E wie Exploitation

Die FDP will von synthetischem Benzin nicht lassen und legt sich dafür sogar mit der EU an. Stefan Dietl erklärte in konkret 9/22, woher die Liebe der Liberalen zum E-Fuel kommt.

Mit jährlichen Umsätzen von mehr als 410 Milliarden Euro ist die Automobilindustrie weiterhin der bedeutendste Wirtschaftszweig in Deutschland. 4,7 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung werden dort erwirtschaftet und etwa 1,6 Millionen Menschen arbeiten in der Branche. Das Bundeswirtschaftsministerium geht gar von 2,2 Millionen Arbeitsplätzen rund um die Automobilproduktion aus. Die Autobauer bilden zudem die Basis des deutschen Exportmodells. 2021 wurden 76,7 Prozent der in Deutschland gefertigten Pkw ins Ausland verkauft. 15,3 Prozent aller deutschen Exporte geht auf die Automobilindustrie zurück.

Kein Wunder also, dass die Beziehung zwischen den politischen Sachwaltern des Kapitals und der deutschen Leitindustrie besonders eng sind. Politiker jeglicher Couleur geben sich bei den deutschen Autobauern seit jeher die Klinke in die Hand, lassen sich beraten und greifen auf deren »Sachverstand« im Gesetzgebungsverfahren zurück.

Auf europäischer Ebene wacht die deutsche Bundesregierung mit Argusaugen über die Interessen des deutschen Exportmotors und blockierte schon so manche Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutzregelung.

Die Enthüllung der ZDF-Satiresendung »Die Anstalt«, dass Porsche-Fan Christian Lindner die Nummer des Vorstandsvorsitzenden des Sportwagenbauers wohl auf der Kurzwahltaste hat, um ihm regelmäßig Bericht zu erstatten, ist daher wenig überraschend. Auf einer Betriebsversammlung kurz nach den Koalitionsverhandlungen hatte der Porsche-Chef Oliver Blume mit seinem Einfluss in der Politik geprahlt. Es sei vor allem Porsche zu verdanken, dass die umstrittenen E-Fuels als Alternative zum Elektroauto im Koalitionsvertrag Erwähnung finden. »Der Christian Lindner hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten«, so Blume gegenüber den Beschäftigten. Die FDP dementierte prompt und verkündete, es habe keine engen Absprachen zwischen Lindner und Blume gegeben, sondern »im Oktober 2021 lediglich ein kurzes Telefonat zwischen Herrn Blume und Herrn Lindner«.

Ob Blume den Mund etwas zu voll genommen hatte, um vor seinen Untergebenen Eindruck zu schinden, ist jedoch zweitrangig. Entscheidend ist, dass es Blume gelang, sich durchzusetzen. Denn hinter der Posse namens Porsche-Gate steckt auch ein handfester Strategiekonflikt innerhalb der Automobilbranche.

Prinzipiell hat sich die deutsche Automobilindustrie mit dem nahenden Ende des Verbrennungsmotors abgefunden und investiert seit Jahren Milliarden, um ihren Rückstand in Sachen E-Mobilität aufzuholen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Doch die Zeit drängt. Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampelparteien, in Einklang mit den Beschlüssen der EU-Kommission, darauf geeinigt, ab 2035 keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Im Gegensatz zu den Vorgaben aus Brüssel mit einer entscheidenden Ausnahme: Fahrzeuge, die sich mit E-Fuels betanken lassen, sollen über 2035 hinaus neu zugelassen werden können.

E-Fuels sind synthetische Kraftstoffe, die vor allem wegen ihrer energieintensiven Herstellung umstritten sind. Je nach Experteneinschätzung braucht es rund 16 bis 27 Kilowattstunden Strom, um einen Liter des synthetischen Benzins zu produzieren. Mit derselben Menge kommen E-Autos bereits heute rund 100 Kilometer weit. Einzelne Fahrzeughersteller wie Porsche hoffen trotzdem, mit den E-Fuels den Verbrennungsmotor noch einige Jahre länger am Leben erhalten zu können. Dabei erweist sich deren massenhafte Produktion als größte Hürde. Trotz Jahren der Entwicklung gibt es bisher nur ineffiziente Pilotanlagen. Porsche will zwar mit der in Chile aufgebauten Anlage Haru Oni ab 2026 jährlich 550 Millionen Liter E-Fuels produzieren. Dafür aber müsste Haru Oni seine Kapazität in nur vier Jahren um den Faktor 4.230 steigern, was Experten für beinahe ausgeschlossen halten. Die angepeilten 550 Millionen Liter wären angesichts des derzeitigen deutschen Kraftstoffverbrauchs von circa 63 Milliarden Litern pro Jahr ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Im Gegensatz zu Porsche lassen die meisten deutschen Autoproduzenten deshalb die Finger von E-Fuels. Der langjährige VW-Chef Herbert Diess hält die Effizienz der Kraftstoffe für »extrem schlecht«. »Für die Herstellung braucht es viel Strom. Um ein paar Prozent lässt sich der Prozess vielleicht optimieren, aber die Größenordnungen bleiben: Wenn im Jahr 2030 einer für 10 Euro Strom tankt, um 500 Kilometer weit zu kommen, wird der E-Fuel-Fahrer 60 Euro ausgeben müssen«, so Diess gegenüber der »Süddeutschen Zeitung«.

