Utopie im Jetzt

Hans Peter Geerdes, Frontmann der deutschen Dance-Band Scooter, hampelt seit über 30 Jahren unter dem Namen »H.P. Baxxter« über die Bühnen und entlässt in scheußlichem Denglisch Denkwürdiges in die Welt (»How much is the fish?«, »The Question is What is the Question«). Cordula Kablitz-Post, die Filme wie »David Garrett – Ein Weltstar privat«, aber auch Christoph Schlingensiefs »U3000«-Show in ihrer Filmografie hat, hat Scooter zweieinhalb Jahre lang mit der Kamera begleitet. Ihr Film »Fck 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter« dokumentiert umfassende Selbstidentität: Alle sind so, wie sie sind, weil sie so sind. Alle Figuren wirken arglos und sind – H.P. Baxxter vorneweg – von einer Schambefreitheit, die gerade Menschen, deren Weltzugang eher kompliziert und umständlich ist, mit blankem Neid erfüllen wird. Der Frontmann kann zwar auch eine Diva sein, die meckert, weil die Assistenten wieder mal nicht funktionieren. Aber irgendeine Geschichte oder gar ein Geheimnis oder sonst was Interessantes ist hier nicht zu finden.

Seine Texte, so hat Geerdes, der in Leer aufgewachsen ist, einmal bei anderer Gelegenheit erklärt, sollten als Dada verstanden werden. Die Musik von Scooter ist atemberaubend dumm und darin so konsequent, dass man sich der Faszination nur schwer entziehen kann. Die Mischung aus Techno-Dorfdisco-Hölle und lyrischer Gnadenlosigkeit (»Respect to the man in the icecream van«) wirkt. Das Gute an ihm sei, dass er nichts mehr merke, macht Baxxter gleich am Anfang einem seiner Angestellten ein schönes Kompliment, und dieser Satz ist programmatisch für die Charakterstudie, die der Film anstellt. Baxxter besucht seine Mutter, geht mit der Band ins Studio und auf die Bühne, schimpft über die Corona-Beschränkungen und kabbelt sich mit seiner Freundin, die ihn während des Drehs verlässt; was aber, soweit die Kamera es zeigt, auch irgendwie nicht weiter schlimm ist. Traurigkeit, Irritation und Zweifel kann es in dieser Welt nicht geben. Stattdessen wird in rauhen Mengen Wodka-Red-Bull gesoffen, und es werden bereits etwas hüftsteife Techno-Tänzchen auf zahllosen Prä- und After-Show-Parties vollführt.

Ein Blick in den Abgrund, ohne Frage, aber der Abgrund schaut zurück und grinst schlau. H.P. Baxxter und die übrigen Beteiligten inklusive der Fans wissen, dass hier bombastischer Schrott produziert wird, aber der lässt sich ironisch abfeiern und ist tatsächlich ein Soundtrack zu einer Utopie im Jetzt. Es ist etwas soghaft Überzeugendes an der radikalen, selbstbewussten Einfalt, die »Fck 2020« dokumentiert.

 

Benjamin Moldenhauer

 

»Fck 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter«. Regie/Drehbuch: Cordula Kablitz-Post; Deutschland 2022, 113 Minuten, ab 12. Januar im Kino