Von Prada zur Mudda
Christian Y. Schmidt über den Auftritt von Olena Selenska und Wolodymyr Selenskyj in der Modezeitschrift „Vogue“
Quizfrage: Was trägt die ukrainische Präsidentengattin Olena Selenska im »Vernichtungskrieg« (Selenska)? a) eine ecrufarbene Seidenbluse mit einer schwarzen Samtschleife um den Hals … , oder b) ausgestellte Jeans … und ein rostrotes Button-down-Hemd, das »denselben rostigen Farbton hat wie die ausgebrannten russischen Panzer, die ich in Irpin und Bucha … sah«? Antwort: Beides, je nach Laune, wenn man Rachel Donadio glauben darf, die Selenska in Kiew getroffen und für »Vogue« porträtiert hat. Auf jeden Fall sind die Klamotten nicht mehr von Celine, Prada, Lemaire and Jimmy Choo, die Selenska für ihr erstes Porträt im November 2019 in der ukrainischen »Vogue« stolz präsentierte.
Auch sonst hat sich Selenska verändert. Ihr »strahlendes Gesicht und ihre grün-braunen Augen« sind mit Bedeutung aufgeladen. Sie scheinen »die ganze Bandbreite der Emotionen widerzuspiegeln, die die Ukraine heute beherrschen: tiefe Traurigkeit, Anflüge dunklen Humors, Erinnerungen an eine sicherere, glücklichere Vergangenheit und ein stählerner Nationalstolz«.
In diesem Stil geht das 2022er-Porträt der Frau weiter. Selenska sei ein »Leuchtfeuer für ihr Volk«, »liebt die Ukraine zutiefst« und sei »eine hervorragende Mutter«. Überhaupt kommt das Wort »Mutter« geschlagene sieben Mal vor, bis hin zu dem Satz, in dem Donadio betont, dass Selenska am »8. Mai, dem Muttertag«, eine Flüchtlingsunterkunft besucht und nicht etwa am Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. So wird, wie es sich im Krieg gehört, die ehemalige Prada-Selenska wieder auf eine traditionelle Frauenrolle festgeschrieben.
Auch die Fotos von Annie Leibowitz helfen da nicht viel. Zwar inszeniert sie die Fotografin auf dem Flughafen von Hostomel in einer Gruppe vorgeblich ukrainischer Soldatinnen vor einem zerschossenen Flugzeug – eine Geschmacklosigkeit, bedenkt man, dass in dem Flugzeug wahrscheinlich Menschen gestorben sind –, doch wirkt Selenska in diesem Ensemble eher zerbrechlich. Erst wenn sie am Ende der Bildstrecke von den starken Armen ihres Mannes umfangen wird, wähnt sie der Betrachter in Sicherheit.
Dass diese mit Kitsch vermählte, kaum kaschierte Propaganda bei dem Teil der Weltbevölkerung ankommt, der sein Wissen über die Welt aus Klatschmagazinen bezieht, überrascht nicht. Schon eher, dass sich Leute, die sich für links und aufgeklärt halten, für das von »Vogue« zelebrierte reaktionäre Frauenbild begeistern – das entnehme ich zumindest den sogenannten Sozialen Medien. Bzw. überrascht es doch nicht. Wer ist denn heute noch links?
Christian Y. Schmidt