Bestens integriert

Die etablierte Politik will mit den Nazis von der AfD nichts zu tun haben? Von wegen. Sie hat die Zusammenarbeit mit ihnen längst institutionalisiert. Ein Überblick von Peer Heinelt

Am 25. November vergangenen Jahres ließ der AfD-Bundestagsabgeordnete Tobias Peterka via Facebook wissen: »Die saft- und kraftlose CDU knickt wieder ein – nicht einmal der langjährige DPolG-Chef Rainer Wendt kann als Staatssekretär in Sachsen-Anhalt durchgesetzt werden. Wen mag das noch wundern?« Peterkas Häme ist durchaus nachvollziehbar,

beruft sich die CDU doch gerne auf die »Expertise« des Polizeigewerkschafters, wenn es darum geht, die staatliche Repression gegen »kriminelle Ausländer« und »linke Chaoten« zu verschärfen. Indes dürfte der Verzicht auf die Ernennung Wendts zum Innenstaatssekretär und damit zum Herrn über Polizei und Verfassungsschutz in erster Linie taktisch motiviert sein: Die sachsen-anhaltinische CDU-Führung wollte offenbar wegen einer Personalie nicht den großen Clinch mit ihren sozialdemokratischen und grünen Koalitionspartnern riskieren, zumal Wendt gerade die Beamtenpension gekürzt worden war, weil er seine »Nebentätigkeit« als Aufsichtsrat des Versicherungskonzerns Axa nicht ordnungsgemäß angegeben hatte. Dem Polizeigewerkschafter und Hauptkommissar a. D. wiederum bleibt immer noch der Weg zur AfD, wo man es mittlerweile sehr weit bringen kann.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der erwähnte AfD-Politiker Peterka. Der vormalige »Jurist im öffentlichen Dienst« fungierte nach eigenen Angaben von Oktober 2013 bis Oktober 2015 als bayerischer Landesvorsitzender der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA), die beste Beziehungen zu den Neofaschisten der Identitären Bewegung pflegt. Im Bundestag hetzt Peterka gerne gegen »kriminelle Parallelgesellschaften« in Form sogenannter türkisch-arabischer Familienclans oder gegen die »Asylindustrie«, die seiner Ansicht nach für eine in keiner Weise gerechtfertigte soziale »Rundumversorgung« von Geflüchteten verantwortlich ist. Am 25. April 2018 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden des parlamentarischen Unterausschusses Europarecht gewählt.

Peterka ist kein Einzelfall. Seinen JA-Kameraden Sebastian Münzenmaier etwa kürten die im Tourismusausschuss des Bundestags vertretenen Abgeordneten von AfD, CDU/CSU und FDP am 31. Januar 2018 zu ihrem Vorsitzenden. Wenn er nicht gerade eine »Verabschiedungskultur« für Geflüchtete fordert, arbeitet der heimatliebende Münzenmaier hier mit ganzer Kraft für das Wohlergehen eines Wirtschaftszweigs, dem Ausländer lediglich als zahlungskräftige Kunden willkommen sind. Einzig der FC Bundestag, in dem sich die Hobbykicker unter den Abgeordneten austoben, lässt ihn nicht mitspielen. Zur Begründung verwies der Verein auf ein Urteil des Landgerichts Mainz, dem zufolge sich Münzenmaier der »Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung« an Fans des Fußballclubs Mainz 05 schuldig gemacht hat. Nach Auffassung der Justiz zeigte der AfD-Politiker anno 2012 einer Gruppe von ortsunkundigen Hooligans des 1. FC Kaiserslautern, wo man den Mainzern am besten auflauern kann, um sie zusammenzuschlagen.

Johannes Huber steht seinem JA-Kameraden Münzenmaier in nichts nach. Der Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestags, für den Abtreibung eine »Straftat« ist, sorgt sich nicht zuletzt um Greta Thunberg. Nachdem die Umweltaktivistin Ende September 2019 den beim UN-Klimagipfel in New York versammelten Staats- und Regierungschefs Untätigkeit und Wachstumsfetischismus vorgeworfen hatte, bezeichnete Huber sie als »behindertes Mädchen«, das »politisch instrumentalisiert und missbraucht« werde: Ihre Rede gebe »Anlass zur großen Sorge um ihren geistigen Gesundheitszustand. Der vollkommen verantwortungslose Umgang der Medien, der Politik und auch ihrer Eltern sollte den schwedischen Behörden zu denken geben.« Es sei daher »unabdingbar«, Thunberg »möglichst bald einer geeigneten medizinischen Behandlung zuzuführen und sie aus dem Licht der Öffentlichkeit zu holen«.