Diess hat den VW-Konzern in den vergangenen Jahren voll auf E-Mobilität ausgerichtet und das strategische Ziel ausgegeben, VW zum Weltmarktführer für Elektrofahrzeuge zu machen. Damit verbunden ist eine umfassende Digitalisierungs- und Umstrukturierungsoffensive zu Lasten der Beschäftigten. Immer wieder machte Diess mit der Ankündigung von massiven Stelleneinsparungen von sich reden. Verunsicherung unter der Belegschaft und Dauerkonflikte mit dem Betriebsrat waren die Folge. Der VW-Aufsichtsrat wollte diese Eskalationsstrategie nicht länger mittragen – und holte ausgerechnet Oliver Blume von der Konzerntochter Porsche, um Diess zu ersetzen.

Ob mit dem Aufstieg von Blume an die Spitze des größten deutschen Automobilkonzerns auch ein Kurswechsel einhergeht und VW seine Anstrengungen im Bereich der E-Fuels erhöht, wird sich noch zeigen. Doch selbst wenn die synthetischen Kraftstoffe – allen Erwartungen zum Trotz - dem Verbrennungsmotor noch eine Galgenfrist verschaffen, führt am Siegeszug des E-Autos langfristig kein Weg mehr vorbei. Allein schon, weil immer mehr große Absatzsatzmärkte von China bis Indien verbindliche Herstellerquoten für E-Autos verlangen oder Verbrennungsmotoren gleich ganz verbieten.

Auch unter Blume wird VW deshalb - wie auch die anderen deutschen Autokonzerne - weiterhin Milliarden in die Weiterentwicklung ihrer E-Flotte stecken. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) rechnet mit Investitionen von 150 Milliarden Euro in Digitalisierung und Elektromobilität in den kommenden Jahren. Das Geld dafür soll wie bereits in den vergangenen Jahren von den Beschäftigten kommen. So will Daimler jährlich 1,4 Milliarden Euro im Personalbereich einsparen, um die »Zukunftsinvestitionen« zu finanzieren.

Elektromobilität, ihre Folgen für den Produktionsprozess und die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz werden deshalb auch in den Gewerkschaften heiß diskutiert. Die IG Metall als Interessenvertretung der Beschäftigten in der Automobilindustrie nimmt dabei eine ambivalente Rolle ein. Sie unterstützt ausdrücklich die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens und wirbt offensiv für eine »ökologische, soziale und demokratische Transformation«. Immer wieder jedoch kollidiert das Interesse der Beschäftigten am Erhalt tariflich abgesicherter Arbeitsplätze mit dem Wissen um die Notwendigkeit einer ökologischen Verkehrswende.

Bereits lange vor den Protesten von Fridays for Future drang die IG Metall auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der erneuerbaren Energien, aber auch auf Investitionen in die Elektromobilität und die Infrastruktur für das Aufladen strombetriebener Fahrzeuge. Andererseits agiert die IG Metall nicht selten als Verteidigerin des Verbrennungsmotors. Als sich die SPD 2020 gegen eine Kaufprämie für Pkw mit Verbrennungsmotor aussprach, liefen führende Funktionäre der IG Metall dagegen Sturm.

Der Grund dafür ist der mit der Transformation der Autoin­dustrie verbundene Verlust von Arbeitsplätzen. E-Autos benötigen weniger Teile, ihre Motoren sind einfacher zu bauen und ihre Fertigung kann leichter automatisiert werden. Der Umbau der Autobranche ist nicht zuletzt auch ein staatlich gefördertes Rationalisierungsprogramm. Die IG Metall geht von mittelfristig 180.000 gefährdeten Stellen in der Autoindustrie aus.

Welche Folgen diese Rationalisierung für die Beschäftigten und ihre gewerkschaftliche Kampfkraft hat, beschreibt unter anderem die rätekommunistische Gruppe La Banda Vaga aus Freiburg in ihren »Thesen zur Industrie 4.0«: Während die Zahl der IT-Experten aufgrund der digital gesteu­erten und vernetzten Produktion wachse, wird das Fachwissen vieler bisheriger Arbeiter entwertet. Das lässt selbst bei den Kernbelegschaften Entlassungsängste aufkommen und schwächt ihre Position in Arbeitskämpfen. La Banda Vaga folgert daraus, dass sich die Ausbeutung der Arbeitskraft im Zuge der Digitalisierung und des Übergangs zur Elektromobilität verschärfen wird.

