The Times They Are a-Cangin´

Bernhard Torsch über die Krise linker Medien in rechten Zeiten

Wenn sich die Zeiten ändern, ändern sich auch deren Zeitungen, weswegen wir nun einmal mehr vor einem wahrscheinlichen Massensterben mehr oder weniger linker Magazine und Blätter stehen. Vom »Neuen Deutschland« über das »Missy Magazine« bis hin zum populärwissenschaftlichen Magazin »Katapult« und zur Satirezeitschrift »Titanic« – sie alle standen Anfang September vor der Pleite. Publikationen wie der »Jungen Welt«, deren Abspaltung »Jungle World«, der »Taz« und auch konkret geht es nicht viel besser. Die Auflage des einstigen Flaggschiffs sozialdemokratischer Publizistik, der »Frankfurter Rundschau«, sank von fast 200.000 im Jahr 1998 auf nur mehr 79.000 im Jahr 2013. Es folgten die Insolvenz und die Übernahme durch die »FAZ« und die Frankfurter Societät. Die »Berliner Zeitung«, in den neunziger Jahren noch ein Blatt mit einer Auflage jenseits der 200.000-Stück-Marke, druckte 2021 gerade noch 80.000 Exemplare.

Im September lief eine Kampagne zur Rettung der »Titanic« an. Verständlicherweise von den Herausgebern sowie jenen Mitarbeitern, die immer noch auf ihre August-Honorare warten, initiiert, von Humorarbeitern wie Jan Böhmermann und Stefanie Sargnagel unterstützt und vom stellvertretenden »FAZ«-Feuilletonchef Michael Hanfeld wohlwollend begleitet, wirbt sie für Abonnements.

Wenn Oliver Maria Schmitt, in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre »Titanic«-Chefredakteur und heute einer der Herausgeber des Hefts und »FAZ«-Autor, gegenüber dem Branchendienst »Kress« nun sagt, schuld an der finanziellen Misere des Magazins seien die Satire- und Comedyangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender, da diese »von allen zwangsweise finanziert werden«, erschließt sich auch daraus, warum das bürgerliche Deutschland zwar der »Titanic« beisteht, aber wenig gegen das Verschwinden linker Publikationen hat, die nicht absichtlich komisch sein wollen. Kritik an »Zwangsgebühren«, also an öffentlich-rechtlichen Medien, ist durchaus kompatibel mit dem Marktfundamentalismus der Sorte »FAZ« oder Springer.

Die »Titanic« zu lesen oder früher einmal gelesen zu haben gehört darüber hinaus für eine erkleckliche Anzahl jener Menschen, die heute im deutschsprachigen Raum in die mittlere Funktionsklasse des kapitalistischen Betriebs aufgestiegen sind, zu ihrer persönlichen Biografie, weswegen hier auch Sentimentalität und Nostalgie im Spiel sind. Die etwas Klügeren unter den Laufburschen und Milchmädchen des Kapitals wissen auch, dass Satire der moralisch so schwer vertretbaren wie persönlich oft kaum auszuhaltenden Existenz in einer liberalen kapitalistischen Gesellschaft ein bisschen Erleichterung verschafft. Außerdem ist der Humor, den die Nazis, die für die nächste Runde bereitstehen, anzubieten haben, von äußerst schlechter Qualität. Wer aber für ein System arbeitet, das Verbrechen an Verbrechen reiht, will wenigstens mit Niveau unterhalten werden.

Jenseits solchen Zynismus gibt es auch andere Motive, warum wenigstens die Belegschaften und die mit dem Tagesgeschäft vertrauten Redakteurinnen und Redakteure konservativer Zeitschriften sich über das drohende Verschwinden linker Zeitschriften und linksliberaler Satire nicht so recht freuen können. Neben der dem Selbsterhaltungstrieb zu verdankenden Erkenntnis, dass jede verschwundene Publikation auch verschwundene potentielle Publikationsorte bedeutet, haben nicht wenige jener, die heute auf der mittleren Führungsebene bürgerlicher Zeitschriften arbeiten, eine persönliche Historie, die sie mit linken Zeitschriften verbindet. Lange waren linke Publikationen so etwas wie die Ausbildungsstätten, aus denen dann bürgerliche Großmedien einige ihrer Mitarbeiter/innen rekrutierten. Wer gut schreiben konnte und weltanschaulich flexibel war, durfte darauf hoffen, eines Tages vom Hungerleider, der für eine Handvoll Euro und angetrieben von Idealismus für ein linkes Blatt arbeitete, zum wohlbestallten Redakteur der »FAZ«, der »SZ« oder der »Welt« aufzusteigen. Das kann man niemandem vorwerfen, der auch gerne mal eine eigene Wohnung statt des WG-Zimmers hätte.

Warum aber sterben linke Zeitschriften vor sich hin, während rechte und rechtsextreme Publikationen aus dem Boden sprießen? Da müssen wir zurück zum ersten Satz dieses Textes: Die Zeiten ändern sich. Die relativ liberale Phase der westdeutschen Nachkriegszeit geht zu Ende. In dieser Phase war linke Publizistik nicht nur toleriert, sondern erfüllte einen systemrelevanten Zweck. Wenn, so dieser Zweck, in Zeitschriften mit teils Zehntausenden Abonnenten (meist) straflos das System fundamental kritisiert werden konnte, war dies scheinbar der Beweis dafür, wie pluralistisch und offen dieses System doch war. Das war exakt das, was das postnazistische Deutschland so dringend benötigte, um seinen schlechten Ruf zu verbessern und Managern bei Geschäftsessen mit ausländischen Kollegen unangenehme Fragen zu ersparen.

Ein anderer Grund für die paradoxe Existenz linker bis linksextremer Zeitschriften in der kapitalistischen Exportnation Deutschland war das handfeste Interesse gar nicht so kleiner Teile der Bevölkerung an einer Auflockerung der Klassenverhältnisse, die wenigstens so durchlässig werden sollten, dass auch Arbeiterkindern, Frauen, Homosexuellen und anderen, nach deren Arbeitskraft lange wenig Nachfrage bestanden hatte, die Teilnahme am Betrieb ermöglicht und damit eine sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer nützliche Entsorgung des kontraproduktiven Muffs stattfinden würde. Eine nur im statistischen Sinne kritische Masse hat dieses Ziel erreicht und gehört nun zu jenen etablierten Bürgern, die sich mehr vor einem Verbot von Gasheizungen fürchten als vor dem rechtsautoritären Umbau, der bevorsteht. Gesellschaftskritik von links verliert ihre Kundschaft, und obwohl es an Unterdrückten und Benachteiligten nicht mangelt, gelingt es den linken Medien so wenig, zu deren Sprachrohr zu werden, wie es linken Parteien gelingt, deren Wut zu Stimmen zu machen. Auch die Entsolidarisierung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass es den meisten Menschen hierzulande wohl allenfalls ein Schulterzucken wert wäre, wenn es einer linken Zeitschrift gelänge, zum Thema soziales Unrecht einen Scoop zu landen.

Bernhard Torsch schrieb in konkret 9/23 eine kleine Nachbetrachtung zur Affäre Fabian Wolff