Aber Huber weiß nicht nur, was für Kinder gut ist, er nennt auch die Kinderfeinde schonungslos beim Namen. Als ein unter psychischen Problemen leidender Eritreer am 29. Juli vergangenen Jahres im Frankfurter Hauptbahnhof eine Mutter und deren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug stieß, war für ihn sofort alles klar; noch am selben Tag twitterte er: »Der Afrikaner, der das Kind getötet hat, ist Asylbewerber in der Schweiz! Grenzkontrollen hätten seine Einreise verhindert, wenn er gegen Schengen verstoßen hat. Weil es diese nicht gibt, ist mein Fazit: Die EU, Merkel und Seehofer haben das Kind getötet!«

Um starke Worte ist auch der AfD-Politiker Peter Boehringer nicht verlegen, den die im Haushaltsausschuss des Bundestags vertretenen Abgeordneten seiner Partei und der FDP am 31. Januar 2018 zum Vorsitzenden des Gremiums wählten. Einzig die Repräsentanten der Linken stimmten gegen ihn, während sich die Funktionäre von CDU/CSU, SPD und Grünen vornehm enthielten. Wenig später wurde eine E-Mail publik, die Boehringer am 9. Januar 2016 an Freunde und Bekannte verschickt hatte. Darin bezeichnete er Kanzlerin Merkel als »Merkelnutte«, »Dirne der Fremdmächte« und »Kriminelle«, die für einen »Genozid« verantwortlich sei, da sie durch ihre Flüchtlingspolitik dafür sorge, dass der deutsche »Volkskörper« von Migranten »gewaltsam penetriert« werde. Führe der Widerstand gegen Merkel nicht zum Erfolg, sei der »Bürgerkrieg« sicher, ließ Boehringer wissen.

Dementsprechend gilt der auf Geheiß des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán errichtete Grenzzaun dem AfD-Parlamentarier Jürgen Braun als »Lebensversicherung für Mitteleuropa«. Wer über die Fähigkeit verfügt, zu solch tiefschürfenden Erkenntnissen zu gelangen, ist für höhere Aufgaben prädestiniert: Am 21. Februar 2018 wurde Braun zum stellvertretenden Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe gewählt. Unmittelbar nach Amtsantritt erklärte er, es sei ihm ein »ganz besonderes Anliegen«, die »Verfolgung von Christen« in den wahlweise von »Islamisten oder Kommunisten« regierten Ländern dieser Erde zu thematisieren.

Ein wahrer Freund der Christenheit ist auch der AfD-Politiker Albrecht Glaser, weiß er doch, dass der »Christenhass« zum Islam gehört »wie die Nüsse zur Nussschokolade«. Auch die Wahl des vormaligen CDU-Funktionärs zum stellvertretenden Vorsitzenden des Finanzausschusses des Bundestages entbehrt nicht einer gewissen Komik: In seiner Eigenschaft als Kämmerer der Stadt Frankfurt am Main legte er anno 2000 unter anderem zweistellige Millionenbeträge aus der Zusatzversorgungskasse der kommunalen Bediensteten in Finanzfonds an, die dann dramatisch an Wert verloren. Wie der Lokalpresse zu entnehmen war, hat er damit »vermutlich den größten Einzelschaden eines Frankfurter Magistratsmitgliedes seit 1946 angerichtet«.

Dessenungeachtet wettert Glaser gerne bei jeder Gelegenheit gegen »kriminelle Ausländer«, wobei er in seinem Parteigenossen Roman Reusch seinen Meister gefunden haben dürfte. Der Berliner Staatsanwalt wusste schon anno 2007, dass »Täter mit Migrationshintergrund« für den »Löwenanteil« der »Straßen- und Drogenkriminalität« verantwortlich sind, weshalb er empfahl, »randständige(n) Ausländer(n)« aus »stark überrepräsentierten Ethnien« den Nachzug von Familienangehörigen zu untersagen. Mittlerweile sitzt Reusch im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages, dem nach offizieller Lesart die Aufgabe zugedacht ist, den für Auslandsspionage zuständigen Bundesnachrichtendienst, den Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr und das Bundesamt für Verfassungsschutz zu »überwachen«. Die hier in Erfahrung gebrachten Interna kann der Jurist jetzt diskret an seine außerhalb des Parlaments agierenden Kameraden weitergeben, die ihren Kampf gegen »Ausländerkriminalität« am liebsten unabhängig von den staatlichen Repressionsorganen führen.

