Lehn dich an

Eine Sommerromanze von Wieland Schwanebeck.

Sämtliche Zitate entstammen dem Handbuch sowie den vorinstallierten Sprachbotschaften des Brain-Light-Massagesessels.

Ich war ja immer skeptisch, was diese ganzen Weichzeichner-Filmromanzen angeht mit ihren blütenblattumkränzten Badewannen. Arg lebensfern fand ich besonders das Motiv der seriellen Eheauszeit, wenn sich also zwei in festen Beziehungen gebundene Partner einmal im Jahr von ihren jeweiligen Angetrauten entfernen, um in malerischen Urlaubsorten einer Zweitbeziehung zu frönen. Gesehen unter anderen in »Avanti, Avanti!« oder »Nächstes Jahr, selbe Zeit«, na, und in diesem dritten Film, wie hieß er noch? »Letztes Jahr in Marienbad«? Egal.

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Aus der Pimpfenwelt

Von der NS-Propaganda zum »Derrick«-Autor: Das Leben Herbert Reineckers ist ein Muster nachkriegsdeutscher Karrieren. Von Gerhard Henschel

Im Jahre 1990, auf der Höhe seines internationalen Ruhms, bekannte der Drehbuchautor Herbert Reinecker: »Wenn mich heute jemand fragt: Wann bist du jemals glücklich gewesen?, dann lautet meine Antwort: in den Jahren ’35 bis ’39.« Der junge Reinecker, Jahrgang 1914, hatte sich seinerzeit im Dienst des Presse- und Propagandaamts der Reichsjugendführung als brauchbarer journalistischer Scharfmacher bewährt und rasch Karriere gemacht. 1936 wurde er als »Hauptschriftleiter« der Hitlerjugend-Zeitschrift »Der Pimpf« bestallt, und er ging schon bald, wie man in seinem 1990 veröffentlichten »Zeitbericht unter Zuhilfenahme des eigenen Lebenslaufs« nachlesen kann, bei Kranzler und bei Adlon ein und aus.

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Staat der Emanzipation

Im Kampf um kürzere Arbeitszeiten steckt immer auch ein utopisches Moment. Von Stefan Dietl

Vor genau vierzig Jahren erstritten IG Metall und IG Druck und Papier mit dem Slogan »Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen« und unter dem Logo einer lachenden Sonne den Einstieg in die 35-Stunden-Woche. Zehntausende beteiligten sich im Frühjahr und Sommer 1984 an den Streiks für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden. Die Arbeitgeberverbände stellten sich, wie auch die schwarz-gelbe Bundesregierung, vehement gegen die Forderung der Gewerkschaften, und Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete die 35-Stunden-Woche als »dumm, dreist und töricht«.

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VON 10/24

»Man soll die Feste fallen lassen, wie man sie feiern will«, hatte Hermann L. Gremliza anlässlich des dreißigsten Geburtstags der neuen konkret 2004 geschrieben:

konkret, als Zeitschrift für Politik und Kultur Mitte der Fünfziger von jungen, verbotenen Kommunisten gegründet, dann von einem vorübergehend zum Nationalkommunisten konvertierten Hitlerjungen usurpiert und in den besten Jahren von den Kolumnen der Ulrike Meinhof geprägt, war im November 1973 in Konkurs gegangen. Die nächste Ausgabe der Zeitschrift erschien im Oktober 1974 im Neuen konkret Verlag. Dessen Gründer ist seit dreißig Jahren Herausgeber der ältesten und am weitesten verbreiteten linksradikalen Zeitschrift in Deutschland, die, wenn kein Weltuntergang dazwischenkommt, in drei Jahren fünfzig wird.

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Die Kinder aus Korntal

Dokumentarfilm. Regie: Julia Charakter; Deutschland 2023, 

90 Minuten, ab 26. September im Kino  

Dunkel, Nebel, Winter, ein Zug fährt kreischend ein. Detlev Zander wartet auf dem Bahnsteig. »Manchmal hab’ ich mich gefragt, wie ich das überlebt hab’. Dass ich heute wirklich offen reflektiert darüber sprechen kann.« Er ist viel unterwegs, ist Sprecher des Beteiligtenforums für die Betroffenen von sexuellem Missbrauch der Evangelischen Kirche Deutschlands.

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Was uns frisst

Heute wird einer wie er »umstritten« genannt und totgeschwiegen, in den Sechzigern und Siebzigern musste man ihn noch totschlagen. Totgeschlagen wurde der Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini am 2. November 1975. Zuvor ließ ihn Italien Spießruten laufen. 

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Hausmeister der Reserve

»Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren!« Als Christian Lindner am 19. November 2017 mit diesem nach kommunistischer Fundamentalopposition klingenden Satz die Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition scheitern ließ, da ahnte man schon: Der Mann, obwohl noch nie in Regierungsverantwortung, versteht was vom Falsch-Regieren. Seit Dezember 2021 gibt sich der FDP-Vorsitzende nun als Finanzminister redlich Mühe, diese seine Kompetenz umfassend unter Beweis zu stellen.

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Steuermann Sarrazin

 Wer wissen will, was los ist, lese das Buch von Kathrin Hartmann, Öl ins Feuer. Wie eine verfehlte Klimapolitik die Globale Krise vorantreibt (Rowohlt, Hamburg 2024), denn mit dem Kapitalismus als Retter der Welt verhält es sich wie mit dem Bock, den eins zum Gärtner macht. Wer lieber nicht wissen will, was los ist, aber natürlich mitreden, greife besser zu Thilo Sarrazins neuem Werk Deutschland auf der schiefen Bahn: »Der IPCC-Bericht klammert den Einfluss der Bevölkerungsvermehrung auf den Anstieg der Treibhausgase vollständig aus sowie auch, dass der überwiegende Teil der Katastrophen, die vor allem die Menschen im Globalen Süden immer wieder heimsuchen, weitaus eher auf die Bevölkerungsvermehrung als auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen ist.«

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Göttlicher Sex

Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin widmet sich der religiösen und künstlerischen Auseinandersetzung im Judentum mit Sexualität. Von Sabine Lueken

Augen, Arme, Hände, Brüste, Penisse, Vulven, Hodensäcke, Tropfen von Körpersäften, Sperma, Blut, Schleim, alles gehäkelt aus Wolle, in Rosa, Weiß, Braun, Lila, Gelb und Rot, zu einem großen Ball geformt: Das »Tumtum« (Gil Yefman, 2023) wirkt fröhlich und harmlos, fast albern, aber es steckt mehr dahinter. In der Mischna, der Niederschrift der mündlichen Tora, ist das Tumtum eine Person, deren Geschlechtsorgane verborgen sind, anders als beim Androgynos, dessen Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist.

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Bayerische Ermittlungen

Die Flugblattaffäre war für Hubert Aiwanger nach einer guten Woche überstanden. Ende August 2023 veröffentlichte die »Süddeutsche Zeitung« Auszüge aus dem Naziflugblatt, mit dem Hubert Aiwanger als Gymnasiast erwischt worden war, Anfang September erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Sache für erledigt, und Anfang Oktober legten Aiwangers Freie Wähler bei der Landtagswahl gut vier Prozent zu. Einen ehemaligen Lehrer, der seinerzeit Mitglied des Disziplinarausschusses war, der den Schüler Aiwanger milde davonkommen ließ, verfolgt der bayerische Staat dagegen immer noch.

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