Israel. Deutschland. Zwei Staaten. Keine Lösung.
Am 22. und 23. Februar 2014 hat konkret im Hamburger Polittbüro eine Tagung zur Lage Israels im Kontext des sogenannten Nahostkonflikts durchgeführt. Zum Abschluß der Tagung diskutierten – moderiert von Hermann Gremliza – Jutta Schwerin, Micha Brumlik, Stephan Grigat und Thomas Ebermann vor 200 Besucherinnen und Besuchern. konkret dokumentierte Auszüge der Debatte in zwei Teilen (in konkret 04/14 und 5/14)
Gremliza: Wir haben verabredet, daß jeder, der hier oben sitzt: Jutta Schwerin, Micha Brumlik, Stephan Grigat und Thomas Ebermann, vor Beginn der Diskussion Zeit haben soll, seine Haltung zum Gegenstand der folgenden Diskussion etwas ausführlicher darzustellen. Es beginnt Jutta Schwerin.
Schwerin: Wenn ich heute noch in Israel lebte und dort täglich Zeitung lesen oder Radio hören würde, dann müßte ich mich jeden Tag über die Dinge aufregen, die dort vorkommen: rassistische Äußerungen gegen Araber, gegen äthiopische Juden und afrikanische Flüchtlinge, autoritäre Rabbiner, die anderen ihre Lebensweise aufzwingen, und all die täglichen Schrecklichkeiten der Besatzung. Weil ich aber in Deutschland lebe, kritisiere ich Israel nicht mehr, oder jedenfalls nur sehr milde. Warum? Weil ich befürchten muß, daß ich sofort lautstarken oder auch nur laut schweigenden Beifall von der falschen Seite bekomme, und den möchte ich mir ersparen. Ich habe nach vielen Jahren in Deutschland gelernt, dass hier noch sehr viele Leute rumlaufen, die versuchen, den Antisemitismus ihrer Vorfahren mit Hilfe der Schlechtigkeit der Israelis mindestens zu verstehen. Ich möchte nicht Wasser auf die Mühlen dieser Leute kippen.
Wenn der eine oder andere linke Israeli das nun doch tut und zum Beispiel in einem kleinen alternativen Radio im Schwarzwald über Rabbiner in Israel herzieht, die seiner Meinung nach rassistisch sind, dann halte ich das für eine große Dummheit, die vermutlich daher rührt, daß dieser Mann hier nicht integriert ist und nicht weiß, auf was für einen Boden seine Kritik fällt … Aber deswegen ist Moshe Zuckermann noch lange kein Antisemit.
Die israelische Linke steht seit Jahrzehnten in einem zähen und mutigen Kampf gegen den Krieg und gegen die Unterdrückung der Besiegten in diesem Krieg. Keine einzige Person aus diesem Kreis hat es verdient, von deutschen Besserwissern als Antisemit betitelt zu werden. Leider hat konkret in der Januar-Ausgabe dieses Jahres wieder einen häßlichen Höhepunkt gesetzt: Uri Avnery, eines der mutigsten Mitglieder der israelischen Friedensbewegung, wurde dort als Antisemit bezeichnet. Das hättet ihr nicht zulassen dürfen. Uri Avnery weiß, was Krieg ist, er ist 1948 im Kampf für den jüdischen Staat zweimal schwer verletzt worden, und dabei hat er ganz nebenbei auch mein eigenes kleines Leben verteidigt. Ich möchte nicht Gast sein bei konkret, ohne gegen die Beschimpfung von Uri Avnery als Antisemit zu protestieren.
Abgesehen davon – wenn Menschen wie Zuckermann und Avnery als Antisemiten bezeichnet werden, ist das ein unglaublich inflationärer Umgang mit diesem Begriff. Wenn Zuckermann und Avnery Antisemiten sind, muß sich doch Jakob Augstein denken, daß es gar nicht besonders schlimm ist, Antisemit zu sein.
Über den Konflikt Israel – Palästina kursieren innerhalb der deutschen Linken zwei falsche Deutungen. Die erste besagt, daß die Juden palästinensisches Land kolonisiert haben, Palästinenser/innen sich im verzweifelten Widerstand befinden und deshalb Anspruch auf die Solidarität der deutschen Linken hätten. Die anderen behaupten, der Kampf der vorwiegend muslimischen Araber sei antisemitisch motiviert und nichts als die Fortsetzung der Jahrhunderte alten Feindseligkeit gegen das jüdische Volk, und Deutsche müßten sich deswegen ausschließlich und vollständig mit Israel solidarisieren.
Ich halte beide Deutungen für falsch. In der Region Israel/Palästina kämpfen zwei nationalistische Bewegungen um ein und dasselbe Land. Nicht zwei Völker kämpfen gegeneinander – die hätten lieber ihre Ruhe – , sondern zwei Bewegungen, die jeweils von Personen und Gruppen geleitet werden, die sich ausschließlich über diesen Kampf definieren und durch ihn allein existieren, Führungscliquen, die ihr ganzes Selbstbewußtsein aus diesem Konflikt ziehen. Ohne den Konflikt wären sie verloren. Auf der arabischen Seite sind das Hamas und Dschihad et cetera. Auf der israelischen Seite die Siedlerbewegung und die jetzige israelische Regierung. Hinzu kommen fremde Regierungen, der Iran und einige arabische Länder, die aus propagandistischen Gründen diesen Krieg schüren, und die amerikanische und europäische Waffenindustrie, die viel Geld daran verdient. Das sind die wahren Akteure in diesem Konflikt, wobei die Führungscliquen auf beiden Seiten die Hauptrolle spielen und sich gegenseitig in die Hände arbeiten.
Als Linke haben wir nicht die Möglichkeit, uns moralisch auf die eine oder die andere Seite zu stellen. Keine Seite ist besser als die andere. Wir haben auch nicht die Möglichkeit, uns moralisch auf die Seite von einem der beiden Völker zu stellen. Beide haben gleichermaßen das Recht, dort zu leben.
Auch daß Palästinenserinnen und Palästinenser die Schwächeren sind und wesentlich mehr Opfer zu beklagen haben, ermutigt mich nicht, sie politisch zu unterstützen, weil ich weiß: Auch das palästinensische Volk hört auf seine Führungscliquen, und wenn die die Stärkeren wären, würden sie mit den Israelis schlimmer umgehen, als die Israelis es mit ihnen tun.
1947, als das Land von der Uno zwischen Arabern und Juden geteilt wurde, hätte man sich einigen können. Weil die Landkarte, die am grünen Tisch gezeichnet wurde, völlig idiotisch war, hätte man Tauschgeschäfte über Gebiete verhandeln können, wenn auf beiden Seiten andere Personen das Sagen gehabt hätten. Auf der israelischen Seite zum Beispiel Martin Buber und auf der arabischen Tufik Tubi oder Emil Habibi. Statt dessen haben sich auf beiden Seiten die kriegstreibenden Cliquen durchgesetzt, und am Ende gab es die Grenzen von 1948. Das waren keine schlechten Grenzen. Immerhin gab es zwischen 1957, nach dem Sinai-Krieg, und 1967 zehn Jahre lang keinen Krieg an dieser Grenze. Es hätte dabei bleiben können, wenn sich nicht wiederum auf beiden Seiten die Falschen durchgesetzt und den Krieg von 1967 angezettelt hätten. Die Israelis haben Ägypten angegriffen und Jordanien Israel. Das haben wiederum nicht die Völker durchgesetzt, sondern kleine Führungscliquen. Über 50 Prozent der israelischen Regierung waren gegen diesen Krieg, es wurde wochenlang diskutiert, am Ende hat sich eine kleine Gruppe von jungdynamischen Generälen durchgesetzt. Auf der jordanischen Seite sagte König Hussein später, er habe von dem Angriff auf Israel gar nichts gewußt, und ich neige dazu, ihm zu glauben …
Ich bin pessimistisch. Es sieht überhaupt nicht nach Frieden aus. Die führenden Cliquen sind nicht friedlicher, sondern aggressiver geworden, und ich fürchte, daß es in absehbarer Zeit keinen Frieden geben wird, sondern im allerbesten Fall ein bißchen weniger Krieg, ein bißchen weniger Grausamkeiten.
Brumlik: Wenn es wirklich so ist, daß Uri Avnery als Antisemit bezeichnet wurde – das geht einfach nicht.
Gremliza: Kann es jüdischen Antisemitismus, antisemitische oder antijüdische Juden geben? Es gibt antideutsche Deutsche, mich zum Beispiel, warum also nicht jüdische Antisemiten? Ich halte die Politik dieser Leute für illusionär, für falsch, für dumm – antisemitisch kann ich sie nicht nennen. Als Nichtjude, der mit einem deutschen Paß reist, sehe ich mich zu einem solchen Urteil nicht legitimiert. Daß das in der Januarausgabe von konkret in bezug auf Avnery geschehen ist, bedaure ich.
