Kopf ab!

»Hinsichtlich des Gaza-Kriegs gibt es eines, was der UN-Menschenrechtsrat ganz bestimmt nicht will: eine unabhängige, unvoreingenommene Untersuchung«, schrieb Stefan Frank in konkret 4/15 anlässlich des damaligen Gaza-Kriegs. Anlässlich des aktuellen soll nun das juristische Organ der UN, der International Court of Justice, darüber befinden, ob Israels Militäreinsatz gegen die Völkermord-Konvention verstößt. 
 
Am 23. März hätte dem UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) in Genf der Bericht über den Gaza-Krieg des letzten Jahres präsentiert werden sollen. Aber weil die zuständige Untersuchungskommission um eine Fristverlängerung gebeten hat, ist die Vorlage des Berichts auf Juni verschoben worden. Geplant ist eine Neuauflage des diskreditierten Goldstone-Berichts von 2009, dessen Aussagen über angeblich von Israel im Krieg gegen die Hamas 2008/09 verübte Kriegsverbrechen widerlegt worden waren, unter anderem später von Goldstone selbst.  
Der Goldstone-Bericht war die moderne Form des Blutgerüchts (die Juden töten christliche Kinder, weil sie deren Blut brauchen); dieses trug jetzt sozusagen das Siegel der Vereinten Nationen. Eine UN-Kommission hatte vermeintlich bewiesen, dass Juden tatsächlich so böse sind, wie es die Antisemiten schon immer behauptet haben. Zu diesem Schluss kam sie freilich nicht durch Recherchen; der Bericht war, wie Alex Feuerherdt in konkret 11/09 zeigte, lediglich eine Collage von Propagandamaterial einschlägiger antiisraelischer NGOs, deren Behauptungen für bare Münze genommen wurden, während gegenteilige Darstellungen nicht zur Kenntnis genommen wurden. Die Hamas wurde damals durch vage und mehrdeutige Formulierungen entlastet. Ein Beispiel: »Obwohl von der Mission gesichtete Berichte glaubwürdig darauf hindeuten, dass Mitglieder palästinensischer bewaffneter Gruppen nicht immer auf eine Art gekleidet waren, die sie von Zivilisten unterschieden hätte, fand sie keinen Beweis dafür, dass palästinensische Kombattanten sich mit der Absicht unter die Zivilbevölkerung gemischt hätten, sich vor Angriffen zu schützen.«  
Man sollte den Satz zweimal lesen: Jemand, der zivile Kleidung trägt, während er Raketen abfeuert oder an Gefechten teilnimmt, tut das selbstverständlich in der Absicht, als Zivilist zu erscheinen, als solcher getarnt zu sein. Und die Angriffe der Hamas erfolgten nicht etwa von unbewohntem Gebiet aus – obwohl dieses im Gazastreifen reichlich vorhanden ist – , sondern aus Wohngebäuden und Hinterhöfen; Ziel der Hamas war es, von der Zivilbevölkerung ununterscheidbar zu sein. Sie macht ja auch keinen Hehl aus der Verwendung menschlicher Schutzschilde: »Die Methode, dass Menschen sich den israelischen Kampfflugzeugen mit ihren bloßen Körpern entgegenstellen, um ihre Häuser zu schützen, hat sich als effektiv erwiesen«, sagte Hamas-Sprecher Sama Abu Zuhari während des letzten Kriegs im Hamas-Fernsehen.  
Die Hamas kennt keine andere Art der Kriegführung als den »totalen Krieg«. Jeder Jude wird als legitimes Ziel angesehen (der der Muslimbruderschaft nahestehende Fernsehprediger Scheich Jussuf al-Qaradawi hat in einer Fatwa ausdrücklich festgestellt, dass es unter israelischen Juden keine Zivilisten gebe), und jeder Muslim wird dazu aufgerufen, sich am Krieg zu beteiligen. Dass »eigene« Zivilisten dabei ums Leben kommen, wird von der Hamas absichtsvoll in Kauf genommen, denn das schadet Israel im Propagandakrieg, den die Hamas gleichzeitig führt. Den Angehörigen von Getöteten im Gazastreifen erzählt sie, dass sie sich glücklich schätzen dürften, »Märtyrer« in ihrer Mitte zu haben – die in Wirklichkeit gar nicht tot seien, sondern im Paradies.  
