Voll verstrahlt
Dass die Asse II für die Lagerung radioaktiven Mülls ungeeignet ist, war schon vor ihrer Inbetriebnahme bekannt. Nun droht die Schachtanlage abzusaufen. Von Werner Heine
Mitte Mai war es mal wieder so weit. Der »Spiegel« meldete einen Wassereinbruch im ehemaligen Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel, das 1967 als Versuchsendlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll eingerichtet wurde. Verteilt auf dreizehn Kammern im Salzgestein, lagern dort in 750 Metern Tiefe 126.000 Metallfässer mit dem nuklearen Abfall aus den frühen Jahren der deutschen Atomwirtschaft – Material aus den Forschungsreaktoren in Jülich und Karlsruhe. Nun ist Wasser in der Asse alles andere als eine Sensation. Es bildeten sich immer wieder Pfützen, anfangs bis zu 700 Liter pro Tag, und seit 1988 müssen täglich rund zwölf Kubikmeter Salzlösung aufgefangen werden, Wasser, das durch die Spalten und Risse des Deckgebirges und durch den Salzmantel dringt und dabei auch den Carnallit auswäscht, ein Mineralgestein aus Kalium- und Magnesiumchlorid, das dadurch seine Festigkeit verliert.
Das Problem war bekannt, bevor die Asse zum Endlager erkoren wurde, aber die Planer redeten sich die Risiken klein. Schließlich schirme das Salz die radioaktive Strahlung ab, und wenn die Kammern erst gefüllt seien, werde sich die Standfestigkeit des Lagers zwangsläufig erhöhen. Und so wurden beim anschwellenden Strom der Abfälle die Fässer mit dem strahlenden Müll per Frontlader in die Kammern geschoben und abgekippt, dann kam eine Schicht Salz darüber und dann die nächste Schicht Fässer. »Einpökeln« nannte das der damalige Betriebsleiter und war stolz auf das Verfahren, sparte es doch Zeit und Geld. Zeitweilig wurde sogar erwogen, auch hochaktiven Müll – etwa Graphitkugeln aus dem Hochtemperaturreaktor in Hamm – in den Kammern zu versenken, aber dann erschien die Gefahr einer Carnallitschmelze durch die Wärmeabstrahlung doch zu groß.
Nachdem 1979 die Einlagerung gestoppt war, änderte sich auch das Anforderungsprofil an ein Endlager. Um zukünftige Generationen nicht zu gefährden, so hieß es jetzt, müsse es stabil, hitzebeständig und belastbar sein sowie undurchlässig für Wasser oder Gase – lauter Ausschlusskriterien für die Asse. Aber erst 2009 verabschiedete sich der Bund von dem Ziel, aus der Salzgrube ein Endlager zu machen.
Was allerdings kein Problem beseitigte, denn das Chaos im Stollen besteht fort. Als bei einer Bestandsaufnahme die Kontrolleure eine Kammer über ein 30 Meter langes Bohrloch per Kamera und Messfühler erkundeten, sahen sie verschobene Betondeckel und zerquetschte Fässer, aus denen der Inhalt ausgelaufen war. Der Berg arbeitet weiter. Er presst die Hohlräume in der Salzschicht zusammen, in der Laugenblasen wandern, deren Fließrichtung und -geschwindigkeit nicht bestimmbar sind. Und nun soll ein noch zu bohrender Schacht den Zugang zu den strahlenden Fässern ermöglichen, um sie mit noch zu konstruierenden Greifanlagen aus dem Salz zu heben und in ein noch zu bauendes Zwischenlager zu bringen, bevor sie in ein Endlager verbracht werden können, zu dem der benachbarte Schacht Konrad, eine Eisenerzgrube in Salzgitter, ausgebaut werden soll.
Das dauert und kostet. In der Asse derzeit 100 Millionen Euro jährlich, bis zur Säuberung vom Müll geschätzte fünf Milliarden insgesamt. Beim Konrad soll es etwas billiger werden – derzeit geschätzte 3,4 Milliarden Euro. Ob das so kommen wird, ist offen. Ein Mitarbeiter der Betreibergesellschaft sagte mal zu Journalisten: »Zur Wahrheit gehört: Wir wissen nicht, ob wir es schaffen. Wenn wir höhere Wassermengen haben, die zutreten, schaffen wir es nicht.« Dann müsste die Asse geflutet werden, um einen Einsturz zu verhindern, und damit könnte die Radioaktivität ins Grundwasser gelangen – der worst case.
Diesmal ist es noch gutgegangen. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung meldete Anfang Juni, der Wasserzutritt habe die übliche Menge nur geringfügig überschritten. Glück gehabt.
Werner Heine schrieb in konkret 12/15 über die Möglichkeit, die Finanz- und Wirtschaftskrise mit Keynes zu erklären