Brumlik: Als 1967 das Westjordanland besetzt wurde, war der Staat Israel 20 Jahre alt. Seit nun fast fünfzig Jahren hält Israel das Westjordanland besetzt – am Anfang noch militärisch halbwegs rational, als die Regierungen der Arbeiterpartei in der Jordansenke einen Sicherheitskordon einziehen wollten; dann aber, nach dem Sieg der rechtsnationalen Likud-Partei von Menachem Begin und insbesondere unter dem Einfluß der Nationalreligiösen, wurde das Westjordanland von einem strategischen Terrain zu einem religiös-fundamentalistischen Selbstzweck. Dieselben Regierungen, die das Westjordanland besiedelt haben, haben mit den Resten von Gewerkschaft, Sozialismus und Kibbuzim radikal Schluß gemacht. Das gibt es alles nicht mehr. Jetzt wird das Westjordanland besiedelt, und zwar durch Häuserblöcke, die als strategische Riegel dienen können, deren Bewohner aber auch, da hat Martin Schulz, der Präsident des Europa-Parlaments, recht, in einer Weise dort produzieren und siedeln und Böden bewässern, die die Entwicklung einer eigenständigen palästinensischen Wirtschaft verhindert.
Seit Jahren wird wie ein Mantra aufgesagt: Zwei-Staaten-Lösung, Zwei-Staaten-Lösung, Zwei-Staaten-Lösung. Ich bin nicht mehr davon überzeugt, daß es je zu einer solchen Lösung kommen wird. Woran das liegt, ist unter politischen Auspizien relativ egal – es ist wie in der systemischen Familientherapie: Der Mann geht jeden Abend in die Kneipe. Warum? Weil die Frau so unfreundlich ist. Warum? Weil der Mann jeden Abend in die Kneipe geht. Gesiedelt werden muß, weil die Palästinenser nicht friedenswillig sind, die Palästinenser sind nicht friedenswillig, weil gesiedelt wird.
Mit jeder Wohnungsbaugenehmigung in Ostjerusalem, mit jeder wilden Siedlung schwindet die Chance auf eine Zwei-Staaten-Lösung. Was dann? Dann hat man es mit dem demokratiepolitischen Problem zu tun, Millionen Palästinenser als Bürger zweiter Klasse irgendwie beherrschen zu müssen. Die dürfen ihre Bürgermeister selbst wählen, eine israelische Staatsangehörigkeit werden sie wahrscheinlich nicht bekommen.
Martin Buber, ein jüdischer Intellektueller, ein Sozialist, hat 1947 geschrieben: »Was jedes der beiden in Palästina nebeneinander- und durcheinanderlebenden Völker tatsächlich braucht, ist Selbstbestimmung, Autonomie, freie Entscheidungsmöglichkeit. Das bedeutet aber keineswegs, daß es einen Staat braucht, den es dominiert. Die arabische Bevölkerung braucht zur freien Entfaltung ihrer Kräfte keinen arabischen Staat, und die jüdische braucht zur freien Entfaltung der ihren keinen jüdischen. Beides kann in einem binationalen Gemeinwesen gewährleistet werden, in dem jedes Volk seine spezifischen Angelegenheiten verwaltet und beide ihre gemeinsamen … Ein binationales Gemeinwesen mit möglichst abgegrenzten Siedlungsbezirken und zugleich mit möglichst weitgehender wirtschaftlicher Kooperation, mit vollkommener Gleichberechtigung beider Partner ohne Rücksicht auf die jeweilige zahlenmäßige Proportion und mit einer auf diesen Voraussetzungen aufgebauten gemeinschaftlichen Souveränität würde beiden Völkern das geben, was sie wirklich brauchen.«
Vielleicht siegt ja eine merkwürdige List der Vernunft, indem die inzwischen bald 50 Jahre währende Besetzung des Westjordanlands durch den Staat Israel so etwas in absehbarer Zeit erzwingen wird, wenn man es nicht auf Dauer mit einer wachsenden arabischen Bevölkerung mit sekundären Rechten zu tun haben will, was früher oder später mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Form von Intifada führen wird, wie wir sie noch nicht gekannt haben. Hier könnte die EU mal etwas Sinnvolles tun und einen solchen im Entstehen begriffenen binationalen Staat als Mitglied begrüßen, wenn es denn soweit ist.
Grigat: Für die deutschen Medien liegt die Lösung des Nahostproblems, wie es immer genannt wird, allein an Israel. Auch in konkret fragte Hermann Gremliza im Jahr 2000 vorwurfsvoll: Ob Israels Politik denn gar nichts einfällt, die Zahl ihrer Feinde zu reduzieren? Dagegen möchte ich in Erinnerung rufen, daß eines der Kernprobleme des Nahostkonflikts nicht in der Hand Israels liegt. Keine Regierung in Jerusalem, sei sie links, rechts, Zentrum oder wie auch immer, kann die arabische und islamische Welt dazu zwingen, den jüdischen Staat zu akzeptieren und von ihren antisemitischen Obsessionen zu lassen. Dazu bedarf es fundamentaler Änderungen in den arabischen und islamischen Gesellschaften. Bis die eingetreten sind, bleibt Israel nur das Vertrauen auf seine militärische Schlagkraft und etwas, das ich Verwaltung der Misere, Verwaltung des Dilemmas nennen würde.
Wenn das einigermaßen gelingt, hieße das: relative Sicherheit für Israel und möglichst wenig Opfer auf beiden Seiten. Die von Brumlik vorgeschlagene Rückbesinnung auf die Ideen Martin Bubers und der Vorschlag der Transformation des jüdischen Staates in einen binationalen, die neulich auch Judith Butler in die Diskussion gebracht hat, bedeutet eine Absage an den revolutionären Kern des Zionismus, der in der Organisierung eines bewaffneten Kollektivs zur Selbstverteidigung gegen den Antisemitismus besteht.
In gewisser Weise hat sich dadurch, daß nun der Beitrag »Plan B« von Brumlik in konkret erschienen ist, etwas in der Diskussion verschoben. Bis dahin war es Konsens, daß Zeitschriften wie konkret keine Beiträge veröffentlichen, die auf die Abschaffung Israels hinauslaufen. So habe ich Brumliks Text aber verstanden. Für seine Absage an den revolutionären Kern des Zionismus ist es notwendig, in entscheidenden Situationen vom Antisemitismus zu abstrahieren. Dieses Abstrahieren vom Antisemitismus ist geradezu die Geschäftsgrundlage für die radikale Linke auch in Israel, sowohl historisch als auch aktuell. Ohne die Ignoranz gegenüber dem Antisemitismus im arabischen und islamischen Raum könnten sie nicht an ihren Konzepten festhalten. Das ist auch das Problem bei jemandem wie Uri Avnery. Die Bezeichnung Antisemit halte auch ich für unangemessen, aber Avnery hat in fast allen seinen Schriften zur Verharmlosung des Antisemitismus beigetragen.
Brumlik hat bereits 2008 in Buchform eine Kritik des Zionismus vorgelegt, die den Zionismus, jene notwendigerweise nationale und gezwungenermaßen partikularistische Emanzipationsbewegung, gleichzeitig attackiert und für ihn Partei ergreift. Das Verständnis, das er dem Zionismus als Selbstverteidigung gegenüber dem Antisemitismus dort durchaus noch entgegenbringt, wird allerdings wiederum konterkariert durch Forderungen, deren Umsetzung von dieser Funktion nicht mehr viel übriglassen würden. Er empfahl unter anderem die Integration Israels in die Europäische Union, die bei ihm als ein »Israel freundlich gesonnenes Staatenbündnis« firmiert. Was im Vergleich zur Arabischen Liga oder der Organisation der Islamischen Konferenz vielleicht gerade noch stimmen mag.
Doch während Brumlik in Krise des Zionismus noch in aller Deutlichkeit die Bedrohung Israels durch Hamas, die Hisbollah und vor allem auch das iranische Regime betont und deshalb bei all seiner Kritik an den verschiedenen Ausformungen des Zionismus um seine Legitimität als militärische Rückversicherung gegenüber dem Antisemitismus weiß, ist in seinem in konkret publizierten Plädoyer für einen binationalen Staat davon keine Rede mehr. Wenn es um die israelische Präsenz in der Westbank geht, darf der aktuelle Antisemitismus offenbar nicht thematisiert werden.
Anfang der neunziger Jahre hatte die Mehrheit der israelischen Gesellschaft gehofft, daß Veränderungen in den arabischen und islamischen Gesellschaften entweder schon stattgefunden hätten, oder aber daß man eine dauerhafte Aussöhnung auch ohne sie erreichen könne. Das war die Grundhaltung von Shimon Peres und Yitzhak Rabin, die dazu geführt hat, daß sie Verhandlungen mit Arafat aufgenommen haben.
Aus der Dringlichkeit, angesichts heraufdämmernder existentieller Gefahren wie dem bereits Anfang der neunziger Jahre absehbaren iranischen Atomprogramm mit den unmittelbaren Nachbarn Frieden zu schließen, wurde die Möglichkeit gefolgert, das auch tun zu können. Aus der Notwendigkeit eines Kompromisses schloß man auf die Chance, ihn auch erreichen zu können. Es war, als hätten sich Rabin und Peres, ganz ähnlich wie Brumlik, die ebenso alte wie ja sehr sympathische, aber eben grundfalsche und deshalb gefährliche Maxime zu eigen gemacht, den Nahostkonflikt zu behandeln, als gäbe es keinen Antisemitismus, und den Antisemitismus, als gäbe es keinen Nahostkonflikt.