Angesichts einer Partei (Israel), die nachweisen kann, dass sie bemüht ist, die Zivilbevölkerung zu schonen, und einer zweiten (Hamas und Islamischer Jihad), die selbst sagt, dass sie alle Zivilisten der anderen Seite auslöschen will, wäre schon die Einhaltung eines gleichen moralischen Abstands zu beiden Parteien nur unter völliger Verfälschung der Wirklichkeit und der Aufgabe jeglicher Moral möglich. Die Wirklichkeit aber ist noch ärger: Israel wird bezichtigt, schlimmste Kriegsverbrechen zu verüben – aus purer Boshaftigkeit, so sind die Juden eben; die Verbrechen der Terrorgruppen hingegen spielen, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle.  
In einem Artikel, den Goldstone im April 2011 in der »Washington Post« veröffentlichte, widerrief er nicht nur die Behauptung des nach ihm benannten Berichts, demzufolge Israel absichtlich Zivilisten getötet habe, sondern enthüllte auch, dass die Untersuchungen, die zu jenem Ergebnis geführt haben, in Wirklichkeit nie stattgefunden hatten: »Unsere Mission war in keiner Weise eine juristische oder auch nur quasijuristische. Wir haben kein kriminelles Verhalten von irgendeinem Individuum in Israel, Gaza oder der Westbank untersucht. Wir haben unsere Empfehlungen auf uns vorliegendes Material gestützt … Unsere wichtigste Empfehlung war, dass jede Partei die in unserem Bericht erwähnten Vorfälle transparent und in guter Absicht untersuchen solle. Laut McGowan Davis (Name eines im April 2011 veröffentlichten Berichts des UNHRC; S. F.) hat Israel das zum großen Teil getan, die Hamas hat nichts getan.« Das hat Goldstone enttäuscht. »Zumindest hatte ich gehofft, dass die Hamas angesichts klarer Beweise für ernsthafte Kriegsverbrechen von seiten ihrer Mitglieder ihre Angriffe einstellen würde.« »Traurigerweise« sei auch dies nicht geschehen. »Hunderte weitere Raketen und Mörsergranaten wurden auf zivile Ziele im Süden Israels abgefeuert. Dass vergleichsweise wenige Israelis von den rechtswidrigen Raketen- und Mörserangriffen aus Gaza getötet wurden, mindert in keiner Weise deren verbrecherischen Charakter. Der UN-Menschenrechtsrat sollte diese Greueltaten in den stärksten Worten verurteilen.«  
Was dieser selbstverständlich nicht tat. Schließlich ist sein einziger Zweck, Israel zu verurteilen. Israel ist das einzige Land der Welt, das Thema jeder Sitzung des UNHRC ist, und das einzige Land, das dieser verurteilt. Werden die 25 Staaten der Anti-IS-Koalition für ihren Kampf gegen den Terrorismus gerügt? Nein.  
Die Vereinten Nationen sind korrupt. In der UN-Generalversammlung gibt es 56 islamische Staaten, und sie machen aus dem Stimmenhandel kein Geheimnis, sagt Hillel Neuer, Chef der in Genf ansässigen Menschenrechtsorganisation UN Watch, die seit Jahren die antiisraelische Schlagseite der Uno anprangert. »Sie sagen zum Beispiel zu Brasilien: Ihr stimmt für unsere Anti-Israel-Resolutionen und veröffentlicht Anti-Israel-Verlautbarungen, dann werden wir euch im Gegenzug politische Unterstützung geben und für eure Resolutionen stimmen. Das passiert immer und überall. Auch wenn ein Land im Nahostkonflikt gar keine Interessen hat, ist es realpolitisch nun einmal so: Die haben 56 Stimmen und treiben einen zynischen Handel damit.« Ein weiterer Grund sei das arabische Öl.  
