Mehr Klassismus!

Der Begriff »Klassismus« bedeutet die Herabsetzung einer Person aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit. Das Problem an dem Begriff ist, dass er aus Ausbeutung eine Respektlosigkeit und aus Unterdrückung eine Diskriminierung macht. Bei der Lektüre von Marlen Hobracks munterem Büchlein Klassismus fallen noch zwei weitere Probleme auf: Ihn zu bekämpfen, drängt in die Defensive und verewigt die Verhältnisse.

Weiterlesen

Rechtspflege

Die Münchener Justiz im Kampf gegen Pazifisten und John Heartfield. Von Martin Knepper

München, März 2023: Auf einer öffentlichen Versammlung der Klimastreik-Bewegung verteilt Gaby G. Flyer mit der Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung der Gewerkschaft Verdi, bei der sie im Arbeitskreis gegen rechts aktiv ist. Nachgeordnete Vollzugsorgane, das heißt Polizisten, die bei dieser Veranstaltung anwesend sind, beschlagnahmen die Flyer unter Verweis auf Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs, der das »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen« ahndet.

Weiterlesen

Patridioten für Europa

Benjamin Horvath über die neue rechte Fraktion im EU-Parlament

Sie sind nicht mehr allein! Über drei Jahre irrten die Abgeordneten der ungarischen Fidesz ohne Fraktion und Parteifamilie im EU-Parlament umher. Immer wieder kamen Spekulationen über eine Zukunft bei den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) oder bei Identität und Demokratie (ID) auf, doch deren Chefinnen Meloni und Le Pen wollten sie dort nicht haben. Einen Tag vor Ungarns Übernahme der halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli gaben Herbert Kickl (FPÖ), Viktor Orbán (Fidesz) und Tschechiens Ex-Ministerpräsident Andrej Babiš (ANO) in Wien die Gründung der neuen Fraktion Patrioten für Europa (PfE) medienwirksam bekannt.

Weiterlesen

Ungeliebter Informant

Nach zwölf Jahren Haft und Isolation ist Julian Assange frei. Potentielle Whistleblower werden die Affäre als Warnung verstehen. Von Peter Kusenberg

Seit 2019 schmorte der Gründer der Medien-Organisation Wikileaks im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, zuvor hatte er beinahe sieben Jahre lang in der Botschaft Ecuadors verbracht, um nicht verhaftet und an die Sicherheitsbehörden der USA ausgeliefert zu werden, wo ihm höchstrichterlich eine lebenslange Haftstrafe drohte. »Genug ist genug«, meinte US-Präsident Joe Biden, und setzte sich dafür ein, dass Assange einem Deal zustimmte: Der Journalist bekannte sich in einem Anklagepunkt für schuldig, dafür wurde seine in England abgesessene Haftzeit mit der zu erwartenden US-Haft verrechnet.

Weiterlesen

Propagandastützpunkt Mayen

Im Kampf gegen russische Desinformation soll’s die Propagandatruppe der Bundeswehr richten. Von Daniel Lücking

Kriege und militärische Konflikte werden heutzutage nicht nur mit Panzern und Patronen geführt, sondern auch im Netz. Der Verteidigungsminister besucht deshalb den Bundeswehrstützpunkt im rheinland-pfälzischen Mayen. Die Soldaten dort sind auf die Kriegsführung mit Worten und Bildern spezialisiert.« So affirmativ moderierte die »Tagesschau«-Sprecherin den Besuch von Boris Pistorius (SPD) beim Zentrum für Operative Kommunikation am 16. April 2024 an. Ein Tross an Berichterstattern zeigt die Truppe, die mit Flugblättern, Radio- und TV-Sendungen und natürlich dem Internet in den »Informationskrieg« zieht. Der Gegner, der Desinformation betreibt, müsse mit eigenen Nachrichten bekämpft werden. Das erläutert der »Tagesschau«-Korrespondent vor einem Lastwagen, der mobile Studios oder Druckkabinen tragen kann, in die Kamera. Das Wetter in der Vordereifel setzt dem Kollegen zu, während ein Tarnnetz über seinem Kopf im Winde schwingt. »So ist das bei Liveschalten.«

Weiterlesen

Extrem normal

Im Osten ist die AfD inzwischen eine ganz normale Partei

Bereits nach den ersten Hochrechnungen zeichnete sich ab, dass die AfD bei den Europa- und den Kommunalwahlen reüssieren kann. In Sachsen liegt die AfD zehn Prozent vor der ewigen Staatspartei CDU unter Ministerpräsident Kretschmer. Selbst in Leipzig, von links gern als rote Insel tituliert, erreicht die AfD achtzehn Prozent. Das ist gemessen am Ergebnis der Partei im Landkreis Görlitz wenig. Dort holte die AfD vierzig Prozent.

Weiterlesen

Voll verstrahlt

Dass die Asse II für die Lagerung radioaktiven Mülls ungeeignet ist, war schon vor ihrer Inbetriebnahme bekannt. Nun droht die Schachtanlage abzusaufen. Von Werner Heine

Mitte Mai war es mal wieder so weit. Der »Spiegel« meldete einen Wassereinbruch im ehemaligen Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel, das 1967 als Versuchsendlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll eingerichtet wurde. Verteilt auf dreizehn Kammern im Salzgestein, lagern dort in 750 Metern Tiefe 126.000 Metallfässer mit dem nuklearen Abfall aus den frühen Jahren der deutschen Atomwirtschaft – Material aus den Forschungsreaktoren in Jülich und Karlsruhe. Nun ist Wasser in der Asse alles andere als eine Sensation. Es bildeten sich immer wieder Pfützen, anfangs bis zu 700 Liter pro Tag, und seit 1988 müssen täglich rund zwölf Kubikmeter Salzlösung aufgefangen werden, Wasser, das durch die Spalten und Risse des Deckgebirges und durch den Salzmantel dringt und dabei auch den Carnallit auswäscht, ein Mineralgestein aus Kalium- und Magnesiumchlorid, das dadurch seine Festigkeit verliert.

Weiterlesen

DER LETZTE DRECK 7/24

Oliver Pocher. »Liebeskasper«

Jaaaaa, die Liebe! Schön, wenn sie erwidert wird. Scheiße, wenn nicht. Sie lässt uns auf den höchsten Wolken tanzen und in die tiefsten Abgründe stürzen. Love hurts. Schlimmer noch: »Love is a catastrophe!« spratzt der marxistische Zyniker Slavoj Žižek in einer seiner repetitiven Anekdoten in die Gesichter seiner faszinierten Gegenüber. »It’s a crazy illness. Love ruins your life.« Andererseits sei er aber auch »very sad«, wenn er »not in love« sei. Eben schwierig, das mit den Gefühlen. Vor allem für die armen Männer. Das sagt zumindest die Kriminalstatistik: Fast jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner, eine Frau zu töten. Jeden dritten Tag gelingt das auch.

Weiterlesen

Hin und weg

Thomas Schaefer über die Wiederauferstehung des Palasts der Republik im Humboldt-Forum

Ein Zyniker ist laut Ambrose Bierce (den man ja auch mal wieder zitieren kann) ein »Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten«. Und ein Narr ist entsprechend, wer Böses dabei denkt, wenn er zur Kenntnis nehmen muss, was die Stiftung Humboldt Forum in dem, unter rührendem Engagement auch rechter Personen, wieder erbauten Berliner Stadtschloss veranstaltet.

Weiterlesen

Mit maximaler Stärke

Oliver Kahn klebt wieder im Tor, Nancy Faeser markiert die Abwehrchefin, und Jessy Wellmer wurde ausgewechselt. Außerdem hat die Uefa sich in nur zwölf Monaten zehn Stadionnamen ausgedacht. Von Cornelius W. M. Oettle

Kurz nach den Europawahlen beginnt das wichtigste europäische Ereignis des Jahres: Vom 14. Juni bis zum 14. Juli will sich Gastgeber Deutschland bei der Herrenfußballeuropameisterschaft von seiner besten Seite zeigen. Was nicht einfach wird: Im »Expat Insider«, der sich regelmäßig nach den Arbeits- und Lebensbedingungen von Ausländern erkundigt, rangiert Deutschland auf Platz 49 von 53. Besonders, wenn auch nicht besonders überraschend, schlecht schneidet die BRD in den Kategorien »Local Friendliness«, »Finding Friends« und »Culture & Welcome« ab. Aber gut, die Fußballfans empfangen wir sicher netter. Da weiß man ja: Die gehen wieder.

Weiterlesen