Zum Hauptinhalt springen

Die Befreiung von Auschwitz

Stefan Gärtner über eine üble Verrenkung der »Süddeutschen Zeitung«

Es hat Gründe, dass ich die »Tagesschau« nicht zum Feierabend rechne. Am 7. September etwa waren sozusagen Israel-Wochen: Erst wurden Palästinenser in Israels Gefängnissen vergewaltigt, dann erhielt ein Film, der dagegen ist, dass Israel, aus Spaß an der Sache, fünfjährige palästinensische Mädchen tötet, in Venedig einen Löwen, und wer sich eine satirische Nachrichtensendung hätte vorstellen mögen, in der allein Israel als Superbösewicht vorkommt, hätte hier Ansätze gefunden.

Die Entwicklung zum ideellen Gesamtschurkenstaat war da aber schon abgeschlossen, dieweil Ronen Steinke, Redakteur bei der »Süddeutschen Zeitung« und promovierter Völkerrechtler, in einem Kommentar zwar Vorsicht empfahl, in Nahost von »Völkermord« zu sprechen, aber zugleich, schon um der Leserbriefredaktion Überstunden zu ersparen, das israelische »Menschheitsverbrechen« klar benannte.

Jetzt ist es also raus, und nur mein Unwille, Geschmacklosigkeit mit Geschmacklosigkeit zu kontern, bewahrt mich vor dem Verdacht, die »SZ«, die ja mal einen soliden antizionistischen Ruf hatte, habe ihre jüdischen Redakteure nicht zufällig eingestellt. Selbstverständlich glauben nur Antisemiten, Steinke sei letztlich Israeli, und selbstredend hat der Kollege keinerlei Verpflichtung, die Sache anders zu betrachten als die deutschen Gojim. Dass seine Landsleute den Juden Auschwitz nie verzeihen werden, ist aber die andere Wahrheit, es sei denn, man wäre irgendwann quitt, und den Völkermord gegen das »Menschheitsverbrechen« einzutauschen ist die Nachricht, man habe nicht Krebs, sondern bloß Alzheimer.

Denn das Menschheitsverbrechen, das ist Auschwitz, allenfalls noch Stalins Gulag. Niemand kommt auf die Idee, den Massenmord der Roten Khmer, den Vietnam-Krieg oder die 30.000 Menschen, die täglich weltweit Hungers sterben, als Menschheitsverbrechen zu bezeichnen, auch wenn Steinke das insinuiert: »In Gaza geschieht ein Menschheitsverbrechen. Egal, wie man es nennt.« Im Unsinn der Formulierung steckt bereits das, was für Adorno Meinung und Wahn verschwisterte, und Eike Geisels »Wiedergutwerdung der Deutschen« darf als abgeschlossen gelten, wenn wir unsre Juden jetzt dabeihaben.

  • Erstellt am .
  • Geändert am .