Hakenkreuz über Paris

Wie Köln nach Paris kam. Rezension einer Ausstellung. Von Dietmar Spengler

Paris, Sommer 1937. Ein letztes Mal, zwei Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, gaben sich die Nationen auf der Weltausstellung (Exposition Internationale des Arts et Techniques dans la Vie Moderne) ein scheinbar friedfertiges Stelldichein.

Als „Kundgebung des Friedens“ pries man sie an. Und Köln durfte nicht fehlen; mit eigenem Pavillon, einer Caféterrasse an der Seine. Während die deutsche Kriegsindustrie Überstunden schob, betrieben die Kölner Völkerverständigung. Cöllsche Art oder arglistige Täuschung?

NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, Oberbürgermeister Schmidt, Reichskommissar Ruppel, Botschafter Graf Welczeck, Regierungspräsident Reeder, Gauleiter Grohé und zahlreiche NS-Funktionäre waren zur Eröffnungsfeier des „Kölner Hauses“ erschienen. Bei Liedern von Richard Wagner und einer delikaten Einlage aus der Massenet-Oper „Herodias“ heuchelte der Kölner Oberbürgermeister eine Einladung an die Pariser Gastgeber („Westdeutscher Beobachter“, 5. Juli 1937). Deutsche Emigranten waren ausdrücklich nicht zugelassen.

Unter Napoleon waren wir auch mal Franzosen, heißt es. Und überhaupt, die Kölsch-Konsonanten sind so geschmeidig wie im Französischen. „Ne Blömcheskaffee“ beim „Erbfeind“? Exakt zwei Jahre später überfiel die Wehrmacht Polen und Frankreich steht im Krieg mit Deutschland. Und zur Erinnerung mahnte kaum einhundert Meter weiter, im Pavillon der Spanischen Republik, Picassos monumentales „Guernica“ an die von der deutschen „Legion Condor“ drei Monate vorher verübten Bombengreuel.

Das Kölnische Stadtmuseum versucht mit der Sonderausstellung „Köln an der Seine“ Licht in diese kuriose Begebenheit zu bringen. Mit 70 Fotoarbeiten von der Weltschau und anderen Exponaten ist die Schau bestückt. Die brillanten, bislang unveröffentlichten Aufnahmen der Kölner Fotografen Hugo und Karl Hugo Schmölz (Ersterer war ein berühmter deutscher Industriefotograf der zwanziger und dreißiger Jahre, sein Sohn Karl Hugo Schmölz setzte die väterliche Tradition in die Nachkriegszeit hinein fort. Gemeinsam haben sie die Pariser Weltausstellung besucht und dort fotografiert) geben Einblick in diese heute vergessene Episode der deutsch-französischen Geschichte.

Im Fokus steht der Propagandabau Nazi-Deutschlands, der in pathetischer Strenge errichtete Pavillon „Deutsches Haus“ vom NS-Stararchitekt Albert Speer, der sich mit einem großen Hakenkreuzadler der Welt präsentiert. Diese neoklassizistische Propaganda in Stein musste „als Bollwerk gegen den Kommunismus“, so Hitlers Vorgabe, den Pavillon der UDSSR um einiges überragen. „Brustkastengeschwellte“ Monumentalskulpturen von Hitlers Lieblingsbildhauer Josef Thorak bewachten den Eingang. Innen, ausgestattet mit Hakenkreuzmuster-Tapeten, wurden in protzigem Ambiente Produkte aus der Arbeitswelt des Nazireichs gezeigt. Von der Empore lockten vier herorische Blut-und-Boden-Nackedeien auf Gobelins nach dem Gemälde Adolf Zieglers, Vizepräsident der Reichskammer der bildenden Künste, der 1937 die „Säuberung“ der deutschen Museen und Galerien von sogenannter „entarteter Kunst“ leitete. Ein Gruselpalazzo des Dr. Albert Speer, der mit einer Goldmedaille und einem Grand Prix für sein Modell des Nürnberger Reichsparteitagsgelände geehrt wurde. Selbstverständlich durfte Frau Riefenstahl mit ihren NS-Opus „Triumph des Willens“ nicht fehlen. Die Franzosen sind fasziniert. Und Hitler, hochzufrieden, lässt sich zusammen mit Speer drei Jahre später in Siegerpose auf der Terrasse des 1937 erbauten Palais de Chaillot ablichten.

Dagegen lädt der von Op Gen Oorth entworfene Kölner Café-Pavillon durch seine Leichtigkeit, mit Seineterrasse im Schatten des Eiffelturms, zum gemütlichen Verweilen ein. Auf offener, mit Stadtwappen beflaggten „Colonia Terrasse“, Korbstühlen, mit bunten Blumenkästen und rotweißer Markise, wurde das Kaffeekränzchen zelebriert. Ausgeschenkt wurde nicht Kölsch, Bitburger Pils hatte den Zuschlag erhalten. Das Personal war zweisprachig geschult und von teutschem Kurzhaarschnitt. Mit rheinischem Frohsinn den Parisern begegnen, so das Motto. Die Innenräume präsentierten in Vitrinen die Spitzenprodukte der städtischen Industrie, Farinas Eau de Cologne und Stollwerck-Schokolade, Zigaretten aus dem Hause Neuerburg und Wein von Rhein und Mosel. Die ausgestellten Motoren von Humboldt-Deutz wurden jenseits des Rheins bereits in Kriegsgerät eingebaut. In Wandvitrinen zeigte man gotische Tafelmalerei und Skulptur aus dem städtischen Kunstmuseum. Die Kölner NS-Presse ergingt sich in Jubeltiraden: „Was alles Köln an Kunstschätzen dem Fremden bieten kann!“. Finanziert wurde der Kölner Coup – wie sollte es in der Klüngel-Metropole anders laufen – mit einem Tauschgeschäft. Der Deal wurde über die Kölner und französische Ford-Standorte abgewickelt (noch aus dem Abbruch des „Deutschen Hauses“ wussten die Kölner ihren Reibach zu machen: Köln erwarb die Baumaterialien zur Weiterverwertung).