Rabin war der erste Premierminister, der von seinen Geheimdiensten die Nachricht bekommen hat, daß das iranische Regime ein Nuklearwaffenprogramm hat und dafür noch ungefähr 15 Jahre brauchen wird. Er hat darauf mit drei Maßnahmen reagiert, die auch für die heutige Diskussion wichtig sind. Er hat zum einen diesen Friedensprozeß angeleiert, aus der Vorstellung heraus, man müsse den, wie er es nannte, inneren Gefahrenkreis – also die Konfrontation mit den unmittelbaren Nachbarn – irgendwie in den Griff bekommen, um sich dem äußeren Gefahrenkreis, der iranischen Bedrohung, angemessen widmen zu können. Als guter Zionist ist er davon ausgegangen, daß das alles sehr schlecht ausgeht, deshalb hat er bereits damals die Anschaffung von Langstreckenbombern angeordnet, die gegebenenfalls in der Lage sein sollten, dem iranischen Atomprogramm militärisch einen Strich durch die Rechnung zu machen. Und drittens hat er die Gesandten Israels in aller Welt aufgefordert, für eine scharfe Sanktionspolitik gegenüber diesem Regime einzutreten, um die eben auch für Israel wahnsinnig riskante militärische Option möglichst nicht Wirklichkeit werden zu lassen.
Diese Rechnung ist nur in einem Punkt aufgegangen. 1994 kommt es zum Friedensschluß mit Jordanien. In allen anderen Punkten hat das nicht funktioniert, und Israel sieht sich heute mit dieser iranischen Bedrohung, insbesondere seit der Wahl des dauerlächelnden Rohani und dem fatalen Abkommen von Genf, mehr oder weniger allein gelassen. Das Ergebnis dieses sogenannten Friedensprozesses war eben keine Aussöhnung, kein Kompromiß, sondern die zweite Intifada mit rund 20.000 Anschlägen, über tausend ermordeten und rund 7.000 verletzten Israelis.
Die zentrale Frage lautet nicht, ob Juden Häuser in der Westbank bauen, so wichtig und kompliziert diese Siedlungsfrage, über die hierzulande ja geradezu obsessiv diskutiert wird, auch ist. Sondern die zentrale Frage ist, ob jener für den Nahen Osten so typische Mechanismus durchbrochen werden kann, bei dem die innergesellschaftlichen und durch den Weltmarkt evozierten Widersprüche, die ja auch durch den Sturz von Mubarak nicht einfach verschwunden sind, stets in hemmungslose Aggression gegen den jüdischen Staat transformiert werden. Es gibt wenig Anzeichen, daß das in absehbarer Zeit gelingen kann.
Nun sollte das gerade nicht zum Anlaß genommen werden, den Zionismus als nationalstaatlich organisierte jüdische Selbstverteidigung zu attackieren, sondern ihn gegen jegliche Angriffe zu verteidigen. Es gibt unter den gegebenen Umständen keine »Lösung« des Nahostkonflikts, denn diese würde bedeuten, den Antisemitismus aus der Welt zu schaffen. Auch für die zionistische Linke gilt, daß die verständliche Sehnsucht nach Frieden stets die Gefahr in sich birgt, dem Antisemitismus Konzessionen zu machen.
Die Aufrechterhaltung der Besatzung des Westjordanlands bringt zahlreiche Gefahren für die israelische Gesellschaft und den israelischen Staat mit sich. Ich denke, ein Rückzug wäre weiterhin möglich und würde, anders als Brumlik in seinem KONKRET-Beitrag suggeriert, von der Mehrheit der Israelis unterstützt, wenn sie dafür einen Frieden in Sicherheit erhalten.
Es wird immer wieder zu Recht auf die demographische Entwicklung verwiesen. Es ist jedoch falsch, darin die Gefahr einer Selbstzerstörung der israelischen Gesellschaft zu sehen, wie es viele antizionistische, aber auch einige explizit zionistische Linke tun. Ein Paradebeispiel dafür ist Gershom Gorenbergs Buch mit dem im Deutschen fürchterlichen Titel Israel schafft sich ab, auf das Brumlik sich geradezu euphorisch bezieht. Allerdings geht es dem im Gegensatz zu Brumlik linkszionistischen Gorenberg um eine Reformulierung des zionistischen Grundgedankens. Er wendet sich nachdrücklich gegen jede Form einer Einstaatenlösung. Gorenberg betont, daß Israel auch bei einem Rückzug aus der Westbank nicht darauf verzichten muß, sich als jüdischer Staat zu definieren. Er will beispielsweise die Armee unter jüdischer Hegemonie belassen, während Brumlik eine, wie es in seinem Beitrag heißt, einheitliche Armee eines zukünftigen arabisch-israelischen Staates fordert.
Gorenberg verteidigt auch das Rückkehrgesetz des israelischen Staates, das jedem Juden die Einwanderung nach Israel garantiert. Brumliks Absage an diese Essenz des Zionismus drückt sich in der Forderung aus, Einwanderung in ein zukünftiges binationales Staatswesen solle »nur nach arbeitsmarktspezifischen beziehungsweise humanitären Gesichtspunkten geregelt werden, nicht mehr nach ethnischen Kriterien«. Schon in Krise des Zionismus forderte Brumlik vom Diaspora-Judentum, es »sollte sich den Verzicht auf das israelische Rückehrrecht abverlangen«, betonte dort aber doch, daß, wie er es nennt, »die schlichte Selbstbehauptungsvariante des Zionismus« nach wie vor gewichtige Argumente für sich hat. Nun aber richtet er sich mit den Vorstellungen Martin Bubers gegen diese Selbstbehauptungsvariante, die den Kern eines jeden Zionismus ausmacht.
Auch aus zionistischer Perspektive gibt es zahlreiche Gründe, einen Rückzug aus den besetzten Gebieten zu befürworten – aber, und das wird in der deutschsprachigen Diskussion kaum zur Kenntnis genommen, ebenso viele, die dagegen sprechen. Jeder Befürworter einer Beendigung der Besatzung muß die Frage beantworten, was geschehen soll, wenn solch ein Schritt nicht die Beendigung des Konflikts bedeutet. Was tun, wenn ein palästinensischer Staat nur als Basis verwendet würde, um den Krieg zur ›Befreiung ganz Palästinas‹ unter besseren Bedingungen fortzuführen?
Ebermann: Der Gründungsakt der antideutschen Linken fand irgendwie in konkret statt, wer wollte das bezweifeln. In diesen Gründungsakt geht etwas ein: das Eingeständnis der Wirkohnmächtigkeit der Gesellschaftskritik heute. Das hat Marcuse so ungefähr fünf Seiten vor Schluß von Der eindimensionale Mensch formuliert. Diese Ohnmächtigkeit hat einen anderen Begriff in ein anderes Recht gesetzt: Das »Es kommt nicht darauf an, die Welt zu interpretieren« hat einen anderen Klang gekriegt: Wenn wir wenigstens das könnten, wären wir ganz schön weit.
Wenn ich die Welt betrachte, sehe ich überall den Kampf des Falschen gegen das Falsche: ägyptische Militärdiktatur gegen Muslimbrüder, Putin gegen Chodorkowski, ukrainische Machthaber gegen die mit Nazis durchsetzte Opposition, syrisches Regime gegen islamistische Rebellen, der mit dem Iran verbündete Maliki des Irak gegen die schreckliche sunnitische Opposition, Karsai und andere Warlords gemeinsam mit Oberst Klein gegen die Taliban und natürlich die Leute, die heute in Libyen, so wunderbar von den USA und Frankreich und Katar an die Macht gebombt, ganz schön viel Unheil und Brutalität anrichten.
In einer Welt, in der das Falsche gegen das Falsche kämpft, sehe ich eine herausragende Ausnahme, und diese Ausnahme ist der Kampf Israels gegen seine Feinde. In einer Welt, in der oft – und das ist für mich etwas Neues – der Wahn über das Kalkül, über die staatliche, imperialistische, ökonomische Rationalität triumphiert, ist Israel ganz besonders gefährdet. Der höchste ideologische Wunsch der Deutschen, die durch die Wiedervereinigung gewonnene neue Unbefangenheit, das Erwachsenwerden, das Endlich-mal-sagen-Können auszuleben, ist eine offensive Politik gegen Israel. Das spiegelt sich nicht nur in dem Auftritt von Martin Schulz in der Knesset. Die »Süddeutsche Zeitung«, das Organ für Leute, die sich für Linksintellektuelle halten – Selbstbetrug ist in Deutschland weitverbreitet – , kämpft für die Legitimierung von Boykottbemühungen gegen Israel, nennt Netanjahu und die Seinen »arrogant«, »routiniert«, »selbstherrlich« und »immun gegen jede Kritik«. Das ist nicht neu, aber es eskaliert.