Das befürchten auch viele Betroffene. Deshalb ist die Forderung der IG Metall, den Übergang zur Elektromobilität voranzutreiben, intern nicht unumstritten. Allerdings wäre es verfehlt, die Automobilarbeiter als uneinsichtige Bremser zu denunzieren, die den Klimawandel nicht ernstnehmen. Das zeigt unter anderem die im vergangenen Jahr erschienene Studie »E-Mobilität, ist das die Lösung?« der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auf Basis ausführlicher Interviews mit Gewerkschaftern aus der Automobilindustrie liefert sie einen Eindruck davon, was die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten denken und diskutieren.

Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung zeigen die Befragten ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Bedeutung der Klimafrage und gehen mit dem ökologischen Versagen der eigenen Branche hart ins Gericht. Ressourcenknappheit, die Pkw-Dichte in Ballungsräumen und die ökologischen Folgen der Autoproduktion spielen für sie eine große Rolle.

»Ich will also meinen Lebensstandard behalten, gleichzeitig darf die Ökonomie nie vor der Ökologie stehen, wenn wir unseren Planeten nicht kaputt­machen wollen«, lautet eines von zahlreichen Zitaten in der Studie. »Ein Großteil der Kollegen sieht das ähnlich. Wir haben einen Klimawandel, da muss man was machen.«

Eine ökologische Verkehrswende halten alle Befragten für notwendig, besonders einen starken Ausbau des ÖPNV. Einhellig äußern sie eine hohe Bereitschaft, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren, und eine nachlassende Begeisterung für das eigene Auto. Insgesamt konstatieren die Autoren der Studie eine »bemerkenswerte kritisch-reflektierte Produzentenintelligenz« im Hinblick auf die Umwelt- und Klimaprobleme. Die befragten Beschäftigten haben also nicht nur umfangreiches technisches und betriebliches Fachwissen, sondern betrachten auch die gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen der Automobilgesellschaft kritisch.

Doch auch die Sorge über die Entqualifizierung ihrer Arbeit, wie sie von La Banda Vaga angesprochen wird, zeigt sich in der Befragung. Immer wieder kollidiert das Interesse am Erhalt tariflich abgesicherter Arbeitsplätze mit der beschriebenen kritisch-reflektierten Produzentenintelligenz. »Da wird im Kopf durchdacht: Was ist wichtiger? Mein Arsch oder das Klima?« bringt einer der Befragten das Dilemma auf den Punkt.

Im Gegensatz zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sehen das E-Auto nur die wenigsten positiv. Die Zweifel an dessen Umweltverträglichkeit sind groß – viele Befragte führen beispielsweise die Verlagerung von Rohstoff- und Entsorgungsproblemen in den globalen Süden an. Die Autoren der Studie stellen zudem fest, dass bei den Beschäftigten der Glaube, durch das eigene Konsumverhalten gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen zu können, gering ist.

Mit ihrer Skepsis, was die Klimabilanz von Elektroautos und die Individualisierung einer gesamtgesellschaftlichen Frage anbelangt, dürfte das Urteil der Befragten wohl realistischer sein als das so mancher Propagandisten der E-Mobilität. Ebenso bei den vielfach geäußerten Einschätzungen, dass die Neue­rungen mit Verschlechterungen für die Beschäf­tigten einhergehen und die Kosten der Verkehrswende wohl auf die Arbeitenden abgewälzt werden.

Hier liegt auch der Grund für die von vielen Befragten geäußerte innergewerkschaftliche Kritik an der Strategie der IG Metall. Vielfach wird das Fehlen eigenständiger gewerkschaftlicher Transformationsansätze kritisiert: Man orientiere sich zu stark an der Expertise und Analyse der Unternehmensseite. Manche plädieren stattdessen für eine gewerkschaftliche Debatte über tiefergreifende gesellschaftliche Veränderungen und Alternativen zum Individualverkehr. Auf die Fähigkeiten der Politik, wenn es um notwendige Maßnahmen zum Klimaschutz und eine ökologische Verkehrswende geht, vertrauen die Beschäftigten kaum. »Der Verkehrspolitik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene wird einfach nicht zugetraut, dass sie einen adäquaten ÖPNV ermöglicht«, so das Fazit der Autoren der Studie.

Angesichts dieses berechtigten Misstrauens gegen die »eigenen« Unternehmen, das Co-Management der Gewerkschaften und die politisch Verantwortlichen ist es umso bedauerlicher, dass es keine relevante Linke gibt, die an das kritische Bewusstsein der Produzent/innen anknüpft.