LK 8

literatur konkret Nr. 8

Form & Widerstand

Hätten wir Mittel und Macht, Kulturförderung zu betreiben, würden wir dann unsere Gegner subventionieren? Sicher nicht. Aber genau diese Absurdität ist das bestimmende Thema des Jahres, nur andersrum. Alle sind gegen den furchtbaren Einfluß der Wende. Genauer, gegen die von Zimmermann verfügten und noch kommenden Etatkürzungen. Um nichts anderes geht es, weil alles andere bereits vollzogen war.  
 
Oder wollte die sozialliberale Regierung mit ihrer Politik des »Miteinander« die Gesellschaft verändern? Doch wohl nicht. Sie hat einzelne »förderungswürdige« Gruppen besser als vorher am Kapitalismus beteiligt, und jeder fühlte sich wohl dabei. Die literarische Linke bestand bereits damals nur aus Böll und Grass, und Sloterdijks Feuilleton-Schutt wäre auch vor dem 6. März von denselben Kritikern als neue Philosophie gefeiert worden, was keiner sagt, weil es bei Kulturpolitik um »Höheres« geht.  
 
Um die Heuchelei komplett zu machen, wird beklagt, was die Vermarktungsstrategien des Literaturbetriebs selbst hergestellt haben: ein Volk von Bestseller-Lesern. Die eine Hälfte konsumiert die alte Trivialität eines Konsalik, die andere Hälfte die neue Trivialität der Kristiane Allert-Wybranietz.  
 
Wer schreit hat unrecht, sagt der Volksmund. Ein Grund mehr für uns, jenseits des sozialdemokratischen Getöses über »verlorengegangene Werte« auf den eigentlichen Wert der Literatur zurückzukommen, der durch ihre Sprache vermittelt wird. »In Worten erschließt oder verschließt sich uns die Welt«, schreibt Hermann Peter Piwitt. Und die Form der Literatur befördert oder behindert gesellschaftlichen Widerstand. Das ist das Thema von Literatur Konkret 1983. 

Inhalt

Editorial von Ingrid Klein

Die Ästhetik des automatischen Faschismus von Alfred Hrdlicka
Die bildende Kunst hat die Neutronenbombe längst hypothetisch gezündet: das anpassungsfähige, experimentierbeflissene Meerschwein Künstler hat den Menschen eliminiert
 
Der Anteil der Frauenbewegung an der Zerstörung der Vernunft von Hermann Peter Piwitt
 
Rita Münster: eine Rasterfahnderin aus Liebe gewissermaßen von Christel Dormagen
Ein Roman im Flüsterton, der sich nicht drohend auf Gemeinsamkeiten des Lebens im allgemeinen und im besonderen beruft, hellhörig für unauffälligste Bewegungen
 
Der Kopf verunstaltet den Körper von Ludwig Fels
Ein Schriftsteller schreibt daß er arbeitet.
 
Ein Plädoyer für die Form von Hans Heinz Holz
Apostel des sogenannten Realismus beurteilen ein Kunstwerk nach seinem Inhalt. Sie irren. 
 
Zwischen nicht mehr können und wieder wollen von Hans Peter Willberg
Wenn unsere Autos so schlecht gebaut würden wie unsere Bücher, lägen unsere Straßen voll mit Toten. Ein Kommentar zur Buchgestaltung
 
Die proletarisierte Literatur von Michael Scharang
Die neue Literatur wurde ausgehungert, Sie sollte nie wieder zu dem werden, was sie vor dem Faschismus war, Es war die Bourgeoisie selbst, die das Ende der bürgerlichen Literatur nachdrücklich einläutete
 
Der Barbier des Präsidenten von Gabriel García Márquez
 
Massa Sloterdijk und der linke Kolonialismus von Christoph Hein
Zur Wiedergeburt des Feuilleton-Schutt als Philosophie schrieb Christoph Hein aus der DDR einen Brief
 
Ein Volk liest seinen Dichter von Hermann L. Gremliza
 
In zwanzig Jahren... von Susanne von Paczensky, Leonhard Mahlein, Günter Herburger, Peter O. Chotjewitz, Peter Hamm, Joachim Bloch, Hermann Peter Piwitt
Welche deutschen Nachkriegsautoren werden dann noch von Bedeutung sein? Im Jahre 1910 hielt man zum Beispiel den Nobelpreisträger Paul Heyse für den zeitgenössischen Autor, der auch in fünfzig Jahren noch gelesen werden würde. Überlebt haben aber ganz andere. Auf unsere Frage erhielten wir folgende Antworten:
 
Halt mich los, ich laß dich fest von Ingrid Klein
Die junge Generation ist verlagstechnisch in Zielgruppen zerlegt worden. jetzt gibt es nur noch Ökos, Punks, Beziehungskisten, Arbeitslose, Drogenabhängige. Und für alle den spontan geplanten, problemorientierten Randgruppenroman
 
Big Sinn, Peinsäcke und nichts als die Wahrheit von Josef Haslinger
Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Natur und Geschichte und was es sonst noch an Achtundsechziger-Plunder gibt, kennt die Welt der neuen Literaten nicht
 
Eine schwere Genitivmetapher sitzt im Caféhaus von Delf Schmidt
Die Lyrik-Bändchen von Kristiane Allert-Wybranietz sind über 400. 000 mal verkauft worden. »Dial-a-poem« wird in einer mittleren Großstadt tausendmal pro Woche gewählt. Ist aus dem utopischen Anspruch »schreiben kann jeder« ein »dichten kann jeder« geworden?
 