Und so gibt es in der UN-Vollversammlung einen Block von 120 Ländern, die ganz automatisch für jede eingebrachte Anti-Israel-Resolution stimmen. Die Dominanz der islamischen Staaten überträgt sich auf alle UN-Gremien, insbesondere den UN-Menschenrechtsrat, wo Vertreter von Sklavenhalterstaaten wie Qatar und Saudi-Arabien sitzen. Ohne Gegenstimme wurde Qatar letztes Jahr in den Rat gewählt und erhielt – wie das bei Wahlen dort üblich ist – nicht nur alle Stimmen, sondern viel Lob: »China schätzt die Anstrengungen, die von Qatar zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte unternommen werden«; »der Iran preist Qatar für seine soziale Entwicklung und für die Verbesserung der Lage der Frauen«; »die Türkei lobt den Fortschritt, den Qatar bei Menschenrechten erzielt hat« und so weiter.  
Hinsichtlich des Gaza-Kriegs gibt es eines, was der UN-Menschenrechtsrat ganz bestimmt nicht will: eine unabhängige, unvoreingenommene Untersuchung. Das hat er bereits klargemacht, als er die zuständige Kommission ins Leben rief. In der Resolution S-21/1 vom 23. Juli 2014 wird Israel bereits für schuldig erklärt. Der jüdische Staat wird »in den schärfsten Worten« dafür verurteilt, »in großem Stil systematische und grobe Menschenrechtsverletzungen« begangen zu haben, darunter das »Zielen auf Zivilisten und ziviles Eigentum« als Form einer »kollektiven Bestrafung, die internationalem Recht widerspricht«, »unverhältnismäßige und unterschiedslose Angriffe«, »gravierende Verstöße gegen die Menschenrechte der palästinensischen Zivilbevölkerung« und »militärische Aggression«. Die Resolution erwähnt Israel 18mal, die Hamas kommt nicht vor.  
Fragt man, wie es möglich ist, dass Richard Goldstone selbst später ein scharfer Kritiker des nach ihm benannten Berichts wurde, findet man hier die Antwort: Er hatte gar keinen Einfluss auf den Text. Nicht Goldstone – der sich 2006 durch seine Ermittlungen zur Korruption in der Uno beim »Öl-gegen-Nahrung-Programm« mit dem Irak einen Namen gemacht hatte – führte die Feder, sondern Personen im Genfer Büro des UNHRC, die durch ihre langjährigen Anti-Israel-Aktivitäten bekannt waren, vor allem auf dem Gebiet des lawfare, dem juristischen Krieg gegen Israel. Die meisten sind Absolventen englischer Universitäten und gehören zu Amnesty International; Hass auf Israel ist ihr Spezialgebiet.  
Goldstone war nur der – jüdische – Pappkamerad. Für die neue antiisraelische Schmiererei hatte der UNHRC eigentlich Amal Clooney anwerben wollen. Sie ist eine renommierte Juristin und Ehefrau des Hollywoodstars George Clooney. Nachdem sie abgelehnt hatte – eine Schmach für den UNHRC – , entschied man sich für den Kanadier William Schabas. Der hatte sich 2011 bei einer antiisraelischen Schauveranstaltung, dem »Russell-Tribunal zu Palästina«, empfohlen: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir eine weitere Gelegenheit geben, unter Beweis zu stellen, wie sehr ich dem Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes verpflichtet bin, und meine Überzeugung auszudrücken, dass internationales Recht gegen Israel eingesetzt werden kann … Am liebsten würde ich Netanjahu auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) sehen.«  
Als Reporter ihn fragten, warum ausgerechnet Netanjahu, nannte Schabas den – zu dieser Zeit bereits widerlegten – Goldstone-Bericht: Kein Israeli sei je vom ICC wegen der Operation Cast Lead angeklagt worden. Netanjahu allerdings war während dieses Kriegs gar kein Mitglied der israelischen Regierung. Schabas verspürt also nicht nur das dringende Bedürfnis, Juden anzuklagen, er will sie notfalls auch solcher Taten bezichtigen, die sie schlechterdings nicht begangen haben können. Wer also wäre nützlicher darin, offiziell die »Untersuchung« zum Gaza-Krieg zu leiten?  