Der Kölner AfD-Politiker Jochen Haug, der als stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Inneres und Heimat fungiert, ist zwar nicht für rassistische Tiraden bekannt, wohl aber dafür, dass er Identitären und JA-Mitgliedern alle nur erdenkliche Unterstützung zukommen lässt. Nach Recherchen der »Taz«, der Zeitschrift »Der Rechte Rand« und des antifaschistischen Archivs »Apabiz« beschäftigt Haug mindestens einen völkischen Aktivisten, der sowohl für die bei intellektuellen Nazis beliebten Postillen »Junge Freiheit« und »Blaue Narzisse« als auch für die revanchistische »Preußische Allgemeine Zeitung« geschrieben hat. Im Auftrag der JA Nordrhein-Westfalen übernimmt Haug schon mal die »Versammlungsleitung«, gibt ihm die Parteijugend nach eigenem Bekunden doch »wirklich Hoffnung für die Zukunft«. Einer dieser Hoffnungsträger steht gerade in Köln vor Gericht: Augenzeugen zufolge fuhr er während des Europawahlkampfs mit einem Pkw einen antifaschistischen Demonstranten über den Haufen und ließ den Verletzten auf der Straße liegen.

Aber ganz gleich, wie sehr sich die Parlamentarier der AfD auch bemühen, keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass es sich bei ihnen um waschechte Nazis handelt – die Zusammenarbeit mit den Bundestagsabgeordneten der anderen Parteien läuft reibungslos. So erklärte etwa Eckhardt Rehberg, der für die CDU im Haushaltsausschuss sitzt, er habe keine Probleme mit dem Ausschussvorsitzenden Peter Boehringer, der die Kanzlerin »Merkelnutte« genannt hat. Bei den Beratungen des Gremiums falle die AfD »nicht groß auf«, äußerte Rehberg gegenüber dem MDR und ergänzte: »Ich sage denen Guten Tag, und wenn der Ausschussvorsitzende Herr Boehringer etwas möchte, dann nehme ich natürlich auch den Telefonhörer ab.« Die Grüne Tabea Rößner, die für ihre Partei an den Besprechungen des Rechtsausschusses teilnimmt, ist sogar voll des Lobes über die Kollegen von der AfD: »Es gibt gute Fachpolitiker bei ihnen, das hängt davon ab, wer Berichterstatter ist.«

Einzig den Vorsitzenden des Rechtsausschusses, den AfD-Juristen Stephan Brandner, wählten die nicht der Nazi-Partei angehörenden Parlamentarier am 13. November letzten Jahres ab. Brandner hatte einen Tweet an seine Follower weitergeleitet, dessen Autor sein Unverständnis darüber bekundete, dass nach dem antisemitischen Anschlag von Halle »Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum(lungern)«, wo doch der »Amokläufer« eine »Deutsche, die gerne Volksmusik hörte«, und einen »Bio-Deutsche(n)« ermordet habe.

In bezug auf die vom Deutschlandfunk formulierte »bange Frage«, ob man sich mit den AfD-Parlamentarier duzen dürfe, waren sich die Bundestagsabgeordneten der anderen Parteien allerdings gleich wieder uneins. Während der SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs dies mit Verweis auf seine »aufrechte demokratische Gesinnung« strikt ablehnte, gab sich der FDP-Politiker Otto Fricke ganz gelassen und schwurbelte: »Ich glaube, im Moment duze ich mich noch nicht. Ich müsste noch mal nachdenken, könnte sein, an einer Stelle schon, weil da muss ich auch wieder sagen: Aus der Frage, jemanden zu duzen oder zu siezen, ergibt sich doch nicht die Geisteshaltung zum Inhalt, sondern ergibt sich die Geisteshaltung im Umgang.« Mit seiner anschließenden an der Totalitarismusdoktrin orientierten Behauptung, der Parlamentarismus habe »eine beruhigende Funktion gegenüber Extremen«, beruhigte sich Fricke dann zunächst einmal selbst. Sein Kollege Kahrs wiederum dankt den AfD-Abgeordneten insbesondere, dass sie ihm mit schöner Regelmäßigkeit eine Auszeit vom stressigen Bundestagsbetrieb verschaffen: Nach eigenem Bekunden nutzt er die den Nazis zustehende Redezeit, um seine Facebook-, Twitter- und Instagram-Kanäle zu »bedienen« oder »Fragen von Bürgern« zu beantworten.

