Hünderl und Würmer

Paul Schuberth über Franz Stelzhamer und den Antisemitismus

Dem oberösterreichischen Schriftsteller Franz Stelzhamer (1802–1874) kommt das Verdienst zu, das Verhältnis seiner Landsleute zu ihrem Heimatbundesland treffend beschrieben zu haben: Im Gedicht »Hoamatgsang« lässt er sein lyrisches Ich Oberösterreich so lieben wie »ein Kinderl seine Mutter, ein Hünderl seinen Herrn«. Stelzhamer, nach dem von Linz bis Fürstenzell in Bayern Straßen benannt sind, machte sich aber auch um den Antisemitismus verdient. Dabei war er mit Parasitenvergleichen und der Andeutung einer notwendigen Vernichtung seiner Zeit voraus, wie der Text mit dem Titel »Jude« aus der Sammlung Buntes Buch (1852) beweist: »In alle Welt zerstreut, schlingt er sich, bald dünner, bald breiter, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivierten Staatskörpers, und wie oft man ihn auch abzutreiben versucht hat, man gewann … bis jetzt nur größere oder kürzere Stücke, nie aber den Kopf selbst.« 1952 wurde »Hoamatgsang« als offizielle Landeshymne Oberösterreichs durchgesetzt. Dem Schriftsteller Ludwig Laher ist zu verdanken, Diskussionen über Stelzhamers Gesinnung initiiert zu haben. 2020 forderte die Interessengemeinschaft Autorinnen Autoren, der Dachverband der österreichischen Schriftsteller/innen, eine Neuausschreibung der Landeshymne. Die Landesregierung reagierte im Dezember 2022 mit einer Festveranstaltung zu Ehren des 70.Geburtstages der Hymne. Nicht entschuldbar seien Stelzhamers antisemitische Ausfälle, so der Landeshauptmann, und daher sei die Hymne »steter Anstoß, auch die Erinnerung an die Schatten unserer Geschichte lebendig zu halten«. Das Wir zu bewahren, sei die Hauptsache gewesen, schrieb Max Horkheimer über die Doppelbödigkeit kollektiver Schuldbekenntnisse. Auch in diesem Fall wird das »Wir«, das Antisemitismus genauso integriert wie dessen Beanstandung, umso robuster. Kritik verwandelt sich hier zum Bestandteil der Identität und taugt nicht mehr dazu, die Gefährlichkeit kollektiver Identität aufzuzeigen. »Erinnerung als höchste Form des Vergessens« (Eike Geisel) ist in Österreich neu, doch das aktuelle Beispiel kommt wie gerufen als Beweis dafür, dass es sich bei dieser Formel nicht nur um eine dialektische Pointe handelt. Das Bekenntnis zu Stelzhamer mitsamt der Kritik an seinem Antisemitismus ist gefährlicher als ein Bekenntnis, das den Antisemitismus vergisst. Denn so müssen Proteste gegen die überall stattfindende Ehrung des Heimatschriftstellers wie ein Angriff auf die Erinnerung selbst wirken.