Katastrophenkapitalismus
Zwei neue Bücher befassen sich mit dem Zusammenhang von Ökonomie, Ökologie und Pandemie. Von Jürgen Pelzer
Die Covid-19-Pandemie ist keine Naturkatastrophe. Wie die Klimaerwärmung und die internationale Bankenkrise 2008 ist sie menschengemacht und ließe sich dadurch verhindern oder zumindest bekämpfen, dass man ihren Ursachen auf die Spur kommt. Bei der Bankenkrise lagen die auf der Hand, was aber nicht dazu geführt hat, dass die entsprechenden politischen Konsequenzen gezogen worden wären. Dasselbe gilt für die Klimaerwärmung.
Das scheint bei Covid-19 anders zu sein. Nach anfänglichem Zögern sahen sich die meisten Staaten gezwungen, die Ausdehnung des Virus einzudämmen. Sie machten Milliarden locker und riskierten den massiven Rückgang ihres Wirtschaftswachstums. Einige Beobachter begannen schon, von den Vorteilen eines Notstand-Staates zu schwärmen, der das Recht auf Leben höher einstufe als das auf Eigentum und Profit, und stellten die Frage, ob ein solcher Staat nicht auch in der Lage wäre, die Klimaerwärmung in den Griff zu bekommen. Doch die ist zwar in ihren zerstörerischen Folgen ebenso unumkehrbar, aber weniger akut, und gerade das Akute der Pandemie zwang zum Handeln, zumal diesmal der reiche Norden betroffen war: Wäre das Virus über Bangladesch in den Irak und von dort nach Somalia oder Zentralafrika gewandert, hätte man es vermutlich bei Hilfsversprechen belassen und die dortigen Bevölkerungen auf die Herdenimmunität vertröstet.
Dabei war die Pandemie durchaus absehbar. Trotz allen medizinischen Fortschritts haben sich die Ausbrüche von angeblich überwundenen Infektionskrankheiten vermehrt. Das neuartige, akute Atemwegserkrankungen auslösende Corona-Virus wurde bereits 2002/2003 diagnostiziert. 2012 erschien es als MERS in neuer Form. Altbekannte Viren wie Ebola oder Zika traten ebenso wie das Dengue-Fieber mit neuer Wucht auf.
Erforscht werden diese Entwicklungen auch in Deutschland. Das Robert-Koch-Institut lieferte 2012 eine ziemlich genaue Prognose zu Ausbruch und Verbreitung einer pandemischen Zoonose, einer von Tieren auf Menschen übertragenen Seuche. Gehandelt hat die Politik nicht, in Deutschland ebensowenig wie anderswo, und die Neoliberalisierung des Gesundheitswesens ging ungestört weiter.
Kaum diskutiert wurden die ökologischen Ursachen von Pandemien. Eine Ausnahme bilden Rob Wallace, der seit Jahren gesellschaftsbezogene Grundlagenforschung in diesem Bereich betreibt, und der schwedische Umweltforscher Andreas Malm, der jetzt eine polit-ökologische Gesamtskizze der Voraussetzungen für Covid-19 geliefert hat. Diese Pandemie wird nur verständlich, wenn man Biologisches, Ökologisches und die Bedingungen des kapitalistischen Weltmarkts ins Auge fasst. Die vermehrte Übertragung von Tier auf Mensch lässt sich durch eine riesige Migrations- und Urbanisierungswelle in China erklären, die zur Bildung von Regionalstädten und –märkten und vor allem zur Verkleinerung von Waldgebieten geführt hat. Damit sind die Rückzugsgebiete für die riesigen Fledertierschwärme beschränkt, und der Kontakt zwischen Menschen und Tieren (und damit auch Viren) wird enger. Die schnelle Verbreitung erklärt sich aus dem enormen Ausbau der internationalen Verbindungen, vor allem auf dem Luftweg: Ein Virus aus Wuhan kann in wenigen Stunden in New York, London oder Berlin sein.
Doch die erhöhte Anfälligkeit für Pandemien ist nur ein relativ isolierter Aspekt der ökologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Wallace und Malm richten ihren Blick auf das ökonomische Ungleichgewicht zwischen dem wohlhabenden Norden und dem ressourcenreichen Süden und zeigen, wie Produkte der Tropen – wie Rindfleisch, Sojabohnen, Palmöl und Holzprodukte – in den „Kreislauf des Kapitals“ eingespeist werden. Wenn die Regenwälder am Amazonas brennen, dann nicht weil kleine Farmer um ihr Überleben kämpfen, sondern weil große Unternehmen Landmassen an sich reißen und so den Konsum anheizen. Die ökologischen Folgen sind gravierend, für das Klima ebenso wie für Biotope und zahllose Tierarten. „Der Norden bekommt die Profite, die Produzenten im Süden bekommen die Moskitos“ und schlagen sich mit alten und neuen Seuchen herum.
Die treibende Kraft hinter diesen Entwicklungen ist das Kapital, das Raubbau an der Natur betreibt, und zu den Folgen zählen Seuchen beziehungsweise ein zu erwartender „chronischer Notstand“ (Malm). Es ist nicht zu erwarten, dass die Politik sich mit der zentralen Fraktion des Kapitals, dem „fossilen Kapital“, anlegen wird. Doch genauso utopisch erscheint der von Malm ins Spiel gebrachte „ökologische Leninismus“, der sich den ökonomischen Interessen, die hinter der Klima- und sonstigen Katastrophen stehen, ebenso konsequent verweigert wie Lenin im September 1917 dem Kriegsgeschehen. Ein Staat, der fundamentale Probleme lösen und Katastrophen vermeiden wollte, müsste das tun. Doch welcher Staat wäre heute dazu in der Lage?
Rob Wallace: Was COVID-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat. Papyrossa, Köln 2020, 207 Seiten, 20 Euro
Andreas Malm: Klima|X. Matthes und Seitz, Berlin 2020, 263 Seiten, 15 Euro