Wenn ich sage, daß das Falsche gegen das Falsche kämpft, bedeutet das nicht in jedem Fall Äquidistanz. Daß wir kein wirkmächtiger Faktor sind, dem deutschen Imperialismus nicht in den Arm fallen können, schmälert nicht meine Sympathie mit denen, die zwischen den Mühlsteinen des Falschen gegen den Falschen einsam protestierend verharren. Wenn da im Irak eine Gruppe ist, die weder Maliki noch sunnitischen Widerstand, sondern einfach ein bißchen Lebensfreude will, dann sind das meine ideellen Verbündeten, und ich frage die nicht: Habt ihr auch Bataillone auf eurer Seite?
Ich lebe in einer Welt von Linken, die sich vor jeder politisch-theoretischen Differenz auf die Fahnen geschrieben haben, daß man das so alles nicht sehen darf, wie ich es gerade gesagt habe, und deren schrecklichste Formel heißt: In jedem Prozeß lauern Chancen und Gefahren. Und wir müßten eben ein bißchen die Chancen befördern. Das ist widerlich.
Auch die israelfreundliche Szene hat sich eine Bescheidwisserei angemaßt, die ihr Schreiben oft von Wahrheitssuche in Propaganda verwandelt hat. Ich nehme konkret da aus, das mir sehr hilft, angesichts der eigenen Machtlosigkeit und der Macht der anderen nicht zu verblöden, oder jedenfalls die Anstrengung zu unternehmen. Aber eigentlich ist es nur ein riesiger Haufen Müll, was der sogenannte antideutsche Bellizismus in den letzten zehn Jahren produziert hat. Müll. Ich sollte mich über den Einmarsch in Afghanistan freuen, weil da dann Fanta statt Fatwa kommt, ich sollte davon überzeugt sein, daß der Krieg der USA gegen Saddam Hussein dort eine blühende Demokratie bringt, ich sollte mich freuen, als in der Uno beschlossen wurde, daß Gaddafi weggebombt wird.
Objektiv hat Joschka Fischer, der den Krieg gegen das Böse als Lehre aus Auschwitz demagogisch postuliert hat, in dieser Szene gewonnen. Besonders naseweis sind immer wieder Artikel, die dann auch noch betonen, daß Israel versagt, weil es die Chancen, die etwa im arabischen Frühling liegen, wieder übersehen hat. Avi Primor, der in vielen Fragen nicht meine erste Quelle ist, manchmal ist er mir viel zu sehr Optimist, manchmal ist er einfach Plaudertasche, hat schon im Jahr 2003 geschrieben, er kenne keinen arabischen oder islamischen Staat, der in freien Wahlen nicht die Islamisten an die Macht bringen würde. Und Primor ist ein Optimist, kein Hardliner.
Alex Feuerherdt schrieb in konkret über die syrische Aufstandsbewegung: »Diese ist zersplittert, zu ihr zählen vor allem Schriftsteller und Unternehmer, Kurden und Drusen, Linke und Christen. Auch Islamisten beteiligen sich an den Protesten, doch ihr Einfluß scheint sich in Grenzen zu halten.« Und weiter: »Assad unterstützt Hamas und die Hisbollah in jeder Hinsicht, und die Verbindungen zu Al-Quaida sind eng.« Das ist das Ende analytischer Kapazität, das ist, aus propagandistischen Gründen, das Ende der Anstrengung, die Welt zu interpretieren, sie wenigstens zu verstehen.
Im Alltag werde ich mit antisemitischen Unterstellungen, mit Gretchenfragen konfrontiert. Allein, was an »israelkritischen« Veranstaltungen hier im Polittbüro aufgeführt werden sollte und von den Betreibern Lisa und Gunter verhindert wurde. Ich erinnere mich an eine Diskussion, ich glaube in Bielefeld, kurz nach der Aktion »Gegossenes Blei«, dem aus meiner Sicht notwendigen Angriff Israels auf die Hamas im Gazastreifen. Ich habe an dieser Aktion nichts Kritikwürdiges gefunden. Und dann kommt einer und meint, ich solle endlich mal Farbe bekennen, daß Israel gemeinsam mit den USA militärisch das iranische Atomprogramm ausschalten muß. Da hab ich nur noch gesagt: Gib mir Alkohol.
Vor diesem Hintergrund fühle ich mich dem Buch von Gershom Gorenberg verbunden. Gorenberg ist orthodoxer Jude, linker Zionist, und seine Befürchtungen sind ziemlich alarmistisch: »Die fortdauernde Besetzung, die Förderung des religiösen Extremismus, die Untergrabung von Recht und Gesetz durch die Regierung selbst, all das bedroht die Zukunft Israels.« Oder: »Wir können Israel erlauben, mit seiner Selbstdemontage fortzufahren, oder wir können uns dafür entscheiden, es neu zu gründen.« Man hofft, er übertreibt. Wie kommt er dazu? Er macht eine Bestandsaufnahme, er zählt auf, wie die Zahl der Siedler von 1993 bis heute von 116.000 auf über 300.000 – ohne Ostjerusalem – gestiegen ist. Er beschreibt unbestrafte Gewalt: Ein unschuldiger Palästinenser wird erschossen, und der Täter bekommt drei Monate Gefängnis. Er zitiert jede Menge fanatisch-inhumaner Publikationen von religiösen Siedlern, die sich Gottes Plan und Willen unterwerfen, Olivenhaine zu zerstören oder Ernten zu klauen. Er schreibt, daß das, was die publizieren, eine einzige Rechtfertigung von Kriegsverbrechen ist.
Es gibt heute, und das war in der Gründungsurkunde Israels nicht vorgesehen, 470.000 strenggläubige Israelis, 20 Prozent der israelischen Kinder besuchen eine ultraorthodoxe Schule, der Teil, der sich als nationalreligiös verstehe, gehorche, sagt Gorenberg, eher dem jeweiligen Rabbiner oder Gott, und der Anteil dieser Leute, die heute in der Armee Israels hohe Posten haben, sei seit 1990 von 2,5 auf 30 Prozent gestiegen und steige weiter. Gorenberg befürchtet, daß der israelische Staat sein von Ben Gurion etabliertes, auf Knesset-Mehrheiten und Regierungsbeschlüsse gestütztes Gewaltmonopol verliert. Daß also einem Beschluß, aus den besetzten Gebieten abzuziehen, von einem so großen Teil der Gesellschaft und Armee nicht mehr Folge geleistet würde, daß diese Option zu erlöschen droht. Daß die instrumentelle Vernunft, die kluge Taktik des Sich-Bescheidens, des Das-Machbare-Realisierens, das dem Zionismus innewohnte, verloren gehen könnte.
Gesagt werden muß, daß Gorenberg in ganz vielen Passagen des Buchs objektive Fortschritte in der Demokratisierung Israels betont, Gerichtsbeschlüsse zur rechtlichen Besserstellung der israelischen Araber und so etwas. Wer das überliest, instrumentalisiert dieses Buch niederträchtig. Fast nicht erwähnenswert sind Postulate wie: Es muß einen jüdischen Staat geben, es muß freie Einwanderung von Juden aus aller Welt geben, übrigens nicht nur, wenn sie bedroht und verfolgt sind. Er schlägt vor, daß man sich an den Grenzen von 1967 orientiert, mit den bekannten Ausbuchtungen. Und als stilles Fundament plädiert er nicht nur für eine jüdische Armee, sondern für die militärische Überlegenheit Israels als Bedingung für Frieden in der Region.
Stephan Grigats Forderung, ich müsse sagen, was ich denn vorschlagen würde, wenn ein Abzug, den Gorenberg fordert, nicht zu einem entmilitarisierten, Israel nicht angreifenden Nachbarstaat führen würde, sondern zu einem militärisch aggressiven, ist albern. Soll ich jetzt meinen Nahost-Friedensplan vorlegen oder was? Ich kann doch nur sagen: Dann eben so ähnlich wie Gaza.
Gorenberg ist für einen Abzug, selbst ohne Friedensvertrag. Das unterscheidet ihn von Ehud Barak. Wer hofft, daß es mit der Zwei-Staaten-Lösung doch irgendwie irgendwann gehen könnte, weiß doch, daß dabei nicht mehr herauskommen wird, als Barak am Ende des Osloer Prozesses und in den Monaten nach Camp David angeboten hat. Mehr ist nicht möglich. Er hat die Jerusalem-Lösung angeboten, 96 Prozent der Westbank an die andere Seite, und selbstverständlich kein Rückkehrrecht. Was wir nicht wissen: Hätte er dafür in Israel bei Wahlen eine politische Mehrheit bekommen? Der Plan ist gescheitert, weil er zuerst zu Syrien ein ähnliches Verhältnis wie zu Jordanien oder zu Ägypten aufbauen wollte. Syrien sollte die Golan-Höhen zurückbekommen. Das ist von Syrien abgelehnt worden.
