Zum Hauptinhalt springen

Putins Pyrrhussieg

Ein »Deal« zwischen Russland und den USA wäre für Russland bei weitem nicht so vorteilhaft, wie es der europäische Mainstream darstellt. Von Reinhard Lauterbach

Mitte August, als diese Zeilen geschrieben wurden, war nicht klar, was aus dem Putin-Trump-Gipfel in Alaska und dem anschließenden Auftritt der versammelten Ukraine-Unterstützer aus Europa in Washington in Sachen Beendigung des Ukraine-Konflikts tatsächlich herauskommen würde. Ein schneller »Deal« war ohnehin unwahrscheinlich angesichts des hinhaltenden Widerstands, den gerade die EU und ihre größeren Mitgliedsstaaten allem entgegensetzen, was in ihren Augen wie der kleinste Vorteil für Russland aussieht. Aber selbst in dem Fall, dass die USA die russischen Friedensbedingungen im Kern annehmen sollten und die »Europäer« verstünden, dass sie dem nichts Ernsthaftes entgegenzusetzen haben, wäre die Lage Russlands im Anschluss bei weitem nicht so triumphal, wie es westeuropäische Kommentatoren als Schreckensszenario an die Wand malen.

Denn was hätte Russland in diesem Fall gewonnen? Etwa 120.000 Quadratkilometer schwer zerstörtes Land mit einer Bevölkerung, deren Loyalität vor allem in den besetzten Teilen der Bezirke Cherson und Saporischschja mit einigen Fragezeichen zu versehen ist. Ein Wiederaufbau, der Abermilliarden kosten und Jahre oder auch Jahrzehnte dauern würde. Kurz: Russland hätte wirtschaftlich einen schweren Klotz am Bein gewonnen. Die Vorkommen an Lithium und anderen strategischen Metallen im Donbass, aus deren Verkauf sich der Wiederaufbau vielleicht anteilig finanzieren lassen könnte, sind zwar geologisch seit Jahrzehnten nachgewiesen, aber bis heute nicht ansatzweise erschlossen.

Von der »Demilitarisierung« und »Denazifizierung« der Ukraine hat Wladimir Putin zuletzt nicht mehr gesprochen – es sieht so aus, als ob er sich damit abgefunden habe, dass Russland einen feindseligen und angesichts der vermutlich nicht zu umgehenden Gebietsverluste zum Revanchismus angestifteten südwestlichen Nachbarn behält. Was Russland versucht, ist, diese absehbare Gegnerschaft der Ukraine auf einem für Moskau militärisch handhabbaren niedrigen Niveau zu halten. Ob das gelingt, ist mehr als fraglich; die ukrainische Armee ist heute kriegserfahren und nach Urteilen militärischer Fachleute die kampfstärkste in Europa westlich von Russland. Darauf, dass die Ukraine ihre Armee freiwillig reduziert – auch aus finanziellen Gründen –, braucht Russland nicht zu hoffen, und das schon deshalb, weil Horden enttäuschter demobilisierter Soldaten ein ähnlicher innenpolitischer Unruhefaktor wären wie die Freikorps in der frühen Weimarer Republik.

Auf irgendwelche Bündnispartner in der politischen Klasse der heutigen Ukraine kann Russland nach heutigem Stand nicht setzen; Kräfte, die vor 2022 als »prorussisch« galten, sind aus dem politischen Feld eliminiert, ihre führenden Vertreter leben im Moskauer Exil oder haben ihre politische Aktivität eingestellt. Ihre Chancen auf eine Massenbasis dürften angesichts der Zerstörungen, die der Krieg gerade in den östlichen – und früher tendenziell russlandfreundlichen – Teilen der Ukraine angerichtet hat, aller Wahrscheinlichkeit nach als bestenfalls gering einzustufen sein. Wenn Russland versuchen sollte, sich die Loyalität der Bevölkerung in den eroberten Gebieten durch Sozialleistungen zu kaufen, wird das irgendwann auf politischen Widerstand in der Bevölkerung im »alten« Russland stoßen, die auch nicht auf Rosen gebettet ist und nicht auf Dauer irgendwelche Solidaritätsopfer wird bringen wollen.

Wie Russland seine sicherheitspolitischen Interessen – im Kern, sich die Nato vom Hals zu halten – vertraglich garantieren will, ohne permanenten militärischen Druck ausüben zu müssen, ist nicht minder unklar. »Die Europäer« werden einige Kreativität entwickeln, alle Demilitarisierungs- und Neutralisierungspläne zu unterlaufen. Denn für sie wäre mit einem Misserfolg in der Ukraine schon der erste Versuch, wenigstens vor der eigenen »Haustür« Weltmacht zu spielen, gescheitert. Und auf die Treue der USA gegenüber einem eventuellen Friedensvertrag zu vertrauen, wäre auch einigermaßen leichtfertig. Russland würde also auch bei einem »Deal« nicht darum herumkommen, erhebliche Teile seiner Streitkräfte zur Grenzsicherung nahe der Ukraine stationiert zu halten – wodurch sie zur Machtprojektion an anderer Stelle fehlen würden. Auch in diesem Fall würde eine Überlegung wahr, die der private Nebengeheimdienst Stratfor im Herbst 2013 anstellte – kurz bevor EU und USA den Euromaidan lostraten: Russland durch »trouble in its backyard« von einer an anderer Stelle raumgreifenden Politik – wie damals in Syrien – abzuschrecken. Trumps »Deal«-Szenario macht da offenbar keinen großen Unterschied in der allgemeinen Stoßrichtung.

Im übrigen gilt alles, was Donald Trump Wladimir Putin vielleicht zusagen mag, nur für ihn selbst und in geringerem Maße für seine Partei, die auch ihren »Falkenflügel« hat. Im Fall, dass die nächste US-Präsidentenwahl wieder die Demokraten gewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch eine auf Ausgleich mit Russland zielende US-Politik wieder revidiert würde. Und sei es im Namen des ideologischen Arguments der »Bekämpfung von Autokraten«. Ganz abgesehen von Trumps notorisch sprunghafter Natur und der Tatsache, dass er Russland gerade erst im Südkaukasus einen heftigen Tritt vors Schienbein verpasst hat: durch den Anspruch, unter US-Regie eine direkte Straßenverbindung von Aserbaidschan durch armenisches Territorium in dessen Exklave Nachitschewan und weiter bis in die Türkei – und natürlich auch umgekehrt von der Türkei zum Kaspischen Meer – zu bauen und diese von amerikanischen Söldnerfirmen »sichern« zu lassen. Das würde den Zugriff der USA auf die zentralasiatischen Rohstoffvorkommen ermöglichen, die bisher über das russische Leitungsnetz exportiert werden, womit Moskau die Hand am Regler behält – und wäre ein empfindlicher Rückschlag für Russlands Position im Südkaukasus.

Zusammengefasst: Russland hat den Ukraine-Krieg begonnen wie nach dem Lehrbuch von Clausewitz: als »Fortsetzung der Politik unter Einmischung anderer Mittel«. Wie es von diesen »anderen Mitteln« jetzt wieder herunterkommen will, ohne an seinen politischen Zielen Abstriche zu machen, ist derzeit kaum absehbar. Genausowenig, welche innenpolitischen Folgen das für das System Putin haben könnte.

Reinhard Lauterbach ist freier Osteuropa-Korrespondent

  • Erstellt am .
  • Geändert am .