Während Hitler in einer 1936 verfassten „Geheimen Denkschrift“ Armee und Wirtschaft zur „Kriegsfähigkeit“ verpflichtete, um seinen bereits vor der Machtergreifung bekannten Plan einer Lösung der „deutschen Raumfrage“ zu beschleunigen, feierte die Kölner Veranstaltung deutsch-französische Verständigung nach Kölnischer Regel „Vun nix kütt nix“.

Die dem Kölner Pavillon gewidmete Schau informiert über die Strippenzieherei und die Verhandlungen im Vorfeld der Weltausstellung; der Kölner Oberbürgermeister, ehemals Präsident der Internationalen Handelskammer, fuhr, ein Geschäft witternd, zu seinem Führer in die Reichskanzlei, um dessen Einwilligung zu erwirken. Mit reichem Fotomaterial dokumentiert die Schau den Bau des Pavillons im Herzen von Paris. Der Kurator Mario Kramp beschäftigt sich ausgiebig mit der Architektur des Pavillons im Vergleich mit den Bauten anderer Nationen und mit der Wirkung auf das Publikum. Auf Texttafeln berichtet er von den deutsch-französischen Begegnungen und vom durchweg positiven Presseecho zur großen Nationenschau. Insbesondere hebt er die ambivalente Funktion des Kölner Beitrags hervor, der einerseits mit rheinischer „joie de vivre“ das Bild des friedvoll-freudigen Deutschen suggerierte, andererseits als Annex des faschistischen „Deutschen Hauses“ mit allen seinen Implikationen fungierte. Kramp vergisst nicht, die Aktivitäten deutscher Regimegegner und die Werke Kölner Künstler zu erwähnen, „die versuchten, sich in Paris zu behaupten – zwischen fanatischer Gefolgschaft, geschickter Anpassung, stummem Protest oder offenen Widerstand“ (Der Kommentar der von Exilanten herausgegebenen deutschsprachigen Pariser Tageszeitung: „Deutschland will exportieren – Warum zeigt es nicht seinen Hauptexportartikel nach Spanien: Brandbomben für das Baskenland?“). Ein Besucher der Pariser Weltausstellung, der jüdische Kunstsammler Albert Ottenheimer aus Köln, blieb in Paris und überlebte den Holocaust. 1963 forderte er Entschädigung für das durch Deutschland erlittene Unrecht und die Rückerstattung seiner Habe. Schließlich erhielt er nur einen Bruchteil seines realen Vermögens erstattet.

Köln war Zentrum des Nationalsozialismus im Rheinland: „Gauhauptstadt“. Alle jubelten dem Führer zu, als er über die Domplatte fuhr. Von allen Kirchen wehten die Hakenkreuzfahnen. „Die größten Ovationen meines Lebens sind mir in Köln entgegengebracht worden“, so Hitler in einem Interview. Kölner Industriebetriebe trieben die Waffenproduktion voran. Der Rosenmontagszug delektierte sich am „hässlichen Juden“. Die Nazi-Propaganda hatte „den Juden“ wieder mal (Kölner Tradition seit dem 15. Jahrhundert) zum inneren Feind erklärt. Gauleiter Grohé trommelte zum Genozid. Die zahlreichen Stolpersteine in der Stadt und die Gestapo-Zellen im El-De-Haus zeugen noch heute vom Terror des NS-Regimes. Hier ging 1933 kommunistische oder jüdische Literatur ebenso in Flammen auf wie überall in Deutschland. Der Kunst wurde hier ebenso Schaden zugefügt, jüdische Sammler enteignet, wie in Berlin, Hamburg und München. Otto H. Förster, Direktor der Wallraf-Richartz-Museums brüstet sich 1937, dass er bereits 1933 „Verfallskunst“ entfernt und so „die Reinigung des Museums von moderner Kunst selbst betrieben“ (Ausstellungstext), die Galerie der Lebenden mit zeitgenössischen Künstlern geschlossen und die Impressionisten ins Depot verbannt habe (Katalog).

„Dat alles ham se jesehn, abber keiner hat was jesacht“ heißt es in der Doku „Köln im Dritten Reich“ von Hermann Rheindorf. Was das „köllsche Jemüt“ angeht, so hat die stets selbstgefällig behauptete Toleranz ihre Grenzen dort, wo es um den Dom, den Karneval und „dat Kölsch“ geht. Da versteht der Tünnes keinen Spaß. Darum „Kölsch is jut fürs Jemüt“.

Die Sonderschau „Köln an der Seine. Der Pavillon der Stadt Köln auf der Pariser Weltausstellung 1937“ läuft bis zum 26. Januar im Kölnischen Stadtmuseum an der Zeughausstraße 1-3. Parallel dazu läuft im gleichen Zeitraum die Ausstellung „Köln am Rhein“. Dazu erschien der Katalog: Mario Kramp: Köln an der Seine. Der Kölner Pavillon auf der Paris Weltausstellung 1937. Greven-Verlag, 274 Seiten, 30 Euro.