Auch auf Länderebene ist die AfD bestens integriert. In fast allen Landtagen sind die Abgeordneten der Partei in den Präsidien oder Ältestenräten vertreten; in Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt stellen sie je einen der Vizepräsidenten der Länderparlamente. Ein solch gut dotiertes Amt zu ergattern, ist nur möglich, wenn Volksvertreter anderer Fraktionen für die Kandidaten der AfD stimmen, da die Nazi-Partei bis dato noch nicht die absolute Mehrheit der Mandate erringen konnte. Bei der Wahl ihres Funktionärs Detlef Ehlebracht zum Vizepräsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft anno 2015 wurde dies in besonders drastischer Form deutlich: Die AfD verfügte hier seinerzeit gerade einmal über acht Sitze – für Ehlebracht votierten indes 61 von 121 Abgeordneten. Allein mit den Stimmen von CDU und FDP hätte er den Posten nicht bekommen, denn die beiden Parteien stellen zusammen lediglich 29 Abgeordnete.

In den Kommunen sieht es nicht anders aus als in den Ländern, und auch hier findet die AfD nicht nur Kooperationspartner bei CDU und FDP. Im brandenburgischen Lebus etwa wählten die Stadtverordneten von CDU und Linkspartei schon anno 2017 den AfD-Politiker Detlev Frye zum Bürgermeister – nachdem sie ihm bereits zuvor ihre Unterstützung zugesagt hatten. In Sassnitz auf Rügen wollte die SPD-Fraktion im September vergangenen Jahres gleich sieben Anträge zusammen mit den Mandatsträgern der AfD beschließen, wovon sie erst eine massive Intervention des Generalsekretärs der SPD Mecklenburg-Vorpommern, Julian Barlen, abbrachte. SPD-Stadtpräsident Norbert Benedict zeigte sich darob sehr zerknirscht: »Wir sind an Sacharbeit interessiert. Dass dies so hohe Wellen schlägt, war nicht unsere Absicht.«

Wie weit der kommunalpolitische »Pragmatismus« der sogenannten demokratischen Parteien reicht, war fast zeitgleich im hessischen Altenstadt zu sehen. In seiner Sitzung vom 5. September 2019 wählte der Ortsbeirat der zu Altenstadt gehörenden Waldsiedlung den NPD-Funktionär Stefan Jagsch einstimmig zum Ortsvorsteher. Für den Repräsentanten der NSDAP-Nachfolgeorganisation votierten die Vertreter von SPD, CDU und FDP. Das Ortsbeiratsmitglied Norbert Szielasko (CDU) erklärte das Abstimmungsverhalten damit, dass man eben »keinen anderen« habe, zumindest »keinen jüngeren, der sich mit Computer(n) auskennt, der Mails verschicken kann«. Außerdem verhalte sich Jagsch bei den Sitzungen des kommunalen Gremiums stets »absolut kollegial und ruhig«, und was er »in der Partei« oder »privat« mache, sei schließlich nicht von Belang. Jagsch selbst wiederum macht Demokratie offenbar richtig Spaß. Via Facebook ließ er wissen, er werde weiterhin »konstruktiv und parteiübergreifend mit allen zusammenarbeiten«, schließlich laute sein Motto: »Aus dem Volk – für das Volk!«

Nachdem sich Spitzenpolitiker von CDU und SPD lautstark über den Vorgang empört hatten, wurde Jagsch wieder abgewählt; seine Partei taugt eben nur sehr bedingt zur Beschaffung von Mehrheiten. Für die AfD gilt das Gegenteil, was der Vorsitzenden ihrer Bundestagsfraktion, Alice Weidel, selbstverständlich nicht verborgen geblieben ist. In den ostdeutschen Ländern komme man »nicht mehr an der AfD vorbei, auch nicht an einer Regierungsbeteiligung«, sagte sie Ende November 2019 der »Rheinischen Post«. Ohnehin, so Weidel, sei die CDU im Osten »deutlich weiter«, als die Parteiführung in Berlin glaube, weshalb sich die Zusammenarbeit mit der AfD auch »nicht mehr aufhalten« lasse. Wenn es Rainer Wendt also gelingt, sich noch ein wenig in Geduld zu fassen, wird er demnächst sowieso Innen-, Pardon!, Polizeiminister.

Peer Heinelt schrieb in 11/19 über Polizeigewalt in Deutschland