Wertkritik: eine Richtigstellung

In konkret 11/22 erschien eine Replik Peter Schadts auf meine Abrechnung mit dem Krisenopportunismus der Linkspartei (konkret 10/22). Es wird schnell deutlich, dass diese Kritik vor allem gängige Gerüchte über die Wertkritik wiederkäut. Von Tomasz Konicz

Schadt baut in seiner Replik einen Pappkameraden auf, an dem er sich dann abarbeitet. Mitunter werden Begriffe und Argumentationsmuster, die in seinem Milieu gebräuchlich sind, schlicht der Wertkritik übergestülpt. Schadt lässt sich gar nicht auf die Argumentation ein, folglich kann er sie gar nicht widerlegen. Was er „widerlegt“, ist ein von ihm heraufbeschworenes Klischee der Wertkritik.

Diese Aneinanderreihung von Unterstellungen und Halbwahrheiten nimmt teilweise komische Züge an. Schon der Titel ist amüsant, der mich als naiven „Weltgeistjäger“ abstempelt, der, von der „Hoffnung auf bessere Verhältnisse“ beseelt, den „Weltgeist“ auf der „Seite der Antikapitalisten“ wähnt. Schadt weiß nicht, was Wertkritik ist, und er will es auch nicht wissen; eine Langfassung der in konkret publizierten Kritik, die Schadt kurze Zeit auf seiner Facebook-Seite teilte, widerspricht seiner Unterstellung direkt:

Da es kein „revolutionäres Subjekt“ gibt, da kein Weltgeist im Verborgenen der „List der Geschichte“ zum Durchbruch verhilft, ist die Frage des Krisenbewusstseins entscheidend.

Schon aus diesem Zitat wird ersichtlich, dass ich den Ausgang des anstehenden, ergebnisoffenen Transformationsprozesses von der Art und Weise abhängig mache, wie die Menschen in den anstehenden Transformationskämpfen handeln, kämpfen und sich organisieren werden. Deswegen ist die „Frage des Krisenbewusstseins entscheidend“ - und nicht irgendein Weltgeistspuk, der meinen Kritiker umzutreiben scheint.

Ähnlich verhält es sich mit der Behauptung, ich jammerte, die Linkspartei verhindere die „Revolution“. Über Revolutionen mag Schadt schreiben, ich tue das nicht. Ich benutze - und so viel Recherche muss bei einer Polemik schon sein – das Wort Transformation, also einen Begriff, der den vielen Unbekannten der kommenden Erschütterung Rechnung trägt. Dieser offene Prozess kann in eine emanzipatorische oder eine reaktionäre Richtung gelenkt werden oder in den zivilisatorischen Kollaps eines Großkrieges münden.

Selbstverständlich kann man der Ansicht sein, Begriffe wie Transformation und Transformationskampf seien Unsinn, aber hierzu müssen diese erstmal als solche zur Kenntnis genommen und begriffen werden.  Was hat es also mit Transformation, Transformationskampf und Krisenbewusstsein auf sich, die Schadt nur als „Revolution“ und „Weltgeist“ begreifen kann?

Ohne radikales Krisenbewusstsein, ohne eine breite, emanzipatorische Bewegung, die bewusst um den Transformationsverlauf kämpft, wird eine autoritäre, faschistische Krisenverwaltung an Bedeutung gewinnen. Dann wird das System letztlich zusammenbrechen, wie es in der Peripherie schon oftmals der Fall ist - und dieser zivilisatorische Kollaps würde auch die letzte Niederlage der Linken markieren. Das Wahrnehmen dieser sozioökologischen Systemkrise, der inneren und äußeren Schranke des Kapitals, der eigentlich schon einsetzenden Transformation hat nichts mit irgendwelcher Revolutionsromantik zu tun.

Ohne offensive Thematisierung der Systemkrise in ihrer ökologischen wie ökonomischen Dimension geraten auch alle Forderungen nach Umverteilung, wie sie die Linkspartei äußert, zur bloßen Demagogie. Der Klassenkampf und die Interessen der daran beteiligten Subjekte an Verteilung des Mehrwerts sind deswegen hohl, weil die ökologischen und ökonomischen Fundamente des Verwertungsprozesses vor aller Augen erodieren. Es ist eine opportunistische Lüge, mit Umverteilung ließe sich die Mehrfachkrise, in der das System sich befindet, lösen: Soziale wie „reformistische“ Forderungen und Kämpfe hätten nur als Teilmoment eines bewusst geführten Transformationskampfes Sinn. Der Klassenkampf als emanzipatorisches Teilmoment eines Transformationskampfes hätte zum Ziel, die Überführung der subjektlosen Herrschaft des Kapitals in neue postkapitalistische Herrschaftsverhältnisse, in eine zwischen „Mad Max“ und „1984“ angesiedelte Dystopie zu verhindern.  

Das Thematisieren der Systemkrise würde schon deshalb Widerhall finden, weil die meisten längst spüren, dass das System am Ende ist und eine Transformation ansteht. Der Kampf um den Verlauf der Transformation wäre die große Klammer, die verschiedene, oftmals in binnenkapitalistische Konkurrenz tretende Bewegungen vereinen könnte (Sozial-, Klima-, Antifabewegung, Proteste gegen Demokratieabbau oder Diskriminierung, etc.).

