Sprechhandlungen

Was lehrt die Debatte über die angeblich trans-feindlichen Aussagen der Autorin J. K. Rowling? Von Ilse Bindseil

J.K. Rowling, die gefeierte Schöpferin von Harry Potter, ist in Ungnade gefallen. Als Frau und als Sponsorin sozialer Projekte hat sie sich zu Genderfragen geäußert, speziell zu trans issues und trans people, da sie, ihrer Meinung nach, das eigene Selbstverständnis sowie die Sicherheit und das Wohlbefinden junger Frauen gefährden. Die Debatte tut weh, insofern in ihr herumgeistert, dass Kritisieren gleich Beschädigen ist. Dabei leiden nicht nur die, die sich beschädigt fühlen und die Kritik mit der gleichen Absicht zurückgeben. Auch die Auseinandersetzung selbst leidet, da sie unter konträren Voraussetzungen geführt wird: als etwas, was man sagt, und etwas, was man nicht sagen darf, weil das bereits falsch gehandelt wäre. Aus letzterer Sicht hat J. K. Rowling falsch gehandelt. Wenn sie glaubt, was sie mit einer Äußerung angerichtet hat, könne sie mit einer anderen Äußerung wiedergutmachen, irrt sie. Solange sie argumentiert, kann sie sich nur um Kopf und Kragen reden.

Wer angesichts des emotionalen Drucks, der zu einem wesentlichen Merkmal solcher Auseinandersetzungen geworden ist, zu einem kulturkritischen Angriff auf die Kurznachrichtendienste ausholen möchte, sollte sich zuvor über deren Funktion Gedanken machen, die ebendarin besteht, Gedanken nicht zuzulassen, denn das wäre ein Verrat an der Unmittelbarkeit, für die etwa Twitter steht: Ein Post ist eine Tatsache, die Wirkungen hervorruft, wie man sie einem solchen Medium nicht zugetraut hätte. Eine Verwandlung der weichen Äußerung in harte Tatsächlichkeit findet statt; religiöse Anklänge sind hier nicht zufällig. Wo das Wort in eine Tat umschlägt, ist Hass ein Lieblingswort, weil es Umschlag ermöglicht. Kritische Theorie, soweit sie noch besteht, mag sich fragen, ob sie an diesem Umschlag nicht einen Anteil hat.

In einem Essay verrät Rowling, dass Tatsachen auch für ihre Generation eine zentrale Bedeutung haben: Nicht nur, weil an ihnen nicht gerüttelt werden kann, sondern weil sie Fremd- und Selbstbestimmung ermöglichen. Man arbeitet sich an ihnen ab und findet auf diese Weise zu sich. Das Geschlecht ist eine solche Tatsache. Doch was, wenn es per medizinischem Eingriff verändert werden könnte? Wie findet man dann zu sich? Wäre sie 30 Jahre später geboren, berichtet Rowling, wäre eine Geschlechtsumwandlung auch ihr als Ausweg aus der ungewollten Weiblichkeit erschienen. Hätte sie im Netz Unterstützung erfahren, hätte sie sich womöglich entschlossen, dem Vater doch noch den Sohn zu schenken, den er so gern gehabt hätte. Da sie aber, könnte man fortsetzen, hoffnungslos weiblich war, konnte sie sich nur auf den höllischen Pfad der Selbstfindung machen, der mit einer ernsthaften Störung begann und in die Sublimierung, die ruhmreichen Bücher, mündete.

