VON konkret

Anfang Dezember lockerte die chinesische Regierung ihre Null-Covid-Politik. Die Reaktion der deutschen Medien auf den chinesischen Politikwechsel konnte niemand überraschen, der Christian Y. Schmidts Reiseerzählung Allein unter 1,3 Milliarden von 2008 kennt:

Betrachtet man die letzten 150 Jahre, dann gibt es praktisch keinen Zeitabschnitt, in dem der Westen an den Chinesen nichts auszusetzen hatte. Als sich das Kaiserreich vom Rest der Welt abgekapselt hatte, gefiel das dem Westen nicht, und so wurde es in der Mitte des 19. Jahrhundert zunächst von den Briten, dann auch von anderen Mächten mit Gewalt zur Öffnung und halbkolonialen Unterwerfung gezwungen. Die Chinesen entledigten sich 1912 der Dynastie, die sie in die Isolation gedrängt hatte. Das war dem Westen auch nicht recht. Als sich China dann nach einer Phase großer Wirren rund vierzig Jahre später zur Volksrepublik erklärte, hatte der Westen schon wieder etwas dagegen einzuwenden. Jetzt war ihm das Land zu kommunistisch. Heute wird dagegen angeprangert, China sei zu kapitalistisch und treibe Raubbau an der Natur.

Letztlich können die Chinesen tun, was sie wollen, vom Westen bekommen sie immer einen auf den Deckel, selbst wenn sie nur einen Staudamm bauen. Man könnte ja zur Abwechslung mal die Schweizer kritisieren. Die haben aus fast allen Flüssen ihres Landes Stauseen gemacht und decken heute sechzig Prozent ihres Elektroenergiebedarfs aus Wasserkraftwerken. Von diesem Anteil sind die Chinesen trotz des Megastaudamms weit entfernt.

In dieser Ausgabe (S. 23) schreibt Schmidt nicht nur über die antichinesischen Reflexe der deutschen Medien, sondern auch über die tatsächlichen Folgen der neuen chinesischen Corona-Politik.

 

Kurz vor Redaktionsschluss trat Christine Lambrecht von ihrem Amt als Verteidigungsministerin zurück. Als Grund dafür nannte sie die »mediale Fokussierung« auf ihr Amt. Tatsächlich hatte die Presse Lambrecht unermüdlich dafür kritisiert, dass sie die Chance einer umfassenden Militarisierung Deutschlands nicht entschiedener ergriffen hatte. Schließlich, so ihre Kritiker, befinde sich das Bundesverteidigungsministerium in »interessanten Zeiten«, »schwierigen Zeiten«, »Kriegszeiten« (ZDF). In einer solchen Situation gebe es »keine Schonfrist, und es geht gleich um Tacheles. Es gibt Krieg gegen Europa«, so der CDU-Außenpolitiker und Oberst a. D. Roderich Kiesewetter in fließendem Jiddisch: »Und da sollte die Bundesregierung auch mit Blick auf die Verteidigung handlungsfähig sein.«

Wer den deutschen Anspruch auf die Position der militärischen Führungsmacht umsetzen und die Armee – »Was macht das Ganze mit der Truppe?« (»Welt«) – ebenso wie die Rüstungsindustrie optimal betreuen will, dem wird geradezu Unmenschliches abverlangt: »Er oder sie muss viel lesen und reisen. Die Bundeswehr will erfahren werden« (»FAZ«). Schließlich, so Johann David Wadephul (CDU): »Das ist nicht nur ein Ministeramt.« Wer es ausübt, brauche »große Nervenstärke« (Robert Habeck) und vor allem ein »großes Herz« (Roderich Kiesewetter). Das hat Christine Lambrecht angeblich gefehlt: »Die war für ihr großes Herz nicht so bekannt.« (ZDF)

Gut, dass Boris Pistorius (SPD) ihre Nachfolge angetreten hat. Denn er besitzt genau die Sorte »sagenumwoben großes Herz« (ZDF), das man braucht, um einen Apparat, der Leute umbringen und Städte zerstören soll, samt dem dazu nötigen Gerät zu organisieren. Der vormalige niedersächsische Innenminister forderte bereits 2015 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk die Einrichtung von sogenannten Einreisezentren, in denen sich jeder Flüchtling zu registrieren hätte: »Ansonsten verwirkt er seine Rechte, die er hier haben könnte.« Denn: »Das senkt die Anreize und macht klar: Menschen aus bestimmten Regionen dieser Welt haben keine Chance auf politisches Asyl.« Dafür vielleicht bald eine Chance darauf, dass gut betreute deutsche Soldaten mit funktionierendem Kriegsgerät auf sie feuern, um dem deutschen Anspruch einer militärischen Führungsmacht gerecht zu werden.

 

Der langjährige konkret-Autor Kay Sokolowsky ist ab dieser Ausgabe Redakteur des Politikteils.