Action Days

»Israel-Kritik« ist hierzulande allgegenwärtig. Nun haben zwei Musiker den Aufruf »Artists against Antisemitism« initiiert. Von Johannes Creutzer

Alle Jahre wieder: Sobald die Terrororganisation Hamas Raketen auf Israel feuert und der Staat sich erdreistet, sich militärisch zu verteidigen, formiert sich der antisemitische Mob. Und nur zwei Worte reichen aus, um seinen geballten Hass zu spüren: »Stoppt Antisemitismus«, schrieb der Schauspieler Elyas M’Barek in den Sozialen Medien, mehr zunächst nicht. Doch man hatte genug gelesen und war sich seiner Sache sicher: Wer etwas gegen Antisemitismus hat, muss proisraelisch sein. Es habe überhaupt keinen Antisemitismus gegeben, hieß es dann, sondern nur »legitime Israel-Kritik«, M’Barek sei eine »Marionette der Zionisten«. Und das waren noch die freundlichsten Reaktionen.

Von den zwei Worten M’Bareks angesprochen fühlte sich auch der Rapper und Schauspieler (»4 Blocks«) Massiv: »Du warst dir zu schade, was Schönes für deine Geschwister zu schreiben? … Es macht mich traurig, dass du genau jetzt dich dafür entscheidest, lieber diese Karte zu spielen, anstatt an unserer Seite auf die unterdrückten Menschen hinzuweisen«, antwortete Massiv und offenbarte gleich noch seinen Rassismus, indem er M’Barek, dessen Vater aus Tunesien stammt, vorwarf, seine »Geschwister« zu verraten. Massiv fuhr fort und spulte die ganze Palette antisemitischer Verschwörungserzählungen ab: »Stoppt auch die minimale Wasserzufuhr in den Gaza zu versalzen … stoppt das Töten unserer Kinder … Kreischende Fans sind dir wichtiger als weinende Babys.« Brunnenvergiftung und Kinderopfer, man kennt das. Passenderweise hat Massiv kürzlich ein Duett mit Jürgen Todenhöfer veröffentlicht (»Mein Traum vom Frieden«).

Von den vielen negativen Kommentaren wohl überrascht, begann M’Barek, sich zu rechtfertigen: »In keinem Moment habe ich mit meinem letzten Post auf den Konflikt im Nahen Osten angespielt. Es ging mir ausschließlich um die Situation in Deutschland.« Und weiter: »Massiv mein Lieber (sic). Ich spreche mich hier klar und eindeutig gegen Antisemitismus aus … Genauso, wie ich mich gegen Rassismus oder jede andere Form von Diskriminierung aussprechen will.« Aber erkennen beziehungsweise konkret ansprechen kann oder will er anscheinend nichts davon.

Neben großen und kleinen Internettrollen kümmern sich auch gut organisierte Kampagnen um die »palästinensische Sache«. Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) und »Palästina spricht« sind die bekanntesten. Während die Hamas Raketen auf Israel schoss, organisierte »Palästina spricht« in mehreren deutschen Städten am 15. Mai Kundgebungen unter dem Titel »Ongoing Nakba Action Days«, auf denen auch zu einer neuen Intifada aufgerufen wurde. Im Ankündigungstext für die Kundgebung in Hamburg heißt es: »Eine Welt, in der Palästina vom Meer bis zum Fluss frei sein wird, wird eine Welt sein, in der alle Menschen auf der ganzen Welt frei von kolonialistischer Unterdrückung, Ausbeutung und Patriarchat leben können.« Alle Menschen? Wohl kaum. Juden haben in so einer Welt keinen Platz. Das »freie Palästina« wäre mit Sicherheit nur ein weiterer failed Gottesstaat in der Region, und keiner davon kommt ohne Patriarchat aus.

Etwas distinguierter geben sich die BDS-Unterstützer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit. Ihr Name spielt auf die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz an, die sie durch den Beschluss des Bundestags, BDS als antisemitisch einzustufen und der Organisation staatliche Unterstützung zu versagen, verletzt sehen (konkret 2/21). In ihrem Dunstkreis entstanden auch die Jerusalem Declaration on Antisemitism (konkret 5/21) sowie ein offener Brief, unterzeichnet von 1.554 mehr oder weniger Kulturschaffenden, die ihr vermeintliches Recht auf »Israel-Kritik« einfordern: »Kein Staat sollte von Kritik ausgenommen sein«, heißt es darin, auch von einem »Klima der Zensur« ist die Rede. Freilich geht es den Unterzeichnern gar nicht um alle Staaten, sondern ausschließlich um Israel, das nun wirklich genug Kritik erfährt, beispielsweise vom sogenannten Menschenrechtsrat der UN, der seit 2006 Israel 94mal verurteilte, Nordkorea 14mal und die Islamische Republik Iran 11mal. Zu den Unterzeichnern des offenen Briefs zählen so notorische »Israel-Kritiker« wie Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann, Micha Brumlik, Diedrich Diederichsen, Silvia Federici und Slavoj Žižek.

Während sich die größte denkbare Querfront versammelt, von den Queers for Palestine und der Migrantifa über linke Intellektuelle und die sogenannte Mitte der Gesellschaft bis zu Islamisten, Corona-Leugnern und sonstigen Faschisten, stehen auf der Gegenseite nur einige wenige Kritiker. Um diese kleine Gruppe zu organisieren, haben die Musiker Torsun (von der Band Egotronic) und Björn Peng den Aufruf »Artists against Antisemitism« geschrieben. Sie »wollen nicht untätig dabei zusehen, wie der Antisemitismus und sein nicht minder gefährlicher Zwilling, der Antizionismus, immer präsenter werden und mutiger auftreten«. Innerhalb der ersten eineinhalb Wochen haben 750 Personen und Gruppen den Aufruf unterzeichnet, darunter auch die Fehlfarben, Tocotronic, Die Sterne, die Schauspielerin Rebecca Siemoneit-Barum, Jutta Ditfurth und das Conne Island aus Leipzig. Es dürfe nicht sein, »dass Synagogen rund um die Uhr geschützt werden müssen und – wie schon geschehen – jüdischen Menschen aus Sicherheitsgründen empfohlen werden muss, im öffentlichen Raum keine Kippa oder andere Merkmale, wie Kettenanhänger, zu tragen«, heißt es in dem Aufruf weiter. Doch nur ungefähr die Hälfte derer, die angefragt wurden, hätten den Aufruf unterzeichnet. Festzustellen sei, »dass ›größere‹ Artists sich oft schwertaten, nicht antworteten oder gleich absagten«, sagt Torsun. »Am härtesten getroffen hat mich die Nachricht eines Künstlers, den ich sehr schätze und der meinte, er würde den Aufruf absolut unterstützen, aber dieser käme zu spät. Hätten wir eine Woche früher einen zu einer Demo gemacht, wäre er dabei gewesen, aber so hätte es zu wenig Impact, wäre eher Eigenwerbung, und dafür wäre ihm das Thema zu ernst, gerade so, als wäre mit Eintritt der Waffenruhe zwischen Hamas und Israel der Antisemitismus wieder verschwunden.« Wahrscheinlicher sei die Sorge vor »Hass und Shitstorms«. Es sei »auffällig, dass, wenn es um Rassismus geht, viele Artists bereit sind, extrem breite Bündnisse einzugehen, und dies laut kundtun, es den gleichen Artists aber schwerfällt, ebenso viel Engagement zu zeigen, wenn es um Antisemitismus geht«.

Johannes Creutzer schrieb in konkret 6/21 über den Machtkampf zwischen CDU und CSU