Schadt jedoch stellt die Systemkrise zumindest implizit in Abrede, indem er den Green New Deal als einen Ausweg aus der sozialen und ökonomischen Sackgasse des Kapitals anpreist. Der Green New Deal, ein zentrales ideologisches Vehikel des politischen Aufstiegs der Grünen, wird seit Dekaden propagiert. Doch ein Blick auf die Empirie, auf permanent global steigende CO2-Emissionen, auf die weiterhin schneller als die Weltwirtschaftsleistung steigende globale Verschuldung, müsste eigentlich genügen, um selbst im linken Gewerkschaftsmilieu, selbst in der orthodoxen Linken leise Zweifel an dessen Machbarkeit aufkommen zu lassen. Ach was, selbst ein Waldspaziergang im „Herbst“ des Jahres 2022 müsste da genügen. Da sind selbst die Ideologieproduzenten der Grünen weiter. Die „Taz“-Redakteurin Ulrike Herrmann sieht den Kapitalismus in ihrem neuesten Buch, auch in seiner ökologischen Variante, am Ende. Grünes Wachstum sei gescheitert, so Herrmann (siehe dazu konkret 12/2022).  Herrmann arbeitet - als ideologische Avantgarde - schon an einer Umetikettierung der drohenden autoritären Krisenverwaltung zur Systemalternative, an einem Rebranding des Krisenkapitalismus („Kriegswirtschaft“), während die linksparteinahe Linke selbst in der Ideologieproduktion konservativ hinterherhinkt. Es ist ein deutsches Elend.

Ähnlich anachronistisch geht Schadt bei seiner Auseinandersetzung mit dem Fetischismus vor, der zu einer „Theorie der allgemeinen Handlungsunfähigkeit“ erklärt wird, in der die Wertkritik alle Marktsubjekte, vom Tagelöhner bis zum Bonzen, für „arme Schweine“ halte. Schließlich hätten sich weder „Auto- noch Energie-Industrie“ dem Ziel verschrieben, „den Planeten auch für Pakistani und Afghanen bewohnbar zu bewahren“. Eine klare Durchsage an den Autor: Der Verwertungsprozess ist auch gegenüber der Überlebensfähigkeit des deutschen Proleten indifferent. Das nennt man einen Widerspruch. Der Kapitalismus ist voll davon. Und es ist eine von der Wertkritik immer wieder betonte Tatsache, dass das Kapital die sozialen und ökologischen Folgen seiner Verwertung nicht berücksichtigen kann. Die evidente „Handlungsunfähigkeit“ angesichts der Klimakrise resultiert aber aus der Unfähigkeit des Staates, noch in seiner Funktion als ideeller Gesamtkapitalist zu agieren, um durch gesetzliche Regelungen ein Abdriften in die Klimakatastrophe zu verhindern.  (Deswegen benutze ich auch den Begriff „Funktionseliten“, was ja die Sphäre des Politischen einschließt.) Und gerade deshalb muss der bewusste Bruch mit dem an seinen Widersprüchen zugrunde gehenden System gesucht werden.

Was hat es nun mit der „Handlungsunfähigkeit“ der Funktionseliten auf sich? Gerade in Krisenzeiten, wenn „Marktbeben“ und „Finanzstürme“ ganze Regionen verwüsten, wird die Ohnmacht der kapitalistischen Funktionseliten gegenüber dem in sich widersprüchlichen „automatischen Subjekt“ evident. Doch auch das einzelne Marktsubjekt - der Kapitalist oder der Selbstständige - kann sich nur als Pseudo-Subjekt betätigen, wenn er den Automatismus des Kapitals zu perfektionieren trachtet. Hierbei, bei der Wahl der Mittel zur Profitmaximierung, hat er volle Handlungsfreiheit. Wenn er sich nicht mehr bemüht, diesen Automatismus zu perfektionieren, wird er in der Tat zum armen Schwein.

Das heißt nicht, dass Marktsubjekte, durch deren Agieren die Widersprüche des Automatismus des Verwertungsprozesses exekutiert werden, nicht für ihre Handlungen verantwortlich wären. Sie machen ja, was „einfach“ oder „notwendig“ ist, da es dem Verwertungszwang des Systems entspricht oder diesen befördert. Allgemein gilt, dass Systemzwänge sich deswegen durchsetzen, weil es - solange die ihnen inhärenten Widersprüche nicht in Krisenschüben kulminieren - einfacher ist, ihnen zu folgen, als gegen sie zu opponieren.

Es bleibt nur noch Schadts Hinweis, dass die Linkspartei – anders als die Grünen - radikale Kritik nicht verdiene, weil sie zu klein und unbedeutend sei, um einer „Revolution“ im Weg stehen zu können. Schadt blendet hier die Stellung dieser Partei als größte, formell oppositionelle Kraft der erodierenden Linken aus, die sich selbstverständlich alle Mühe gibt, sich mittels sozialer Demagogie den Funktionseliten als Oppositions- und Bewegungsmanager anzudienen. Die Linkspartei liebt es ja bekanntlich, sich in die große Opferpose zu werfen.