Empathy for the devil

In seiner Ausgabe vom 7. Dezember 2019 zitierte der „Spiegel“ aus einem Beitrag von Tom Uhlig aus konkret 10/19, der sich mit dem Rechstpopulismus-Buch der Soziologin Cornelia Koppetsch befasst. Daraufhin merkte die konkret-Redaktion im Editorial der Ausgabe 1/20 an:

„Auch den Hinweis, dass Koppetsch bis 2015 einen Mitarbeiter beschäftigte, der heute Sprecher der AfD Berlin-Mitte ist, verdankt der „Spiegel“ der konkret-Kulturkolumne von Tom Uhlig aus der Oktober-Ausgabe. In Ungnade beim deutschen Feuilleton fiel Cornelia Koppetsch aber selbstverständlich nicht wegen ihrer von Uhlig beschriebenen politischen Nähe zum eigenen Forschungsgegenstand, sondern weil die Soziologin nicht sorgfältig genug zitiert hat und im Buch manche Quelle unterschlägt. Cornelia Koppetsch - ein Opfer des Systems der wissenschaftlichen Correctness.“

 Jetzt nimmt die „FAZ“ unter der Überschrift „Die Moral der Diskurswächter“ späte Rache an Uhlig und konkret. Uhlig antwortet auf den „FAZ“-Artikel:

Der Ärger muss tief sitzen: Da feiern sämtliche große Literaturredaktionen beinahe unisono ein Buch, das nicht nur rechte Mythen reproduziert, sondern handwerklich auch noch schlecht gearbeitet ist, bis der Verlag das Buch aufgrund der Mängel aus dem Programm nehmen muss und die Uni der Autorin ein Verfahren einleitet.

Statt die Blamage zu reflektieren, schlägt man jetzt, ein halbes Jahr später, auf die linke Peripherie ein, die einem damals die niedrigen Qualitätsstandards vorgehalten hat. Dazu sind alberne Unwahrheiten, wie Koppetsch sei mit Elsässer verglichen worden, gerade recht, vor allem jedoch glaubt man in den Kritiken eine Wissenschaftsfeindlichkeit entdecken zu können: Die „objektiven“ Ergebnisse Koppetschs passen den „Diskurswächtern“ einfach nicht in den Kram. Dabei ist nicht das Problem, dass Koppetsch unbequeme Wahrheiten zutage gefördert hat, sondern ganz im Gegenteil, dass sie aufgrund methodischer Unzulänglichkeit, den Gegenstand überhaupt nicht begreifen kann. So verharrt sie in der Reproduktion der strukturell antisemitischen Chiffre des „kulturellen Kosmopolitismus“, dessen Vertreter die diskursive Hegemonie erlangt hätten. Allein in Nischenblättern wie der "FAZ" wehrt man sich noch mutig gegen die Vorherrschaft von konkret und "Jungle World".

Tom Uhlig

 

Der Beitrag „Empathy for the devil“ aus konkret 10/19 ist im Folgenden dokumentiert.

 

Schließlich bedanke ich mich … bei meinen Bekannten aus der AfD, die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben.« Die Danksagung ist ein Schlüssel zu Cornelia Koppetschs Bestseller Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter (Transcript). In ihrem neuen Buch offenbart die Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt, die sich mit Studien zur Arbeitsteilung in vermeintlich progressiven heterosexuellen Paarbeziehungen profiliert hat, Schwierigkeiten, sich von den Deutungsmustern der Rechten abzugrenzen.

Wer zu ihrem Bekanntenkreis gehört, lässt sich mit ein wenig Recherchearbeit feststellen: Bis 2015 war Kai Borrmann, heute stellvertretender Sprecher der AfD Berlin-Mitte, Koppetschs wissenschaftlicher Mitarbeiter. Der jetzige Büronachbar Beatrix von Storchs versteht sich als »kritischer Islamwissenschaftler«. 2007 setzte er sich für die Gründung eines Landesverbands von Pax Europa ein und wurde Vorsitzender des Sprecherrats der Kleinpartei Demokratische Liga – beide Gruppierungen pflegen ein völkisches und rassistisches Weltbild. Wie landet so jemand am Lehrstuhl für »Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung«? Den Bogen schlägt Borrmann selbst bei seiner Vorstellung auf der Website des Berliner AfD-Vorstands: »Politisch interessiert er sich für (Anti-)Genderismus, Neoliberalismus und Globalisierung. (Wer wissen will, warum ›Integration‹ auch beim besten Willen aller Beteiligten nicht funktionieren kann, der lese Zygmunt Bauman: Moderne und Ambivalenz.)« Das Interessengebiet gleicht dem Ansatz von Koppetschs Buch, ebenso die eigenwillige Deutung zeitgenössischer soziologischer Klassiker zur Adelung von AfD-Positionen. Auf Anfragen von konkret zu ihrem ehemaligen Mitarbeiter reagierte Koppetsch nicht.