Zu viele Leute, Mächtige und Subalterne, denken, daß der Kram mit Friedensprozeß und Oslo in Wirklichkeit gar nicht wichtig ist, weil Israel eines Tages sowieso zerstört werden wird. Und solange dieser Gedanke vorherrscht, gibt es keinen Frieden. Grigat sagt, er sehe gegenwärtig keine andere Möglichkeit als die Verwaltung des Dilemmas durch Israel in einem überschaubaren Zeitraum – keine große Lösung, nicht Okkupation, nicht Vertreibung, nicht zwei Staaten. Ich glaube, er hat recht.
Israel wird vom Rest der Welt zwangsverpflichtet, aus ökonomischen Gründen, sich doch endlich mal über Rohani zu freuen, jenseits aller Fakten, jenseits der militärischen Möglichkeiten des Iran. Das hat ein unglaubliches demagogisches Potential, das wahrscheinlich größer ist als das Potential der Boykottbewegung, die von mir so etwas Irrsinniges verlangt, wie bei Rewe auf meinem Gurkenglas nachzugucken, ob das aus den besetzten Gebieten kommt.
Die Isolation Israels ist in den letzten zwei, drei Jahren enorm gewachsen. Jede Anstrengung, den jüdischen Staat zu retten und zu erhalten, militärisch stark zu machen, wird dämonisiert wie nie zuvor. Wenn ich morgens lese, Bosnien-Herzegowina spaltet sich, blättere ich um, mal sehen, was im Feuilleton steht. Oder Aufstand in Kirgistan, da denke ich auch, och, mal sehen, wie’s ausgeht, schnell die Sportseiten. Wenn aber dieser jüdische Staat, dieses Refugium der Vernunft in dieser Welt, tatsächlich untergehen sollte, wäre das Ende des Arguments gekommen, das Ende des Widerspruchs, der in der Welt ist. Es ginge nicht weiter.
Wir haben mal gesagt, die antideutsche Linke ist negatorisch. Sie bekennt ihre Wirkohnmächtigkeit, und sie ist negatorisch. Negatorisch sein heißt, über Sachen nachdenken, die die uns umgebende Menschheit, die sich mit ihrem Fortkommen, dem Sichdurchschlagen in den bestehenden Verhältnissen beschäftigt, nicht versteht, die uns für eine komische Sekte hält. Daraus darf eines nicht folgen: Daß man das, was man im Bewußtsein der Wirkohnmächtigkeit macht, leichtnimmt.
Wir befinden uns in einer absurden Situation. Hier ist ein Theaterabend, von dem weiß man, der wird die Welt nicht verändern, wirklich nicht. Und trotzdem mit roten Wangen darum kämpfen, daß jede Formulierung, die man wählt, richtig ist. Darum kämpfen, daß man Momente von Glück hat in einer völlig falsch eingerichteten Welt, weil man Sprache kennenlernt und Kommunikation unerträglich findet. So möchte ich auch über Israel reden. Nicht apologetisch. Ich bin nämlich davon überzeugt, daß nichts brüchiger ist als bedingungslose Solidarität.
Schwerin: Ich hatte nicht erwartet, daß hier Menschen auf dem Podium sitzen, die noch pessimistischer sind als ich. Ebermann hat gesagt, es könnte sein, daß Israel irgendwann nicht mehr existiert, weil es überrannt wird oder so. Es kann aber auch sein, daß in Israel die Kräfte siegen, die meinen, man müsse die Westbank überrennen und alle vertreiben. Und wenn du so regelmäßig »Ha’aretz« lesen würdest wie ich, dann würdest du wissen, daß es sehr starke Kräfte in Israel gibt, die das wollen.
Ich habe euch ja gesagt, daß ich nicht daran glaube, daß irgend jemand tatsächlich Interesse an Frieden im Nahen Osten hat. Wenn es so etwas gäbe wie eine menschenfreundliche, progressive Diplomatie, dann würde ich die Lösung darin sehen, daß man die besetzten Gebiete wieder an Jordanien angliedert. Ich habe nie verstanden, daß man die Bevölkerung der untüchtigen PLO einerseits und der israelischen Besatzung andererseits preisgegeben und ausgeliefert hat. Jordanien ist Palästina, 60 Prozent der Bevölkerung dort sind Palästinenserinnen und Palästinenser, und in manchen Städten sind es 90 Prozent.
Micha Brumlik hat sein konkret-Papier nicht ganz vollständig dargestellt. Der Knackpunkt ist, daß er der Meinung ist, es solle keine privilegierte jüdische Einwanderung mehr stattfinden. Dem will ich widersprechen: Ich finde ganz toll, daß in den letzten 20 Jahren 100.000 Äthiopierinnen und Äthiopier nach Israel geholt wurden. Ich weiß, daß es denen schlecht geht, ich weiß, daß sie diskriminiert werden. Aber ein Teil von denen wäre buchstäblich verhungert, wenn man sie nicht geholt hätte.
Brumlik: Humanitär, ja, das ist doch in Ordnung.
Schwerin: Nix humanitär, das ist eine privilegierte Einwanderung gewesen, und die konnte es nur geben, weil es dieses Rückkehrrecht gibt, denn viele Leute in Israel sind gar nicht dafür, daß man 100.000 Schwarze holt. Man mußte sie holen, weil es dieses Gesetz gibt, und das war eine ganz tolle Sache, die hätte ja niemand anders in der Welt gemacht. Niemand holt Schwarze. Wenn jetzt jemand fragt: Soll man nur die jüdischen Schwarzen retten?, dann sollen uns die Christen das mal nachmachen. Dann sollen sie mal 100.000 Afrikaner herholen, weil sie Christen sind. Ich will auch einen jüdischen Staat mit einer jüdischen Mehrheit, so wie es einen italienischen Staat mit einer italienischen Mehrheit gibt, und einen französischen und so weiter. Ich will aber auch, daß die Minderheit, circa 20 Prozent Palästinenserinnen und Palästinenser, die jetzt in Israel leben, die viel durchgemacht haben, dort gut leben und bleiben können, und zwar gleichberechtigt.
Einige Minister in der israelischen Regierung sind für einen »Flächen- und Bevölkerungsaustausch «, bei dem man die Araber aus Israel rausnimmt und in das zukünftige Palästina eingliedert. Das wollen die aber nicht. Die haben dagegen gestimmt. In Umm al Fahm, das war früher ein kommunistisches Widerstandsnest, haben 89 Prozent abgestimmt, daß sie nicht nach Palästina wollen, weil sie im demokratischen Israel leben möchten. Das ist ja auch sehr vernünftig.
Thomas, du hast gesagt, du bist gegen bellizistische Statements. Dann kann ich nicht verstehen, daß du sagst, du bist für die Bombardierung von Gaza, und du benutzt auch noch dieses häßliche Wort »Gegossenes Blei«. Das war falsch, und das war unmenschlich, jede Bombardierung von Städten ist von Anfang an unmenschlich, weil sie die Falschen trifft. Das hat nicht die getroffen, die die Raketen auf Israel schießen, das hat ganz andere Leute getroffen. Und glaub bloß nicht, daß die Engländer Dresden angegriffen haben, um Auschwitz zu befreien. Die haben das aus eigenem Interesse getan, und ich sage, ein Angriff auf Städte ist unmenschlich.
Brumlik: Zunächst mal zu Stephan Grigat. Vielen Dank, Sie haben mich gut verstanden und völlig korrekt referiert. Wir haben ein paar unterschiedliche Einschätzungen, was die jeweiligen Begründungen angeht. Was aber die Position zu Iran angeht, paßt kein Blatt Papier zwischen uns. Und deswegen will ich auch hier noch mal sagen: Ich bin für den Export von Langstreckenbombern von Deutschland nach Israel, ich bin für die Lieferung von U-Booten, auf denen Abwehrraketen stationiert werden. Allerdings, wenn das richtig ist mit der schwersten Bedrohung Israels durch mögliche iranische Atombomben, dann müssen wir über die Siedlungen diskutieren. Denn mit dem Siedlungsbau und tausend neuen Wohnungen verhindert man keine einzige iranische Atombombe. Das sind Maßnahmen, die es den wenigen friedenswilligen palästinensischen Politikern schwerermachen, auf Israel und auf einen Friedensprozeß zuzugehen.
Dann möchte ich auf eine gewisse Asymmetrie in der Perspektive hinweisen. Jutta Schwerin und ich sind nun einmal Juden und möglicherweise auch wirklich vom Antisemitismus betroffen und haben so unsere eigenen unterschiedlichen Gedanken, wie man darauf reagieren soll. Ich habe überlegt, ob man sich so eine gleichsam paternalistische Argumentation auch anderswo vorstellen könnte: ein frauenpolitisches Forum, bei dem die Männer den Frauen sagen, wie sie ihre Positionen richtig wahrzunehmen haben. Das sind zum Teil schlicht und ergreifend innerjüdische Auseinandersetzungen.