Der Hippie ist die Mutter der Wende von Diedrich Diederichsen
Alles rückt jetzt näher zusammen: die Rechten sowieso und die Linken sind endgültig gegen das Böse und für das Gute
 
Das Lied vom kleinen Glück des Kleinschriftstellers von Horst Tomayer
 
Mexiko, das Land des Frühlings von Günter Amendt
B. Travens Reisebericht über Mexiko ist eine Mischung aus Faszination, Utopie, politischer Klarsicht, latentem Rassismus und unbewußtem Anti-Imperialismus. 
 
Books & Babies & Beef Stews von Norgard Kohlhagen
Die Tagebücher von Sylvia Plath, die nur in den blauen Stunden Zeit zum Schreiben fand, sind jetzt, vom Ehemann bereinigt, in den USA erschienen. 
 
Weib und Masse sind geistlos von Karl Pawek
Der Held in» 1984« ist ein Frauenfeind wie sein Schöpfer George Orwell. Seine politische Botschaft ist die der Thatchers, Reagans und Kohls. 
 
Sein Ziel war der geistige Arbeiter von Elsbeth Wolffheim
Fünfzig Jahre alt sind die Polemiken von Kurt Hiller über Krieg und Wiederbewaffnung, über die »Gewerkschaftswebel«, die Engstirnigkeit von Monopol-Funktionären, die Zersplitterung der Friedensbewegung und die Uneinigkeit der Linken. Aber veraltet sind sie nicht. 
 
Ich schrieb bloß für den Tag von Stefan Berkholz
Hardy Worm war so bescheiden, hellsichtig, kämpferisch und einfallsreich wie Tucholsky, aber auch naiver. Vor zehn Jahren starb er völlig unbekannt in Berlin. 
 
Das Buch war sein Kumpel von Michael Ben
200.000 Taschenbücher von »Am Fließband«, der Abrechnung mit Henry Ford, kaufte die Automobilarbeiter-Gewerkschaft 1937 ihren Mitgliedern. 
 
Die kleinen Sächeli erhellen den Fall von Norbert Klugmann
Wenn der Schweizer Friedrich Glauser mal nicht interniert war, hat er in einem Kohlebergwerk, auf dem Monte Veritá, in der Fremdenlegion oder als Gärtner gearbeitet, gelebt und geschrieben. 
 
Der tückische, nicht enden wollende Roman einer Sekunde von Karl-Heinz Götze
Nach 1.200 Seiten Erkundung im »Leitplankenland« BRD schickt Günter Herburger den Kurier seiner Thuja-Triologie, Johann Jakob Weberbeck, zur Erholung in die DDR, in das »Land ohne Geraden«.
 
Eine Liebeserklärung an Tote und Lebende von Urs Jaeggi
Martin Walser hat sich beim Lesen von Proust, Goethe, Schiller, Swift, Heine und anderen betören lassen. Seine Leseerfahrungen sind ein unaufdringliches Vergnügen. 
 
In diese Haut wird nichts eindringen von Gabriele Kreis
Die ebenso karge wie kunstvolle Geschichte eines Lebens am Leben vorbei ist in der DDR bereits zu einer Art Kultbuch geworden. 
 
Abschied von einer Folie à Deux von Sabine Rosenbladt
Der letzte Akt vom Drama des begabten Sartre, inszeniert von seiner Gefährtin Beauvoir, ist ein deprimierendes Schauspiel. 
 
Klares Foulspiel und Kulturkampf von Stephan Reinhardt
In der DDR galt Hartmut Lange als Marxist. jetzt führt er hier in der BRD als Schöngeist vor, wie das Sein das Bewußtsein verändert. 
 
Eingestaubte Paradiesvögel gehen im Lotterlook von Walter Boehlich
Das nunmehr gedruckt vorliegende Kulturkonzept der ehemaligen Schattenministerin Alfred Dreggers ist die intellektuelle Entsprechung dessen, was ihr als »Schmuddellook« erscheint.
 
Der Schaum am Mund Amerikas von Lothar Baier
Die Geschichte des Rätsels »Odone« ist gleichzeitig eine ganze Kolonialgeschichte anhand des Mikrokosmos der Insel Martinique. 
 
Forscher als Volksbeglücker von Martin Dannecker
So fade wie ein Milchshake und so harmlos wie ein Kaninchen ist die Sexualität des Menschen aus der Sicht amerikanischer Wissenschaftler. 
 
Sie hat ein Pessar, er hat einen Verleger von Ingrid Klein
Einige Bücher werden gerade dann von der Szene gekauft, wenn sie nicht mehr als ein schlechter alternativer Herrenwitz sind.
 
Mir träumte von Clara Bebel und August Zetkin von Regina Kramer
Es gibt Wahrheiten, die nimmt man nicht wahr, und es gibt Gefühle, die sind wahr. Für sich beides richtig, vermischt wär's noch besser.
 
Lateinamerika von Renate Hücking
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Faschismus von Klaus Körner
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Kinderbücher von Heinrich Hannover
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Kunst und Theorie von Hans Platschek
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