»Ich habe die Parteilichkeit mit eigenen Augen gesehen«, sagt Hillel Neuer. »Als ich mich am 17. September 2014 mit der Schabas-Kommission traf, um eine schriftliche Petition zur Ablehnung von Schabas einzureichen, waren nur zwei Mitarbeiter im Raum, beide aus der arabischen Abteilung des Hohen Kommissars für Menschenrechte: Die eine war Frej Fenniche, eine Tunesierin, die 2001 Sprecherin der berüchtigten antisemitischen Durban-Konferenz für Rassismus gewesen ist. Die andere war Sara Hamood, eine ehemalige Sprecherin von Unispal (United Nations Information System on the Question of Palestine; S. F.), dem am stärksten antiisraelischen Komitee der Uno. Hamood hat auch für Oxfam Novib gearbeitet und dort einseitige Berichte gegen Israel verfasst. Diese beiden haben die weiteren Mitarbeiter angeheuert.«  
Renommierte Völkerrechtler forderten Schabas wegen seiner offensichtlichen Befangenheit zum Rücktritt auf. Der aber sah dafür keinen Grund. Erst als im Februar 2015 publik wurde, dass die PLO ihn für das Erstellen von Rechtsgutachten bezahlt, räumte er den Posten. Für Joachim Rücker, den Vorsitzenden des UNHRC (und früheren Chef der Unmik-Mission im Kosovo) reicht das, um der Schabas-Kommission einen Persilschein auszustellen: »Selbst der Anschein eines Interessenkonflikts wird so vermieden und die Integrität des Prozesses bewahrt.« Das ist lustig. Wie kann, nachdem der Leiter der Kommission der Parteilichkeit überführt wurde, der Bericht, an dem er mitgewirkt hat, ohne Revision veröffentlicht werden? Weil das Ergebnis von Anfang an feststand und es egal ist, wer seinen Otto druntersetzt.  
Der UNHRC »ermittelt« und »untersucht « ebensowenig, wie es der Volksgerichtshof tat. Wie beim »Russell-Tribunal« wird ein Schauprozess gegen Israel geführt; in beiden Fällen geht es nicht um Beweise, sondern allein um Verurteilung und Strafe. Solche Schauprozesse sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, man denke an die Inquisition. Im Mittelalter gab es zudem sogenannte Disputationen, bei denen ein christlicher Kleriker und ein jüdischer Gelehrter öffentlich darüber stritten, wer den rechten Glauben vertritt. Es gewann immer der Christ. Im Spanien des Jahres 1263 aber war ein Jude namens Nachmanides in einer viertägigen Disputation so erfolgreich, dass Barcelonas Juden ihn baten, er solle aufhören, sonst würde es ein Pogrom geben. Der König befahl ihm fortzufahren und erklärte ihn am Ende sogar zum Sieger: »Noch nie ist eine ungerechte Sache so ritterlich verteidigt worden.« Die Dominikaner aber behaupteten, sie hätten gewonnen, und drängten den König, Nachmanides zu verbannen. Dieser musste Spanien schließlich verlassen und verbrachte den Rest seines Lebens in Jerusalem. 
 
Stefan Frank schrieb in konkret 2/15 über die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Kuba