Dumme Menschen

Thomas Blum über Ottessa Moshfeghs neuen Roman und dessen deutsche Rezensenten

Das neue Buch der US-amerikanischen Schriftstellerin Ottessa Moshfegh, eine Geschichte über Ausbeutung, Elend und Dekadenz, ist nicht gerade eine lebensbejahende Angelegenheit: Die Bewohner eines mittelalterlichen Dorfs, die den Roman Lapvona bevölkern, sind allesamt stumpfsinnige, missgünstige, bigotte, selbstsüchtige, gewaltaffine, moralisch verkommene Gestalten. »In Lapvona ist das Leben dumm, die Menschen sind dumm, die Liebe ist dumm und die Frömmigkeit ist dumm«, schreibt der britische »Guardian«. Es geht also zu wie in unserer Gegenwart. Das dystopische Anti-Märchen ist dabei überaus konventionell erzählt, teils sogar wie ein Trivialroman (»Sein Glied war schon steif und pulsierte«).

Doch hierzulande darf ein Buch nur als Literatur gelten, wenn es halbwegs sittsam und geordnet zugeht. Romane sollen bitte schön erbaulich sein: Teestubengeplauder, ein wenig Schicksalsmelodie mit Niveau, »mit ernsten Zwischentönen«, gern mit Anregung zum Nachdenken, gesundem Bürgersinn und versöhnlicher Weltdeutung. Die Ästhetik des Biedermeier, gepaart mit einer »spannenden« oder herzerwärmenden Handlung. Sexualität auch gerne, aber bitte »geschmackvoll«! Kraftvolle, erhebende Plädoyers für Optimismus, Geschichten, die »uns zusammenbringen« und die sogenannte Spaltung der Gesellschaft überwinden wollen, sind erwünscht.

Daher findet die »Welt« Lapvona degoutant: Moshfegh »überschreitet nicht nur die Grenzen des Ekels, sondern auch die des guten Tons«. Auch im Deutschlandfunk ist man entrüstet, weil die Schriftstellerin »die Grausamkeit … in epischer Opulenz, bis ins kleinste Detail« ausstellt. Schlimmer noch, der Rezensentin wurde schlecht: »Ein Exzess an Grausamkeit, das hat bei mir schon so ’ne innere Grenze tangiert.« Auch bei der »FAZ« kam es zu Übelkeit: »Obwohl die eigentliche Handlung hier noch nicht einmal begonnen hat, ist einem schon schlecht.« Des weiteren beklagt man dort die »übergrässlichen Darstellungen« und das »ermüdende Horrortheater. Alle sind derart verdorben, bösartig und auch schlicht dumm … Man fühlt sich davon nicht aufgeweckt, sondern nur angeekelt.«

Ein bisschen Trostlosigkeit à la Cormac McCarthy und etwas Splatter-Ästhetik: Das reicht in Deutschlands Rezensentenstuben aus, um zu kollabieren. Da werden wir wohl weiter Juli Zeh und Dörte Hansen lesen müssen.

Ottessa Moshfegh: Lapvona. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin, 336 Seiten, 26 Euro