Rowling müsste sich gar nicht auf Simone de Beauvoir berufen, damit man versteht, dass sie den leidvollen Prozess ihrer Selbstwerdung und Selbstermächtigung verteidigt, die Aneignung als männlich wahrgenommener Denkformen, Dialektik und bestimmte Negation inbegriffen. Hatte Colette, Rowling zitiert auch sie, festgestellt, sie sei mental ein Hermaphrodit gewesen, so hatte die Ikone des Feminismus die Sache kurzerhand umgedreht. Die eigentliche Frage sei nicht, schreibt Beauvoir, warum Weiblichkeit abgelehnt, sondern warum sie angenommen werde. Etliche Jahrzehnte später wird die überraschende Antwort als Frage zurückgegeben: Ja, warum eigentlich? Ein anderer Weg hat sich ergeben: Nicht länger der Geist, sondern der Körper wird angepasst, und das nicht mit der üblichen pädagogischen Mischung aus Manipulation und Zwang, sondern mit den Mitteln einer so gar nicht in Frage gestellten Biochemie und dem Skalpell. Aus Rowlings Perspektive kann das nur ein Kurzschluss sein, noch dazu mit einer ganz eigenen gewaltvollen Dimension, die, da der Körper sich nach landläufiger Auffassung nicht wehren kann, doppelt befremdet.

Aber nicht nur im massiven Eingriff, auch in der geschlechtlichen Selbstdeklaration nimmt Rowling eine Bedrohung wahr, diesmal nicht für die Betroffenen, sondern für die anderen. Männlichkeit könne in geschützte Räume eindringen, wenn sich jemand zur Frau erklärt, ohne es zu sein. Geschützte Räume, stellt sie fest, gibt es nicht ohne Grund. Sie sind eine Errungenschaft. Müssen sie geopfert werden, damit Transfrauen sich in der Welt zu Hause fühlen können?

Der Gegensatz hat etwas Theatralisches. Das wird noch dadurch unterstrichen, dass die Stars der Harry-Potter-Filme sich gegen die Autorin der Romanvorlage wenden. Als Schauspieler immer schon doppeldeutig, treten sie aus der Fiktion in das empirische Sein, und niemand wundert sich. Liegt es daran, dass mit Harry Potter nicht nur ein Bestseller gelandet, sondern eine Welt geschaffen wurde, die weit über das Imaginäre hinaus die, die zu ihr gehören, eint? Sie unter die gleichen Regeln stellt und sie bei Verstoß mit Ausschluss, mit einem Sturz ins Nichts bedroht? Dann wäre es Zeit, sich über das Verhältnis dieser Welt zu jener Gedanken zu machen, die man gemeinhin die »normale« nennt. Richtige Gedanken − am liebsten würde ich sagen, gedankliche Gedanken −, die sich dem Formalen widmen, dem Phänomen der Wiederholung und Umwertung, dem Ineinander von Fortschritt und Regression, dem Wechselspiel der Gegensätze Kopf und Körper, das insbesondere die Genderdebatte beherrscht und zu einer für die Beteiligten gefahrvollen Angelegenheit voller »Toxizität« (Rowling), zu einer Rutschpartie macht.

Ein Streit um Worte – diese beschwichtigende Formulierung hat ihre Gültigkeit verloren, gründete sie doch auf der Überzeugung, dass Worte die Sache »nur« beschreiben. Dies Verhältnis war schon kompliziert, aber ein Kippmechanismus war es nicht. Bedenke deine Worte, die altertümliche Warnung, die zwischenzeitlich auf die Theaterbühne verbannt war, gilt heute mehr denn je, zumal Richtigstellungen die Angelegenheit nur verschlimmern können. Muss man für Worte strafen und bestraft werden, da sie mit denen, denen sie angeheftet werden – wie es ahnungsvoll heißt –, etwas machen? Und muss man deshalb auch mit denen, die sich durch ihren Gebrauch versündigen, etwas machen? Sollte das so sein, müsste man überlegen, wo in diesem Zusammenhang die Relativierung Platz hat, die – ein echter Bremsklotz – den Reaktionsmechanismus unterbricht. Ich kann es morgen ja noch mal versuchen: Der Satz des niederländischen Autors Janwillem van de Wetering, der mir ausgerechnet von einer Tabakreklame wohl der siebziger Jahre im Kopf geblieben ist, klingt heute wie eine Utopie.

Ilse Bindseil