Im Schuldturm

Ersatzfreiheitsstrafen (EFS) werden verhängt, wenn eine Person eine Geldstrafe nicht zahlt. Es handelt sich meist um Bagatelldelikte, die mit Geldstrafen geahndet werden. Dazu zählen kleine Diebstähle oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein. Circa ein Zehntel der Inhaftierten in Deutschland sitzt wegen einer nicht gezahlten Geldstrafe im Knast. Schon aus juristischer Perspektive ist diese Praxis skandalös. Denn zum einen werden Menschen ihrer Freiheit beraubt, obwohl sie nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Zum anderen erfolgt die Inhaftierung, ohne ein Gericht einzuschalten.

Am Ende zahlt die Gesellschaft für diesen Irrsinn. Denn die Kosten für das Einsperren übersteigen schnell die Hö-he der ursprünglich verhängten Geld-strafe. Als politisches Kalkül ergeben die EFS allerdings Sinn. Schließlich ist das oberste Anliegen des Rechtsstaats, sein Gewaltmonopol durchzusetzen und aufrechtzuerhalten. Nach einer Verurteilung sollen Konsequenzen folgen. Die Herstellung abstrakter Gerechtigkeit ist dabei bloß vorgeschoben. Wenn die Leute nichts haben, das ihnen genommen werden kann, dann folgt eben Knast.

Der Klassenaspekt spielt eine er-hebliche Rolle. Denn die weggesperrten Menschen sind meistens von Armut betroffen. Hinzu kommen häufig Erwerbslosigkeit, Wohnungslosigkeit oder Rauschmittelabhängigkeit. Das Gerede von Resozialisierung, wie etwa im aktuellen Koalitionsvertrag, ist lediglich ein Feigenblatt für strukturelle Klassenjustiz. Das vorherrschende Menschenbild ist durch klassistische und rassistische Kategorien geprägt. Dieses Menschenbild bricht sich bei der Strafverfolgung und im Gerichtsprozess Bahn.

Der Reformvorschlag von Bundesjustizminister Buschmann (FDP), die Haftzeiten zu halbieren und das Fahren ohne Fahrschein künftig als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, ist eine Farce. Menschen werden weiterhin wegen unbezahlbarer Geldstrafen im Knast landen. Machtpolitisch aber erfüllen die EFS einen Zweck. Denn Haftstrafen sind ein vortreffliches Mittel staatlicher Konditionierung und Disziplinierung.

Till Schäfer