Nach Uffa Jensens Zornpolitik (Suhrkamp 2017) und Pankaj Mishras Zeitalter des Zorns (Fischer; siehe literatur konkret 2017/18) nun also Die Gesellschaft des Zorns. Das Feuilleton ist angetan und liefert Koppetsch Steilvorlagen, um dafür zu plädieren, mit Rechten zu reden. »Es ist auch die falsche Strategie, alle Rechtspopulisten gleich in die Nazi-Ecke zu stellen«, sagt sie der »NZZ«. Dem »Spiegel« erklärt sie: »Die Liberalen, die den Ton angeben, erteilen Denkverbote«, und der Deutschlandfunk-Hörer erfährt, »dass es gute Gründe gibt, warum sich Personen solchen Protestbewegungen anschließen«. Es wäre etwas zu einfach, Koppetsch zur AfD-Anhängerin zu erklären; milde Ablehnung des »Rechtspopulismus« klingt immer wieder durch, allerdings sitzt sie bisweilen der Selbstdeutung ihres Gegenstands auf. Der wissenschaftliche Anspruch zu verstehen wird zum Verständnis. Sie folgt dabei einer »Methodologie der theoriegeleiteten Empathie« und stellt einen nüchternen Blick zur Schau, der sie objektiver machen soll als konkurrierende Interpretationen wie Jan-Werner Müllers Was ist Populismus? (Suhrkamp 2016), dem sie vorwirft, »Rechtspopulisten« nicht als politische Akteure ernst zu nehmen. Gerade die vermeintliche Unvoreingenommenheit führt aber zu Anschlussfähigkeit gegenüber der rechten Ideologie. Wer dem Gegenstand nicht kritisch gegenübersteht, kann ihn nicht begreifen, sondern verdoppelt lediglich seine Inszenierung. Die Soziologin bildet ab, was zu hinterfragen wäre. Sie weigert sich, die Doppelbödigkeit der rechten Selbstdarstellung anzuerkennen, was sich in einer Rationalisierung der Ideologie niederschlägt: »Alternativ wird den Wählern … Irrationalität oder eine kollektive seelische Störung – wie zum Beispiel Autoritarismus oder Fremdenfeindlichkeit etc. – attestiert.« Dagegen wehrt sich Koppetsch: Die Ideologie sei nicht irrational, sondern Ausdruck eines »Klassenkampfes«, den die Autorin mit Pierre Bourdieu kulturalistisch verwässert. Weniger hält sie sich bei der Analyse des rechten Feindbilds zurück, der kosmopolitischen liberalen »Elite«, zu der offenbar alle zählen, die nicht der völkischen Versuchung anheimgefallen sind. Die Ängste vor einer autoritären Wende würden »ihrerseits von irrationalen Reaktionen innerhalb des liberalen Lagers beantwortet«. Nicht die völkische Ideologie ist also irrational, sondern die kritische Reaktion darauf.

Das Buch ist auch Zeugnis einer allgemeinen akademischen Ratlosigkeit angesichts der erstarkenden völkischen Bewegungen, die Koppetsch wenig trennscharf unter dem Begriff Rechtspopulismus sammelt und denen sie mit dem Aneinanderreihen populärer Zeitdiagnosen von Richard Sennett bis Alain Ehrenberg begegnet. Was etwa Eva Illouz’ Forschung zum Onlinedating mit dem Aufstieg der AfD zu tun haben soll, wird nicht ersichtlich. Neoliberalismuskritischen Analysen, die den universitären Markt dominieren, räumt die Autorin wesentlich mehr Platz ein als Studien zur rechten Ideologie. So gerät das Buch eher zu einer Kritik des Neoliberalismus, als dessen Bündnispartner*innen Koppetsch die »Kulturkosmopoliten« ausmacht, die »die Nachteile der Zuwanderung in die eigene Region bzw. Nation für gewöhnlich nicht zu spüren bekommen«. Diese Erzählung deckt sich mit dem Narrativ der AfD: Die kosmopolitische Linke ist hegemonial geworden, weil sie sich mit dem Zeitgeist so hervorragend verträgt. Die 68er haben gewonnen und zerstören nun alle Bindungen zu Heimat und Nation, wogegen der »Rechtspopulismus« rebelliert. In ihrer Anteilnahme geht Koppetsch so weit, Verständnis für die Affirmation der Volksgemeinschaft aufzubringen: »Die Berufung auf eine Volksgemeinschaft gilt den Vertretern der offenen Gesellschaft als Angriff auf die Demokratie … Was bei einer solchen Betrachtung zumeist ausgeblendet wird, ist der Umstand, dass die affektive Bindung an ein ›Wir‹ zu den Voraussetzungen auch moderner demokratischer Gesellschaften gehört.« Koppetsch kann hier nicht mehr zwischen der Ideologie der Volksgemeinschaft und der »Bereitschaft, füreinander einzustehen«, unterscheiden. Die Verharmlosung hat System, etwa wenn die Autorin behauptet, in den AfD-Ämtern hätten die Gemäßigten die Mehrheit – ein kurzer Blick auf die Bundestagsabgeordneten widerlegt das.

Der Erfolg der Gesellschaft des Zorns verdankt sich einem gesellschaftlichen Normalisierungsbedürfnis. Weder von brennenden Geflüchtetenunterkünften noch von rassistischen Mordserien oder antisemitischer Agitation – die den Kosmopolitismus als Chiffre verwendet – ist hier die Rede. Historische Kontinuitäten spielen keine Rolle. Der »Rechtspopulismus« muss neu und ungefährlich sein, sonst ließe sich die Gelassenheit kaum durchhalten. Am Ende sinniert die Professorin über eine Rückkehr des Politischen durch den Aufstieg der Rechtsparteien: »Wenn die Zeichen nicht trügen, dann stehen uns konfliktreiche Zeiten bevor. Das muss nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht sein.« Auf die Gefahr hin, ins so verpönte Moralisieren zu verfallen: Doch, für diejenigen, die von der völkischen Rechten ausgegrenzt, angegriffen und ermordet werden, ist das eine schlechte Nachricht.

Tom Uhlig