Und dazu kommt dann natürlich immer, und das hat sehr viel mit Deutschland und der Shoa zu tun, die Idee: Nach allem, was passiert ist, muß es für Juden eine Zuflucht vor etwas möglicherweise Vergleichbarem geben. Das ist eine nachgeholte Rettungsphantasie. Ganz abgesehen davon, daß die Leute, die dann immer zitiert werden, Ben Gurion und so weiter, sich nicht besonders um die verfolgten Juden Europas gekümmert haben. Ben Gurion hat immer wieder gesagt, Zionismus ist keine Philantropie. Das war mitteleuropäisches Nationalstaatsdenken, und das ist auch der Grund, warum ich auch mit Jutta nicht übereinstimme. Ich bin nämlich grundsätzlich gegen ethnisch geprägte Nationalstaaten. Jetzt kann man natürlich sagen, so lange, bis alle Nationalstaaten sich aufgelöst oder republikanisch transformiert haben, so lange muß es den jüdischen Nationalstaat geben. Aber meine Vorstellung von links oder liberal ist schon: Hauptsache, ein Staat ist demokratisch oder republikanisch, egal, ob der nun ethnisch rein ist oder nicht. Jutta hat gesagt, sie ist dafür, daß Israel so jüdisch ist wie Italien italienisch – also mit Serbien oder Kosovo könnte man den Satz nicht so formulieren.
Schwerin: Die hätten jugoslawisch bleiben sollen.
Brumlik: Voilà, genau.
Gremliza: Zu der Bemerkung, hier würde die Diskussion des Antisemitismus paternalistisch geführt, weil nur zwei hier auf dem Podium Juden seien: Moshe Zuckermann hat in einer antisemitischen Berliner Tageszeitung »enthüllt«, ich hätte ihm gestanden, daß ich mich nicht für Israel interessiere. Da ist, neben dem offenkundig Falschen, was Richtiges dran. Ich denke, daß deutsche Kritiker, wenn es darum geht, wie Juden die Existenz ihres Staates zu retten versuchen, sehr leise Töne anschlagen sollten. Was mich am Antisemitismus interessiert, ist der meiner »arischen« Landsleute, weil ich erfahren und sagen möchte, womit die Welt es zu tun hat, wenn die Deutschen ins Spiel kommen. Darin kann ich keinen Paternalismus erkennen.
Grigat: Die israelischen Regierungen bestehen zu Recht darauf, in offiziellen Dokumenten nicht von besetzten Gebieten zu sprechen, sondern von umstrittenen Territorien. Es gab ja 1967 kein Palästina, das besetzt werden konnte, sondern die Westbank gehörte zu Jordanien, der Gazastreifen zu Ägypten. Das heißt aber selbstverständlich nicht, daß die Realität der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung keine Besatzungsrealität ist. Den Vorschlag, das Westjordanland an Jordanien zurückzugeben, finde ich durchaus charmant. Das Problem ist, daß außer Benny Morris, Jutta Schwerin und noch drei Leuten das einfach niemand möchte.
Die Lektüre des Buchs Israel schafft sich ab von Gershom Gorenberg muß man all jenen Leuten empfehlen, die mit Israel nur solidarisch sein können, wenn sie sich die Realität im Nahen Osten schönreden, wenn sie sich etwas vormachen, wenn sie nicht sehen, welche Opfer beide Seiten zu bringen haben und welche Brutalitäten von beiden Seiten begangen werden. Dafür ist dieses Buch ausgesprochen gut und richtig. Trotzdem bleibt die Kritik, daß Gorenberg systematisch von der antisemitischen Bedrohung abstrahiert. Hamas, Hisbollah, das iranische Regime, internationale Kampagnen zur Delegitimierung Israels, also die globale antisemitische Bedrohung, kommen einfach nicht vor. Und dieses Problem wird noch viel größer, wenn wir uns die radikale Linke in Israel anschauen. Sie alle müssen die antisemitische Bedrohung herunterspielen.
Zu Feuerherdt und Syrien: Thomas hat selber darauf hingewiesen, daß die Einschätzung von Feuerherdt, die er vorgelesen hat, schon etwas älter ist. Das war ziemlich am Beginn des Aufstands in Syrien und damals eine vollkommen richtige Beschreibung der Situation. Daß der Westen, und zwar sowohl die USA als auch die EU als auch Leute wie du, alle die Argumentation von Assad übernommen haben, der von Anfang an gesagt hat, das ist keine Demokratiebewegung, das sind alles Islamisten, das ist Al Qaida, hat dazu geführt, daß das, was am Anfang behauptet wurde, mittlerweile weitgehend Realität geworden ist, weil die säkularen und gemäßigt islamischen Kräfte von niemandem Unterstützung bekommen haben. Deswegen haben wir heute die trostlose Lage.
Ebermann: Es ist außerhalb meiner Möglichkeiten, so etwas wie Syrien zu beurteilen. Ich will lediglich darauf hinweisen, daß der folgende Satz, den Alex Feuerherdt einmal aufgeschrieben hat, irre ist: »Dementsprechend zersplittert ist die Aufstandsbewegung, zu der vor allem Schriftsteller und Unternehmer, Kurden und Drusen, Linke und Christen zählen« (»Assads letztes Gefecht« von Alex Feuerherdt, konkret 8/11). Der Satz ist irre, weil er Sachen aufzählt, die man gar nicht in einen Satz fassen kann: Schriftsteller, Unternehmer, Drusen, Christen – das ist Angeberei, das ist googeln. Ich hätte da jetzt Landwirte und Handwerker einfügen können. Schriftsteller und Drusen – die beiden überhaupt in einen Satz zu verklammern, das ist die Sehnsucht nach Propaganda. Wenn ich lese: »Die engen Verbindungen zu Al Qaida sind bekannt«, schreibe ich an den Rand: Quatsch. Enge Beziehungen haben sie zur Hisbollah, Waffen geliefert haben sie der Hamas, das sind belegte Tatbestände.
Grigat: Aber nach dem Irak-Krieg, nach dem Sturz von Saddam Hussein, sind viele der Al-Qaida-Kämpfer über Syrien in den Irak gelangt. Darauf bezieht sich das, und jeder im Nahen Osten weiß das.
Ebermann: Es ist doch wahr – oder nicht? – , daß die Al-Qaida-Kräfte Assad bekämpfen?
Grigat: Das tun sie mittlerweile, aber auch nicht an allen Stellen. Es gab in den letzten zwei Monaten Hinweise darauf, daß es mittlerweile ein Bündnis gibt, um die Freie Syrische Armee mitunter gemeinsam ins Visier zu nehmen.
Gremliza: Ich weiß aus eigener bitterer Erfahrung, wie schwer man sich damit tut, wenn man danebengegriffen hat, einfach zu sagen: Das war wohl nix, und vielleicht sich noch zu überlegen, woran es liegt, daß das nix war. Aber sich jetzt so rauszureden, daß die Opposition so geworden ist, weil Assad den Amerikanern gesagt hat, das seien lauter Al-Qaida-Kämpfer und Islamisten … Das ist einfach Tinnef. Innerhalb von zwölf oder 18 Monaten wird vor den Augen der Welt eine kämpfende Aufstandsbewegung von einem mehr oder weniger westlich orientierten, christlichen, von Intellektuellen geführten Bündnis zu dem, was wir nach diesen zwölf, 18 Monaten haben. Das geht nicht. Das geht nur, wenn man auf die Propaganda der Medien reinfällt. Wenn man sich noch mal die ganze Scheiße vor Augen führt, die in der Tagesschau und in den Talkshows über die arabische Revolution verzapft worden ist …
Grigat: Wir reden aber hier nicht über die arabische Revolution, und wir reden auch nicht über Libyen, sondern wir waren jetzt gerade bei Syrien. Das ist ein konkreter Fall, und es geht um die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre.
Gremliza: Es ist derselbe Troß, der in diesem Propagandakrieg von Land zu Land zieht, von Benghasi über Kairo nach Syrien. Und immer wieder erzählen sie die gleichen Märchen über die Aufständischen. Ich erinnere an den Irak, zu dem wir leider ein ganzes Buch gemacht haben, in dem im Westen lebende, hochhonorige irakische Autoren als die vom Volk ersehnten Befreier dargestellt wurden und sich dargestellt haben. Die Leute hatten mit dem meisten, was sie sagten, unsere Sympathie. Was sie nicht hatten, waren Anhänger im Irak. Dasselbe galt für Libyen, für Afghanistan, für Syrien.
Ebermann: Jutta, du hast gesagt, die Aktion, die ich auch noch bei ihrem offiziellen Namen »Gegossenes Blei« genannt habe, sei unmenschlich gewesen. Es hat 1.300 Tote gegeben, wenn ich mich richtig entsinne …
Schwerin: Bei der Hamas? Oder bei der Bevölkerung von Gaza?
Ebermann: Die Zahl der getöteten Hamas-Aktivisten soll zwischen 900 und 1.000 gelegen haben. Es gibt Vokabeln der Verrohung, das ist mir klar. Kollateralschaden ist eine Vokabel der Verrohung. Wo gehobelt wird, fallen Späne, ist eine Vokabel der Verrohung. Schwund ist überall ist die Steigerung davon. Hermann Gremliza hat mal geschrieben, daß es selbstverständlich bei der Bombardierung Dresdens auch unschuldige Opfer gegeben hat, die man betrauern sollte: Juden im Knast sind dabei umgekommen, Kommunisten, Sozialdemokraten, und so weiter. Zu zelebrieren was für ein sensibler Mensch man doch ist – das geht nicht. Analytische Distanz ist etwas, was man sich aufnötigen muß, auch wenn es manchmal unschön ist. Und die Zahlen stimmen. Und es stimmt ferner, daß es die Taktik menschlicher Schutzschilde gegeben hat, und es ist keine Propaganda, daß die Hamas besonders gefährliche Waffen oder besonders wichtige Waffendepots in Schulen und Krankenhäusern deponiert hat.
Dann kann ich immer noch fragen, wieviele Verletzungen des Moralcodexes der israelischen Armee es gegeben hat. Gorenberg hat mich belehrt, wie scheußlich kriegsverbrecherisch einige Schriften von Ultraorthodoxen sind. Da heißt es, tötet sie, macht euch keine Gedanken. Ich weiß nicht, ob so etwas Einfluß hat. Aber ich muß doch erst mal sagen: Wenn mehrere hundert Raketen auf Israel niedergehen aus dem Gazastreifen, dann darf ich als saturierter Mitteleuropäer nicht sagen: Ihr dürft nicht zurückschlagen.
Ein langjähriger Sicherheitsberater von Netanjahu hat in einem Interview gesagt: »Auf der Konferenz in München saßen Qataris und Saudis auf dem Podium. Meines Erachtens wächst die Sympathie der Golfstaaten für Israel. Und in der letzten Zeit immer weiter. Nach innen sind diese Staaten sehr kritisch gegenüber den Palästinensern und werden immer ungeduldiger, was das ständige Scheitern der Friedensverhandlungen betrifft. Hier könnten in Zukunft einige Möglichkeiten der offenen Kooperation liegen. Momentan gibt es nur inoffizielle Gespräche. Vor einem halben Jahr war ich selbst mit einer Delegation in verschiedenen Golfstaaten. Die Eliten und Mittelschichten erkennen die Vorteile einer strategischen Partnerschaft mit Israel. Es gibt dort eine erstaunliche Offenheit, und ich mußte feststellen, daß die Haltung dort gegenüber Israel positiver war als in einigen europäischen Staaten.« Haut euch das auch um?
Ich habe das Gefühl, was hier gestern von Stefan Frank und Alex Feuerherdt vorgetragen wurde, war geprägt von der Angst, daß man all das, was in den besetzten Gebieten passiert, nicht wissen darf, weil das die Solidarität mit Israel gefährdet. Eine lächerliche, kindische Angst. Ich lese doch diese Artikel in KONKRET. Einer handelte von den niederträchtigen Motiven bestimmter NGOs und zitiert aus dem Schweineblatt »Spiegel« – eingeführt als: »wenn da mal realistisch berichtet wird« – den Satz: »Wenn die israelische Armee nur einen Ziegenstall zerstört, kommen 20 NGOs, um das aufzunehmen und zu skandalisieren.« Es ist das Grauen, wenn sich einer auf solche Quellen beziehen muß, um mit mir pädagogische Veranstaltungen hinzukriegen, bei denen ich denken soll: Och, so schlecht, wie der Gorenberg da schreibt, geht es denen in den besetzten Gebieten gar nicht. Das ist ein Verführer zu Propaganda und kein Wahrheitssucher.
Grigat: Jetzt werde ich mal wieder zum Anwalt von Alex Feuerherdt, von dem auch dieser Artikel ist: Die Grundintention dieses Textes, gegen den ich an einigen Punkten selber Einwände habe, ist es, vollkommen zu Recht darauf hinzuweisen, daß es wirklich ein NGO-Busineß gibt, sowohl von europäischer Seite, zum Teil aber auch in Israel selber, das mit dem mal realen, mal nur unterstellten Leid der palästinensischen Bevölkerung ein Geschäft macht. Die Intention dieses Artikels ist richtig.
Wenn der ehemalige Sicherheitsberater von Netanjahu, den Ebermann zitiert hat, so ein Interview gibt, will er der EU mitteilen: Wir sind nicht komplett auf euch angewiesen, wir können sehr wohl in unserer Region auch nach anderen Bündnispartnern suchen. Auch wenn das Länder sind, die zum Beispiel an der Verbreitung antisemitischer Propaganda in Form der Protokolle der Weisen von Zion maßgeblich beteiligt sind, muß man sehen: Das sind zwar grauenhafte islamistische Diktaturen, die aber aufgrund ihrer wahhabitischen Ideologie eine konservative, auf den Status quo konzentrierte Ausrichtung haben. Das ermöglicht Israel, in seinem zu Recht nahezu grenzenlosen Pragmatismus gewisse Übereinkommen mit diesen Ländern zu machen. Das ist der Unterschied dieser grauenhaften islamistischen Diktaturen zu dem iranischen Regime, das einen revolutionären Islamismus propagiert, mit dem es keine pragmatischen Übereinkommen geben kann.
Schwerin: Thomas, ich höre dir wirklich gerne zu, aber ich merke jetzt, daß du nicht so toll informiert bist über das, was passiert. Es tut mir leid. Wenn du sagst, es sind 1.300 Tote gewesen in Gaza, und das seien alles Hamas-Aktivisten – woher weiß man denn, daß es Hamas-Aktivisten waren? Das waren Menschen, die da gewohnt haben, und einige von denen waren Hamas-Aktivisten. Dann kannst du doch nicht sagen, das waren alles Hamas-Aktivisten. Da mußt du unterscheiden.
Es passieren eben auch Grausamkeiten, die überhaupt nichts mit Sicherheitsbedürfnissen zu tun haben, und gegen diese wendet sich die israelische Zivilgesellschaft. Warum müssen denn zig Brunnen zerstört werden, damit die Palästinenser kein Wasser mehr haben? Warum mußte man vor drei Tagen unterhalb von Jerusalem ein Haus zerstören, in dem eine Familie 13 Jahre, allerdings ohne Genehmigung, gewohnt hat? Das hat doch überhaupt nichts mit Sicherheit zu tun, sondern das schadet eher.
Besucher 1: Ein Pseudoargument, das ich nicht erwartet hatte von diesem Podium, ist die Inflationierung des Antisemitismusvorwurfs. Ich bin der Ansicht, daß Uri Avnery tatsächlich kein Antisemit ist, sondern ein Dummkopf, Moshe Zuckermann aber tatsächlich beides. Wenn ich mit dieser Einschätzung Unrecht habe, dann habe ich Unrecht und eine unzutreffende Behauptung geäußert, aber nicht den Antisemitismusvorwurf inflationiert. Diesen Mist möchte ich bitte nicht hören, und wer das sagt, möge sich sehr genau überlegen: erstens, daß er damit sagt, was jeder Antisemit sagt. Jeder Antisemit sagt, er ist ein Freund Israels, und es sei ihm total wichtig, den Kampf gegen den Antisemitismus zu stärken. Und zweitens möge man doch bitte mal überlegen, was das eigentlich heißt. Ist die jetzige Situation, über die wir hier reden, in der Israel vom Antisemitismus an die Wand gedrängt wird, tatsächlich darauf zurückzuführen, daß manchmal Kritiker des Antisemitismus unzutreffende Behauptungen äußern oder einen Begriff von Antisemit anwenden, den andere nicht teilen? Was soll das bitte?
Brumlik: Ich bleibe bei der Beobachtung, daß dieser Vorwurf, der vielleicht vor 20 Jahren oder später, als Angela Merkel den einen oder anderen aus der CDU ausgeschlossen hat, noch getroffen hat. Dadurch, daß er so unendlich oft verwendet wird, hat dieser Begriff seine Schlagkraft verloren. Ich finde das ja auch nicht gut. Man kann das in der Diskussion auch ein bißchen niedriger hängen und meinetwegen sagen: Zuckermann mit seinem Immer-sich-auf-Adorno-Berufen gefährdet den Staat Israel. Warum muß man ihn deswegen gleich, wie Sie es jetzt auch wieder gemacht haben, und ich möchte mich dagegen verwahren, ich kenne ihn gut, als Antisemiten bezeichnen?
Grigat: Es ist eine falsche Wahrnehmung, daß überall und ständig Leute als Antisemiten bezeichnet werden.
Brumlik: Aber häufiger als vor ein paar Jahren.
Grigat: Das konzentriert sich sehr stark auf ein paar einzelne Leute, die tatsächlich eine Art Busineß daraus gemacht haben, jeden, den sie nicht mögen, als Antisemiten zu bezeichnen. Die sind aber in keiner Weise repräsentativ für die bundesdeutsche oder auch die österreichische oder die deutschsprachige oder überhaupt die europäische Diskussion.
Besucher 2: Warum, denken Sie alle auf dem Podium, will der Iran Israel zerstören? Wenn Netanjahu überlegt, ob er den Iran vielleicht bombardiert, wird es gute Gründe dafür geben. Ich verstehe die Gründe nicht. Der Iran hat, soweit ich sehe, keinen Krieg vom Zaun gebrochen seit 1945. Was ist der Grund, daß Sie denken, daß der Iran Israel zerstören will?
