VON konkret

Vor einem Jahr lag ein konkret-Titel in den Kiosken und Buchläden, der bereits bei seinem Erscheinen aus der Zeit gefallen war: »Go East – Nato-Aggression gegen Russland«. Denn er unterschätzte die Wahrscheinlichkeit eines russischen Angriffs auf die Ukraine, der ein, zwei Wochen nach Redaktionsschluss stattfand. Richtig war an diesem Titel, darauf zu bestehen, dass auch dieser Krieg eine Vorgeschichte hatte. Dass schon diese banale Feststellung plötzlich kritikwürdig erschien, wurde legitimiert durch die proklamierte »Zeitenwende«, die historische Zäsur, die dem »ersten Krieg in Europa« seit dem Zweiten Weltkrieg angedichtet wurde. Der erste Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg war der Krieg in Jugoslawien. Und wie wenig sich seither in Deutschland getan hat, lässt sich aus einem Vergleich dessen ersehen, was sich damals und heute an der Heimatfront tat beziehungsweise tut.

In seiner Kolumne in konkret 2/97 schrieb Hermann L. Gremliza über die deutschen Kriegsziele 1914/18, 1939/45, 1997 und – ohne es zu wissen – auch 2022:

Die »Randvölker« jenseits der Ostgrenze werden Rohstofflieferanten und Hilfsarbeiter, die zu geringstem Lohn jene inferioren Arbeiten verrichten, für die der deutsche Facharbeiter zu kostbar (1914, 1941) oder zu teuer ist (1997). Osteuropa sollte und wird für die Deutschen ein Hinterhof werden, wie die USA in Lateinamerika einen haben.

Denn »Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben« (Lars Klingbeil).

Ohne falsche Bescheidenheit kann dieser Joseph Fischer ja heute selber sagen, »daß dieses Europa mit Horrido auseinanderfliegt, wenn unser Land die europäische Führungsaufgabe nicht wahrnimmt«, und der Rest ist Dreisatz: Wer Europa führt, muß Weltmacht sein. (Gremliza in konkret 5/99)

Damit Deutschland zur Weltmacht werden konnte, musste es sich seiner Vergangenheit entledigen, und das schon damals am besten dadurch, dass es Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gegen einen neuen Hitler verteidigte:

… mit »Hitler« als feindlichem Ausländer, dessen Vorname je nachdem Saddam oder Slobodan heißen konnte, mit »Genoziden«, »KZs« und »Auschwitz« auf dem Balkan, im Mittleren Osten oder in Tibet. … Er habe, sagte Fischer, als er schließlich auf der Hardthöhe der Zeit angekommen war, nicht nur »Nie wieder Krieg« gelernt, sondern auch »Nie wieder Auschwitz«, womit er aber nicht ankündigen wollte, dass er mit der zweiten Lehre morgen so verfahren werde wie heute mit der ersten, sondern bloß sechzig Jahre post festum den Beitritt Deutschlands zur Anti-Hitler-Koalition erklären. (Gremliza in konkret 5/99)

Manchmal versagte auch damals die Entnazifizierung, und das Gerede vom slawischen Untermenschen brach sich Bahn:

»Jugo-Serbien ist eine gänzlich uneuropäische Macht. In der heutigen Staatenwelt ähnelt ihm am ehesten der Irak, die serbischen ... Führer haben zur Wahrheit ein orientalisches Verhältnis. Deshalb darf für Serbien auf alle absehbare Zeit kein Platz in der Europäischen Gemeinschaft sein.« (Johann Georg Reißmüller in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«)

Und auch damals:

Gegenreden, Einwände: null. (Gremliza in konkret 2/97

Bis auf:

In der »Zeit«, der »Welt« und der »Frankfurter Allgemeinen« lamentierten junge und alte Kameraden über viele Seiten hin, zumeist im Tenor des Dr.-Ing. Edgar Dehler aus Weimar, der seiner »FAZ« schrieb:

»(Scharpings) Hinweis auf die ›Fratze unserer Vergangenheit‹ erinnert an das Geplapper antifaschistisch eingefärbter Ideologen ... Wenn aber westliche Militärmächte, die die Vertreibung der Deutschen anordneten und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ungerührt hinnahmen, sich heute als alleinige Vertreter einer humanen Welt aufspielen, dann gewinnt solche Zurschaustellung für die deutschen Überlebenden der Vertreibung einen fatalen Beigeschmack.«

»Lässt unsere Regierung weiterhin unsere ›Tornados‹ unter dem so fabelhaft informierten US-Kommando fliegen und Bomben schmeißen? Das, Herr Scharping, verantworten dann wohl Sie.«

»Dollar regiert die Welt. Und wir Deutschen haben nichts dazugelernt.«

Der vorletzte Absatz ist nicht mehr von Edgar Dehler aus Weimar, sondern schon von Wolf Heckmann aus Hamburg, Oberkommentierender der dortigen »Morgenpost«, der letzte Absatz stammt von Franz Schönhuber. (Gremliza in konkret 6/99)

Und auch das wiederholt sich heute: Selbst so kluge und honorige Personen wie Micha Brumlik und Ignatz Bubis schlossen sich der ideologischen Kriegsfront an, weil sie den größtmöglichen Abstand zu dieser »neuesten deutschen Friedensbewegung« suchten.