»Nazis melden ihren territorialen Anspruch an«
Neonazis mobilisieren gegen queere Gedenk- und Festdemonstrationen, die unter dem Namen Christopher Street Day (CSD) stattfinden. konkret sprach darüber mit Eike Sanders vom antifaschistischen Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In)
konkret: CSDs gibt es in Deutschland seit 1979. Nazi-Mobilisierungen dagegen sind erst seit 2024 in die Schlagzeilen geraten. Wurden CSDs vorher tatsächlich in Ruhe gelassen?
Eike Sanders: CSDs und die daran beteiligten Personen wurden in der extremen Rechten immer schon als feindlich wahrgenommen. Und klar ist, dass es auch in ihrer Anfangsphase Nazi-Mobilisierungen gegen CSDs gab. Seit mindestens 2019 führt die neonazistische Kleinstpartei Der Dritte Weg die Kampagne »Homopropaganda stoppen« durch. Ihre Aktionen blieben aber unter dem Radar. Was wir nun sehen, ist, dass mit neuen Gruppen von Neonazis eine neue Dynamik entstanden ist: Es ist letzten und diesen Sommer zu wesentlich größeren Mobilisierungen gekommen, und sie fanden in ganz Deutschland statt.
Die größte Mobilisierung mit rund 700 Nazis war 2024 in Bautzen. Wie kam es zu diesem Ansprung?
Antifeministische und queerfeindliche Einstellungen sind schnell abrufbar. 2024 musste niemand eine Kampagne konzipieren, um Leute zu überzeugen. CSD-spezifische Parolen waren 2024 noch eher die Ausnahme. Viel eher hörte man »Hier kommt der nationale Widerstand«, »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen« und dergleichen. In Bautzen 2024 stand auf dem Fronttransparent der neonazistische Hegemonieanspruch programmatisch zusammengefasst: »Weiß, normal und hetero«. Das verdeutlicht, dass die CSDs als Ausdruck einer feministischen, antirassistischen, demokratischen, links-grün-versifften Zivilgesellschaft gesehen werden. Gegen diese melden die jungen Neonazis einen territorialen Anspruch an. Es geht ihnen um eine rechte Raumnahme, und CSDs scheinen ihnen dafür der richtige Angriffspunkt. Auf dieses Jahr hin hat sich der Auftritt professionalisiert, und man sieht vermehrt Transparente, die spezifisch für den Event gemacht wurden.
Wie erklären Sie diese neue Dynamik in der extremen Rechten?
2023/24 sind sehr viele Neonazi-Gruppen entstanden, vor allem mit jungen Leuten. Sie haben vereinzelt Kontakte zu bekannten Organisationen, zu Überresten der NPD, die mittlerweile Die Heimat heißt, oder zur JN als Jugendorganisation mit Spin-offs wie der Elblandrevolte, die in Bautzen, Görlitz und Dresden maßgeblich an der Mobilisierung beteiligt war. Heute stehen auch die Kinder der Nazi-Kader, die wir aus den neunziger Jahren kennen, auf der Straße. Soziale Medien spielen ebenfalls eine Rolle. Auf Tiktok gibt es eine rechte Subkultur, die sehr viel breiter Wirkung erzielt. Auffällig ist das kollektive Leitbild einer jungen gewaltbereiten Männlichkeit, die sich in sexistischen, queerfeindlichen und rassistischen Posts ausdrückt. Soweit wir aber sehen, entsteht der Erstkontakt nicht im Netz. Man kennt sich, wo nicht aus der Familie, aus der Schule oder aus Sportvereinen, und da vor allem aus Fussballfangruppen. Es ist also der gesamtgesellschaftliche Aufschwung der extremen Rechten durch alle Sozialisierungsinstanzen des Alltags, der sich auf die Einstellungen der Jungen auswirkt.
Die Mobilisierungen dürften also zunehmend Erfolge verzeichnen?
2025 blieb der »Erfolg« von Bautzen 2024 aus. Zwar war dort dieses Jahr mit rund 450 Nazis wieder der größte Aufmarsch gegen CSDs, aber schon merklich weniger. Außerdem begleitete eine eigens organisierte queerantifaschistische Gegendemonstration die Parade, die dafür sorgte, dass Nazis nicht direkt im Nacken der CSD-Teilnehmenden gehen konnten, wie es die Polizei auch dieses Jahr zuließ. Und doch wird leider viel bleiben: Eine neue Generation von Nazis hat Lernerfahrungen gemacht, ihre Sozialisierung wird dahingehend bestärkt, dass es für sie normal wird, am Wochenende irgendwo hinzufahren, um zu schauen, wen sie zusammenschlagen oder wenigstens, wem sie mit Gewalt drohen können, und sie konnten einmal mehr ihren territorialen Anspruch anmelden.
Und die CSDs?
Dort gibt es eine besorgte Stimmung, aber auch eine kämpferische. Auch in diesem Jahr sind weitere Veranstaltungen dazugekommen, teilweise in kleinen Städten, wo es noch nie einen CSD gab. Und wir sehen, dass sich viele CSDs ein politischeres Motto gegeben haben, beispielsweise »Nie wieder still«. Das Bewusstsein, dass queeres Leben angegriffen wird, ist da, und man geht in die Offensive.
Antifeminismus und Queerfeindlichkeit werden auch aus der sogenannten Mitte heraus praktiziert. Wie wirkt sich das auf die CSDs aus?
Solange die Bundesregierung der AfD nach dem Mund redet und handelt, werden die jungen Nazis, wie es in den Neunzigern der Fall war, sich als Vollstrecker des Volkswillens sehen. Dazu gehören auch Merz’ Aussage vom »Zirkuszelt« oder dass Klöckner der queeren Gruppe der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am CSD in Berlin untersagte. Und es hat natürlich Auswirkungen auf CSDs, wenn die Regierung sicher geglaubte, feministische oder queerpolitische Errungenschaften in Frage stellt oder gar zurückdreht. Die meisten Medien und auch die Verwaltungen nannten die Nazi-Mobilisierungen »Gegendemonstrationen«, als ob sie eine legitime Meinungsäußerung darstellen. Dadurch ist etwas entstanden, das vor 2024 nicht so war. Nämlich, dass die Existenz eines CSDs verhandelbar ist, dass es Pro und Contra gibt, dass es lokalen Behörde offensteht, CSDs nicht zu genehmigen oder absurde Auflagen zu erlassen. Nazis sind dann längst nicht das einzige Problem für queeres Leben.
Ein Zwischenfazit Eike Sanders Recherche, veröffentlicht auf dem Portal NSU Watch, finden Sie hier.
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