Grigat: Alle Fraktionen dieses Regimes, sowohl die, die jetzt an der Macht sind, als auch zuvor Ahmadinedschad als auch die beiden obersten geistlichen Führer haben immer wieder in vollkommen unmißverständlichen Worten zur Vernichtung Israels aufgerufen. Dann wäre die nächste Frage: Meinen die das ernst? Nach Auschwitz muß man, wenn irgendwo auf der Welt jemand sagt, wir werden den jüdischen Staat vernichten, das ernst nehmen. Die Spezifik des iranischen Regimes, die es wirklich unterscheidet von anderen grauenhaften, menschenverachtenden islamistischen Diktaturen, ist eine Kombination aus einem eliminatorischen Antizionismus und einem apokalyptischen Messianismus. Es gibt die Vorstellung von der Wiederkunft des zwölften Imam, des Mahdi, und das ist keine Spinnerei, die keine reale Auswirkung hat. Der Mahdi, der versteckte zwölfte Imam, den es so im sunnitischen Islamismus gar nicht gibt, ist laut der Verfassung der Islamischen Republik das Staatsoberhaupt des Irans. Und die Aufgabe aller Fraktionen innerhalb dieses Regimes ist es, die Welt auf die Wiederkunft dieses Imams vorzubereiten. Das bedeutet innenpolitisch: brutaler islamistischer Tugendterror, Scharia, Homosexuelle an die Baukräne, Frauenunterdrückung und so weiter, und außenpolitisch bedeutet das, den zentralen Erbfeind zu bekämpfen, und das ist im Selbstverständnis dieser Islamisten der Staat Israel.
Seit Jahren sagt ein Drittel der israelischen Bevölkerung, und zwar sowohl der jüdischen als auch der arabischen, wenn das iranische Regime über Nuklearwaffen verfügt, dann werden wir Israel verlassen. Was man gut verstehen kann. Das wird das bestausgebildete und wohlhabendste Drittel der Bevölkerung sein, und damit wäre der israelische Staat so gut wie am Ende.
Besucherin 3: Frau Schwerin hat gesagt, es gebe in der Region zwei nationalistische Bewegungen, die sich ausschließlich über diesen Konflikt definieren. Das hat sich für mich so angehört, als wären diese beiden Bewegungen etwa auf dem gleichen Stand, obwohl es doch so ist, daß die eine Seite die andere Seite ausrotten möchte und die andere sich nur verteidigt. Habe ich das richtig verstanden?
Schwerin: Das haben Sie richtig verstanden. Ich meine, daß das nationalistische Bewegungen sind, alle beide, deren Führer vom Krieg existieren, sowohl ideell als auch karrieremäßig. Meiner Meinung nach ist das die Hauptursache des Krieges.
Grigat: Nationalismus ist doch nicht gleich Nationalismus. Es macht doch einen Unterschied, ob der Inhalt eines Nationalismus darin besteht, einen Staat zu gründen und damit eine zukünftige zweite Vernichtung zu verhindern, oder ob wir von einem Nationalismus reden, dessen vorrangiger Inhalt genau diese Vernichtung ist.
Brumlik: Nehmen wir mal den Koalitionspartner von Netanjahu, Naftali Bennet, der gesagt hat: Wir sind nicht in dieses Land zurückgekehrt, um es den Arabern zu überlassen. Das ist Vertreibungsnationalismus. Andererseits darf man nicht leugnen, daß es unter den Palästinensern, wie in jeder politischen Bewegung, moderate Kräfte gibt, die eingesehen haben, daß es wahrscheinlich nicht in ihrer Macht stehen wird, Israel ins Meer zu werfen. Das gibt es ja auch.
Grigat: In aller Regel formulieren die das so – bis hin zu palästinensischen Friedensaktivisten, die sagen: Ja, genau, weil wir eingesehen haben, wir sind zu schwach. Aber das kann sich ändern. Ist ja schön, wenn Mahmoud Abbas sagt, vielleicht könnte er sich doch bereit erklären, einen jüdischen Staat anzuerkennen. Aber was heißt das denn heute noch? Die Hamas ist die dominierende politische Kraft auf palästinensischer Seite, weil sie bei demokratischen, freien Wahlen die Mehrheit bekommen hat. Und das ist eine Partei, die offen zum Judenmord aufruft. Das ist ein grundlegender Unterschied zur israelischen Gesellschaft. Kein Mensch stellt in Abrede, daß es in Israel grauenhafte antiarabische Rassisten gibt, aber die kriegen nicht 50 Prozent bei den Knessetwahlen.
Ebermann: Ich will in einem Punkt ein bißchen Enttäuschung artikulieren. Ich habe versucht darzustellen, daß Gershom Gorenberg der Meinung ist, daß in der Verwaltung der Misere unter der Hand etwas sehr Gefährliches läuft; daß mit jedem Jahr der Verteidigung des Status quo die klassische Klientel, die mal über die Armee ihre Laufbahn gemacht hat, da nicht mehr hingeht und von ultraorthodoxen, gottesfürchtigen Offizieren ersetzt wird. Diese Kräfte werden verunmöglichen, daß etwas noch einmal denkbar ist, wie es in Gaza passiert ist: die Siedler gegen einen gesellschaftlichen Widerstand da rauszuholen und danach keinen Bürgerkrieg in Israel zu haben, sondern eine wütende und zähneknirschende Akzeptanz. Wenn der zionistische Pragmatismus so durch das Verharren im Status quo gefährdet wird, und du, Stephan, hörst, was ich sage, und sagst dazu nichts, dann kommt es mir vor wie: Du willst den Gorenberg als lustigen Kasper behandeln. Ich glaube, selbst wenn sie über die objektivierbare Rolle als Korrektiv in Israel nicht hinauskommen sollten, sind die dortigen Linken und speziell die linken Zionisten so etwas wie meine nur herbeiphantasierten allerbesten Freunde, und wenn wir uns da nicht drauf einlassen, haben wir kein Gespräch, finde ich.
Grigat: Ein Mißverständnis und ein Hinweis: Gerade deine Formulierung in bezug auf die israelische Linke, das hättest du von mir zitieren können. Ich habe mehrfach formuliert, daß die Linke, übrigens einschließlich der radikalen Linken, die ich grauenhaft finde in Israel, dringend notwendig für die israelische Gesellschaft ist als ein Korrektiv. Sie sind es, die ohne irgendwelche Rücksichtnahmen auf Mißstände, auf Übergriffe hinweisen, und das ist zwingend notwendig für die israelische Gesellschaft, daß sie ihrem eigenen Anspruch genügt, trotz permanenten Kriegszustands den Humanismus hochzuhalten oder, ums ein bißchen kitschig zionistisch zu sagen: ein Licht unter den Nationen zu sein.
Das Mißverständnis bezieht sich auf die Verwaltung der Misere. Das heißt überhaupt nicht zwingend Status quo. Ganz im Gegenteil, das könnte zum Beispiel bedeuten: unilateraler Rückzug, wenn es auf Verhandlungsebene nicht geht. Wenn ich sage: Verwaltung der Misere, meine ich nicht, das muß so bleiben, wie es ist, und die israelische Armee muß unbedingt weiter in Hebron rumrennen, sondern das könnte auch bedeuten, aus pragmatischen Gründen zu sagen: Wenn es auf Verhandlungsebene nicht geht, macht man was Ähnliches wie im Gazastreifen und zieht sich unilateral zurück.
Ich hasse dieses Gerede von der »Lösung des Nahostkonflikts«. Auch eine Zwei-Staaten-Lösung ist keine Lösung des Nahostkonflikts. Den kann man nur lösen, wenn man den Antisemitismus aus der Welt schafft. Der Antisemitismus der arabischen und islamischen Welt ist eine Grundursache des Nahostkonflikts und der Situation, wie sie heute existiert, und deswegen muß man diesen Antisemitismus bekämpfen und aus der Welt schaffen. Nur dann wäre so etwas wie eine Lösung des Nahostkonflikts möglich.
Brumlik: Das finde ich nicht, aber das ist wirklich eine neue Debatte. Da kommen wir auf die schwierige Frage, wie antisemitisch der Islam an und für sich ist. Ist es nicht richtig, daß der Antisemitismus von Christen dort eingeschleppt worden ist? Ist es nicht richtig, daß es arabische Intellektuelle gegeben hat, die die Politik des Mufti von Jerusalem nicht mitgetragen haben?
Grigat: Das ist aber eine ganz wichtige Debatte.
Brumlik: Aber die können wir jetzt wirklich nicht mehr führen.
Grigat: Es ist kein Zufall gewesen, daß sich die Muslimbruderschaft als erste große antisemitische Massenorganisation zeitgleich mit der faschistischen und nationalsozialistischen Bewegung in Europa gegründet hat. Natürlich hat es eine Art Ideologietransfer gegeben, in beide Richtungen übrigens, aber der entscheidende Punkt ist genauso wie in Europa der Antisemitismus gewesen, der neue, der Vernichtungsantisemitismus – eine wahnhafte, eine pathische, projektive Reaktionsweise auf so was wie kapitalistische Moderne.
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