Kontinuität in Kassel

Ein künstlerisches Unterfangen, das wichtige Fragen unserer Zeit adressiert« – so charakterisierte der Geschäftsführer Alexander Farenholtz die Documenta 15 zum Abschluss. Die Aussage trifft zu: Schließlich hatten die Kuratoren mittels einschlägiger Exponate der deutschen Öffentlichkeit die Frage gestellt, welche Form des Judenhasses zu  welchem Grad wohl künftig gestattet sei. Am Ende blieben die Macher und die Öffentlichkeit die Antwort nicht schuldig. 738.000 Gäste beehrten die Ausstellung. Zwar waren es 17 Prozent weniger als im Jahr 2017, aus Sicht der Veranstalter war dies dennoch »als Erfolg zu werten« – auch wenn die Documenta »es angesichts der sie begleitenden Antisemitismusdebatte  nicht leicht« gehabt habe, so Farenholtz.

Allzu schwer gestaltete sich die Angelegenheit im Rückblick aber nicht: Nur dem Werk »People’s Justice« konnten die  herbeigerufenen gutwilligen Experten keinen Persilschein ausstellen. Es wurde wegen seiner allzu grobschlächtigen und an den »Stürmer« erinnernden Darstellung von Juden entfernt. Bleiben konnten hingegen die Collagenserie »Guernica Gaza« und ein filmisches Lob  der »antiimperialistischen Solidarität  zwischen Japan und Palästina« (Documenta-Programm), also wüste antiisraelische Machwerke. Die Botschaft dürfte im postkolonial gestimmten Kunstmilieu verstanden worden sein: Wer das Gerücht über die Juden zeitgemäß als Gerücht über Israel verpackt, muss nichts  befürchten. 

Anders sieht es für Kritiker des Antisemitismus aus. Wie die »Jüdische Allgemeine« berichtet, ließen die Kuratoren, die im Juli noch vor Zensur gewarnt und eine »Garantie für die Kunstfreiheit« gefordert hatten, im August das Werk »Never Ending Hats« von Leonard  Schmidt-Dominé entfernen. Es zeigt ein Foto des Documenta-Gründers Arnold Bode, der sich nicht an den ehemaligen  Nazis unter seinen Mitarbeitern störte, ein Foto des völkisch-anthroposophisch geprägten Joseph Beuys und die antisemitische Darstellung eines Juden aus »People’s Justice«. Er habe damit »die  Kontinuität des Antisemitismus auf der  Documenta« aufzeigen wollen, sagte der  Künstler. Das ist ihm auch dank der zensierenden Kuratoren bestens gelungen.

Markus Ströhlein