Wehrkraftzersetzung

Die Presse fällt über den trivialen Byron-Abend von Fabian Hinrichs her, weil sie Frieden wittert. Von Stefan Ripplinger

Im Vorspruch zu seiner Tragikomödie Sardanapalus (Sardanapal; 1821) hält Lord Byron fest, sie sei nicht für die Bühne, sondern als Lesedrama gedacht. Während die Handlung auf der Stelle tritt, entwickeln sich die Blankverse höchst vieldeutig. Etwa ist, obwohl der Untergang des Assyrischen Reichs erzählt wird, unübersehbar, dass das Stück gegen das verhasste britische Imperium abzielt – »wandelnd auf / Den Leichen Indiens« (deutsch von Adolf Böttger).

Antiheld ist ein queerer Herrscher, eben Sardanapal, dem der Geschmack am Herrschen, insbesondere am Blutvergießen gründlich vergangen ist, ja dem seine Dynastie im Traum als Abfolge »gekrönter Schatten« oder Monstren erscheint, der aber, mehr ein Melancholiker als ein Dionysos, aus seinem Leben eine Feier machen will und selbst sittenstrenge Gefolgsleute zu Gelagen nötigt. Seine Zivilisiertheit ist Folge seiner unzivilisierten Begierden; eine Moral ist es jedenfalls nicht. So entsteht ein Machtvakuum, und schon verschwören sich die Höflinge gegen den »weibischen König«, der, wenn es sein muss, durchaus mit dem Schwert dreinschlagen kann (»er streitet, wie er schwelgt«). Allein, zu halten ist das Reich nicht mehr. Sardanapal richtet es rund um seinen Thron symbolisch zu einem Scheiterhaufen auf, in dessen Flammen er sich mit seiner Geliebten, der Sklavin Myrrha – stolze Verkörperung der griechischen Revolution von 1821 –, stürzt.

Als der Dichter, der 1824 starb, bald dreißig Jahre unter der Erde war, schien die Zeit reif, sein finsteres Bild des Imperialismus zu dessen greller Feier umzufälschen. Schon die Inszenierung von Charles Kean, London 1853, machte aus Skepsis Spektakel, ein mit Beutekunst aufgemotztes Fanal zur Verherrlichung des britischen Kolonialreichs. Besonderen Wert legte man auf das Feuer im letzten Akt. Noch übertrumpft wurde das von der New Yorker Inszenierung 1876, die ein gewaltiges Ensemble und ein gigantisches Bühnenbild aufbot, das bereits die zehn Jahre später errichtete Freiheitsstatue einbezog. Der Hauptdarsteller und Manager dieser Produktion, Charles Calvert, erklärte, »das Gedicht ist zu hoch für die Leute, aber die ›Feuersbrunst‹ wird aus ihm einen finanziellen Erfolg machen«. Und so kam es; 113 Aufführungen sind überliefert. Das zeitgenössische Merchandise hielt Sardanapalus-Halstücher feil.

Die Zeit der Imperien ist noch immer nicht vorüber. Nun haben wir die »Zeitenwende«, das Militär meldet sich mit Glanz und Gloria zurück, und Deutschland erhält als rechte Hand des Hegemonen den Auftrag, einen Stellvertreterkrieg zu Ende zu führen. – Auftritt Fabian Hinrichs. Auch Hinrichs achtet in seiner Inszenierung des Sardanapalus Byrons Bemühen wenig, das Theater vorm »Versinken in Spektakel und Geschwätz« (Barbara Judson) zu retten. Im Gegenteil, seine Version besteht fast nur noch aus Spektakel und Geschwätz, aber vom Imperium ist weder im Guten noch im Bösen die Rede.

Hinrichs veranstaltet einen bunten Abend mit Musik, Tanz und Akrobatik. Charmante Einlagen steuern Sir Henry, die Tänzerinnen und Tänzer der Flying Steps und das Orchester des Händel-Gymnasiums bei. Denjenigen, die sich fragen, wozu das dient, erklärt, coram publico, der sympathische Regisseur, der überdies zwei Rollen und Schlagzeug spielt, er erinnere an den »Hedonismus der Neunziger«, auch sei ihm der Hauptdarsteller weggelaufen, so dass sich leider nicht alles habe verwirklichen lassen. Doch ist die zu Recht vergessene »Spaßgesellschaft« schon etwas anderes als das verzweifelte Bacchantentum des Sardanapal, und dass die selbsterklärten Hedonisten der Neunziger und Nuller inzwischen mit der grünen Reaktion marschieren, dürfte kein Zufall sein. Hedonismus war von jeher eine ranzige Idee von Bürgerkindern.

Andere Einfälle von Hinrichs sind ganz anregend: Die Myrrha, die sich nach Ionien zurücksehnt, wird zu einer Rewe-Verkäuferin (Lilith Stangenberg), die vom Strand träumt. Die unheimliche Prophezeiung des Beleses vollzieht sich sehr langsam und eindrucksvoll als akrobatischer Akt. Doch bleiben fast alle kritischen Ansätze des Stücks unbenutzt: die Dekonstruktion der soldatischen Männlichkeit, die Satire auf die Priesterkaste, auch die anarchischen Momente, denkt man nur an die Freilassung der Sklaven und das Verteilen der Staatskasse am Ende. Die scharf antimilitaristische Polemik Byrons – »(Sprich) mir nicht / Vom Kriegerstand, ich hasse dieses Wort / Und die damit sich brüsten« – wird nur angespielt, als das Wort »Frieden« fällt.

Doch das genügte schon, um die Medienmeute aufheulen zu lassen. Es sei »hochpeinlich«, dass »uns der friedfertige König als Vorbild für heutige Konflikte empfohlen« (»Die Zeit«, 27.4.) oder »Saporischschja mit Sardanapal vermengt« (»Der Freitag«, 27.4.) werde. Den vergnüglichen, aber trivialen Abend hätte man mit Schweigen übergehen können, statt dessen schreit die Presse Zeter und Mordio oder »Desaster« (»Tagesspiegel«, 22.4.), und man wird den Verdacht nicht los, dass die Staatsbüttel, die Tag für Tag Mordmaschinen segnen, die Ertüchtigung der verweichlichten Jugend fordern und jeden als rechtsradikal (»Querfront«) diffamieren, der sich gegen dieses blutrünstige Treiben stellt, inzwischen schon ein wenig Spaß an der Freud für Wehrkraftzersetzung halten.

»Sardanapal nach Lord Byron«. Regie und Musik: Fabian Hinrichs; mit Fabian Hinrichs, Lilith Stangenberg, Sir Henry. Volksbühne Berlin, weitere Aufführungen: 30.5., 19.6., 24.6.

Stefan Ripplinger schrieb in konkret 5/23 über die Pazifistin Margarete Susman