Jenseits der Stille

Der Komponist und Oscar-Preisträger Hans Zimmer gilt manchen als »Visionär« und »kreatives Genie«. An seiner Musik kann das nicht liegen. Markus Ströhlein in konkret 1/22

 

Der Auftraggeber zeigte sich zufrieden. »Die Zukunft der Fahrfreude ist elektrisch, lokal emissionsfrei und zugleich von einer BMW-typischen Sportlichkeit geprägt, die sich nicht nur in dynamischen Fahreigenschaften, sondern auch in einem emotionsstarken Klangerlebnis ausdrückt«, verlautbarte der Automobilkonzern BMW im Juni anlässlich der Vorstellung der mit fremder Hilfe entwickelten Fahrgeräusche für eine Serie seiner E-Automobile.

Um die Kundschaft mit einem »charakteristischen Antriebssound« in den eigentlich leisen Elektroautos zu beglücken, hatte BMW Hans Zimmer verpflichtet. Dieser stellt hauptberuflich Musik für Filme her. Im Jahr 1989 wurde er für seine Musik zum Film »Rain Man« für den Oscar nominiert, für seine Mitarbeit an »Der König der Löwen« erhielt er 1995 die Auszeichnung. Etliche Male wurde er auch für den Golden Globe und den Grammy nominiert. Von »Inception« und »The Dark Knight Rises« über »Interstellar« und »Blade Runner 2049« bis hin zu »Dune« – wer sich gelegentlich ins Kino begibt, um in der Hoffnung auf ein kurzweiliges Vergnügen eine große Hollywood-Produktion zu sehen, kann Zimmer nicht entkommen. In den kursierenden Ranglisten der erfolgreichsten Filmkomponisten steht er auf den vorderen Plätzen, wenn er nicht gar den ersten belegt.

Manchen gilt er als »Visionär«, »kreatives Genie«, als »einer der innovativsten, revolutionärsten und begehrtesten Komponisten des Planeten«. An seiner Musik kann das nicht liegen. Sie lässt sich adäquat mit einer Werbefloskel von BMW beschreiben: als »charakteristischer Antriebssound«.

Das musikalische Material ist schlicht. »Time«, ein Stück aus der hochgelobten Musik zu »Inception«, ist ein Beispiel: Die bestimmende Harmoniefolge, die über viereinhalb Minuten erbarmungslos wiederholt wird, ist lediglich vier Takte lang und besteht aus den abgeschmackten Lagerfeuerakkorden a-Moll, e-Moll, G-Dur, D-Dur, wobei in jeder zweiten Wiederholung ein großer C-Dur-Septakkord statt e-Moll ertönt. Diese grundlegende Ödnis lässt Zimmer von Instrumenten darbieten, deren Verwendung gemeinhin als Ausweis hohen künstlerischen Werts gilt: Klavier und Streicher. Zugleich bedient er sich eines alten Tricks aus der Rumpelkiste der musikalischen Dynamik: ganz leise anfangen, ganz laut aufhören. So darf das Klavier sanft die Harmoniefolge vorgeben, ehe diese dann mit allerlei Streichern zu großer Lautstärke und maximalem Pathos hochgegeigt wird.

Nach diesem Muster funktionieren viele Stücke Zimmers, so auch das auf einer viertaktigen Akkordfolge aus a-Moll, G-Dur, F-Dur und G-Dur aufbauende »Main Theme« aus dem Film »Interstellar«, das lediglich mit einem kurzen Ausflug nach e-Moll variiert wird. Die Werke des Filmkomponisten sind mit Orchester und elektronischem Instrumentarium zum Bombastbrei aufgeblasene musikalische Banalitäten, frei von Dissonanzen, Abweichungen, Reibungen. Das fällt bisweilen auch dem Publikum auf: Nachdem 2017 bekannt geworden war, dass der Komponist für den Soundtrack zu »Blade Runner 2049« zuständig sein sollte, machte der Hashtag #stophanszimmer die Runde.

Wer der Frage nachgeht, warum in der Filmmusik meist die Einförmigkeit siegt, sollte sich aber nicht auf die Person Hans Zimmer kaprizieren. Vielleicht war es grundsätzlich eine schlechte Idee, Film und Musik zu verbinden. Siegfried Kracauer sah in der Methode einen »Zusammenstoß zweier Welten, der beide beschädigt«, wie er in seiner Theorie des Films von 1960 schreibt. Ihm zufolge sind Filme »in einzigartiger Weise dazu geeignet, physische Realität wiederzugeben und zu enthüllen« und letztlich Vorstellungen der Zuschauer von der physischen Welt in Frage zu stellen. Musik hat für Kracauer die Tendenz, die »reproduzierenden Verpflichtungen« des Mediums Film zu untergraben, es theatralisch zu machen, weshalb sie nur streng funktional einzusetzen sei.

Musik aufs rein Funktionale zu beschränken, sie zu einer Requisite, »einer Art Möbelstück« zu machen, hatten hingegen Hanns Eisler und Theodor W. Adorno in ihrem 1947 erschienenen Buch Komposition für den Film als eine Tendenz in der Filmindustrie kritisiert. Noch stärker hatten sie die vorherrschenden musikalischen Inhalte bemängelt, etwa die Verwendung orchestraler Klischees aus der Romantik und der Technik des Leitmotivs nach »abgestandenen Erfahrungsregeln«.

Eisler hatte 1938 erstmals eine Filmmusik mit der Zwölftontechnik geschrieben. In dieser sahen beide die Möglichkeit, eine dem Film sachlich und inhaltlich angemessene Musik zu komponieren. Allerdings war auch Eisler als in Hollywood tätiger Filmkomponist den Zwängen einer Filmindustrie ausgesetzt, der es damals wie heute nur am Rande um musik- und filmästhetische Erwägungen geht. »Jetzt habe ich gerade einen idiotischen Schinken fertiggemacht, er heißt ›Spanish Main‹. Das ist reiner Unsinn, Schwachsinn etc. Ich musste es des Geldes wegen machen«, schrieb er 1945 in einem Brief an seinen Sohn.

Eislers und Adornos Kritik konnte der unaufhaltsamen Verwendung etwa von Leitmotiven in der Filmmusik nichts anhaben. Bekannte Komponisten wie Jerry Goldsmith (»Star Trek«, »Planet of the Apes«, »Alien«), Ennio Morricone (»The Good, the Bad and the Ugly«, »Once Upon a Time in the West«) und John Williams (»Star Wars«, »Herr der Ringe«, »Harry Potter«) waren und sind dafür bekannt. Mit ihrem Hang zum spätromantischen Klischee lassen sich solche Filmkomponisten aber zumindest noch musik-geschichtlich verorten.

Zimmer hingegen produziert geradezu geschichtslose Musik, die nicht einmal mehr auf ein überkommenes Gestern verweist, sondern vollkommen eingepasst ist in die Ware Film und sich wie ein Werbejingle schnell wieder vergessen lässt, so dass sie in immergleicher Gestalt bald wieder aufs neue konsumiert werden kann. Dabei könnte alles ganz anders sein. »Das schönste Geräusch auf der Welt ist eigentlich die Stille«, sagte Zimmer im August der Berliner Boulevardzeitung »B.Z.«. Zwar ist die Stille kein Geräusch, aber über solche semantischen Feinheiten lässt sich hinwegsehen, da die intendierte Aussage stimmt: Stille ist schön. Noch schöner wäre es, gäbe es sie häufiger im Kinosaal. l

Markus Ströhlein schrieb in konkert 9/21 über Armin Laschet, den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU