In Grundzügen rehumanisiert?

Jens Hoffmann über Die Haifischinsel von Katja Lembke

Kinderträume um 1900, die deutsche Flugabwehr im Zweiten Weltkrieg, die Kartause von Mainz – das Programm des Verlags Nünnerich-Asmus ist auf die reiferen deutschen Jahrgänge zugeschnitten. Aber wenn sogar die Gerda-Henkel-Stiftung bei der Aufhellung deutscher Kolonialgeschichte mitmacht, wird das Publikum vielleicht auch das sperrige Thema Konzentrationslager in Kauf und das Buch Die Haifischinsel in die Hand nehmen.

Inspiriert durch die Praxis spanischer, britischer und amerikanischer Kolonialbeamter, errichtete das Deutsche Reich seit 1905 auf dem Gebiet der heutigen Republik Namibia mehrere Konzentrationslager. Ihr militärischer Zweck war die Isolierung und Kontrolle von Männern, Frauen und Kindern, die als Bedrohung der deutschen Herrschaft angesehen wurden. Da alle Gefangenen überdies zu Arbeiten in Häfen, Eisenbahnanlagen oder Privathaushalten gezwungen wurden, profitierten staatliche Instanzen, Kaufleute und Siedler auch wirtschaftlich von der in Berlin beschlossenen Repression. Die große Mehrheit der Deutschen befürwortete die Lager und sah sie als Fortschritt gegenüber der von Gouverneur Lothar von Trotha betriebenen Politik der Vernichtung aufständischer Nama und Herero an. Bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft 1914 starben in den Lagern fast 7.700 Männer, Frauen und Kinder an Zwangsarbeit, Mangelernährung und Misshandlungen durch Wachleute.

Im Juni 2022 untersuchte die Archäologin Katja Lembke mit ihrem Team das ehemalige Lagergelände auf der Haifischinsel in der Bucht von Lüderitz. Dank moderner Vermessungsmethoden konnten die Forscher auf dem zu Teilen als Campingplatz genutzten Areal Lagergebäude genau lokalisieren. Die Stärke des Buchs liegt in der Präsentation historischen und zeitgenössischen Bildmaterials – inklusive der Postkarten von Konzentrationslagern, die sich die deutschen Herren als teure Erinnerung zuschickten. Dass die archäologische Untersuchung ihrer in deutschen Museen archivierten Schädel die Opfer »in Grundzügen« rehumanisiert, kann allerdings nur behaupten, wer die Versorgung von Gefangenen mit Trinkwasser auf einem 32-Hektar-Granitfelsen als »große Herausforderung« bezeichnet.

Katja Lembke (Hg.): Die Haifischinsel. Das erste deutsche Konzentrationslager. Nünnerich-Asmus, Oppenheim 2023, 96 Seiten, 20 Euro