrichterlich eine lebenslange Haftstrafe drohte. »Genug ist genug«, meinte US-Präsident Joe Biden, und setzte sich dafür ein, dass Assange einem Deal zustimmte: Der Journalist bekannte sich in einem Anklagepunkt für schuldig, dafür wurde seine in England abgesessene Haftzeit mit der zu erwartenden US-Haft verrechnet.
Propagandastützpunkt Mayen
Im Kampf gegen russische Desinformation soll’s die Propagandatruppe der Bundeswehr richten. Von Daniel Lücking
Kriege und militärische Konflikte werden heutzutage nicht nur mit Panzern und Patronen geführt, sondern auch im Netz. Der Verteidigungsminister besucht deshalb den Bundeswehrstützpunkt im rheinland-pfälzischen Mayen. Die Soldaten dort sind auf die Kriegsführung mit Worten und Bildern spezialisiert.« So affirmativ moderierte die »Tagesschau«-Sprecherin den Besuch von Boris Pistorius (SPD) beim Zentrum für Operative Kommunikation am 16. April 2024 an. Ein Tross an Berichterstattern zeigt die Truppe, die mit Flugblättern, Radio- und TV-Sendungen und natürlich dem Internet in den »Informationskrieg« zieht. Der Gegner, der Desinformation betreibt, müsse mit eigenen Nachrichten bekämpft werden. Das erläutert der »Tagesschau«-Korrespondent vor einem Lastwagen, der mobile Studios oder Druckkabinen tragen kann, in die Kamera. Das Wetter in der Vordereifel setzt dem Kollegen zu, während ein Tarnnetz über seinem Kopf im Winde schwingt. »So ist das bei Liveschalten.«
Extrem normal
Im Osten ist die AfD inzwischen eine ganz normale Partei
Bereits nach den ersten Hochrechnungen zeichnete sich ab, dass die AfD bei den Europa- und den Kommunalwahlen reüssieren kann. In Sachsen liegt die AfD zehn Prozent vor der ewigen Staatspartei CDU unter Ministerpräsident Kretschmer. Selbst in Leipzig, von links gern als rote Insel tituliert, erreicht die AfD achtzehn Prozent. Das ist gemessen am Ergebnis der Partei im Landkreis Görlitz wenig. Dort holte die AfD vierzig Prozent.