»Ich halte Gauland für ein Riesenarschloch!«

Karriere, Klicks, Kalkül und Cringe: Die Dokumentarfilme »Volksvertreter« und »Eine deutsche Partei« geben Einblicke in die AfD. Von Cornelius W. M. Oettle

Neben den Fragen »Stünde ein Tempolimit denn nicht in der Bibel, wenn Gott es gewollt hätte?«, »Bekommen Hartz-IV-Empfänger zuviel oder viel zuviel?« und »Hunde – an die Leine oder in den Zoo?« spaltet auch die folgende unsere Talkshowgesellschaft: Wie gehen wir am besten mit der AfD um?

Über konventionelle Ansätze wie Ignorieren, Blockieren oder Skalpieren hinaus ist immer wieder zu vernehmen, man müsse der Partei lediglich bei ihrem Treiben zuschauen und sie sich selbst entzaubern lassen. Dieser Auffassung sind möglicherweise auch die Regisseure Andreas Wilcke und Simon Brückner: Beide haben Dokumentarfilme gedreht, die nun fast gleichzeitig ins Kino gekommen sind und die bar jeglicher Kommentare verschiedene AfD-Leute begleiten. Wobei »Leute« hier freilich fast ausschließlich Männer meint.

Wilcke macht dabei mit »Volksvertreter« ein paar Dinge besser als Brückners »Eine deutsche Partei«. Zum einen erfahren wir durch Einblendungen zu Beginn des Films »Volksvertreter« die Namen der vier Abgeordneten, denen man vom Einzug in den Bundestag 2017 bis zum Wahlkampf 2021 bisweilen starr vor Cringe folgt. Anders als Maischberger, Illner und Will nimmt Wilcke sich nicht die im Umgang mit den Medien versierte Parteiprominenz vor, sondern setzt auf die Entzauberkraft weniger bekannter Visagen. Oder sagt Ihnen der Name Norbert Kleinwächter etwas?

Brückners Film »Eine deutsche Partei« informiert uns zwar freundlicherweise wenigstens hin und wieder darüber, dass wir justament einer nichtöffentlichen Fraktionssitzung oder einem parlamentarischen Arbeitskreis beiwohnen, listet die Namen der gezeigten Personen aber lediglich im Abspann auf. So mag man Typen wie Georg Pazderski kennen, der sich amüsant echauffiert, weil er sich in jedem Interview eine halbe Stunde lang für Kalbitz, Höcke und Gauland rechtfertigen müsse. Etliche Szenen jedoch langweilen allein schon, weil der nötige Kontext schlicht nicht gegeben wird. Wer etwa Aaron Kimmig ist, nämlich ein Milchgesicht der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative, weiß ohne Google doch keine Sau! Zu Recht übrigens, so mitleiderregend, wie er sich im Film als Redner auf einer kärglichen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen versucht.

Ferner hat Brückner aber auch ein wenig Pech mit der Auswahl respektive Halbwertszeit seines Materials, was dem kürzeren Drehzeitraum von 2019 bis 2021 geschuldet sein mag: Zu den interessanteren Aufnahmen zählen bei ihm die internen Lästereien, zuvörderst jene über den dereinst noch amtierenden Vorsitzenden Jörg Meuthen, dessen Abgang ja nun schon ein paar Monate zurückliegt und auch ohne Kenntnis dieser Interna absehbar war. Des weiteren zeigt »Eine deutsche Partei« deutlich, dass die Pandemie nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die AfD gespalten hat. Doch wie Meuthen steht das Virus nicht mehr ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Immerhin gewahrt man so, warum ausgerechnet die Populisten es nicht wirklich geschafft haben, Kapital aus Corona zu schlagen: Es gibt tatsächlich AfD-Personal, das medizinische Fakten als solche anerkennt.

Wesentlich unterhaltsamer, wenn auch nicht durchgängig, sind daher Wilckes »Volksvertreter« namens Enrico Komning, Armin-Paulus Hampel, Götz Frömming und eben Norbert Kleinwächter. Letzterer, ein Mann mit schütterem Haar, Jahrgang 1986, schleicht an seinen ersten Tagen schier schüchtern in der Reichstagskuppel umher, ehe er einer Besuchergruppe erklärt: »Das ist wirklich der klassische Elfenbeinturm hier. Diese Brücke da oben darf nur von Leuten benutzt werden, die Abgeordnete sind oder hier arbeiten. Ich finde das vollkommen verfehlt in einer Demokratie. Eigentlich müssten die Abgeordneten unten laufen und die Leute oben.« Im Grunde ein netter Gedanke, gell?

Dieses Saubermannimage baut Wilcke anfangs auf, um es Schnitt für Schnitt zu demontieren. Später wird das ehemalige WASG-Mitglied Kleinwächter beim »Schulungstag Kommunalpolitik« im brandenburgischen Falkenberg den allessagenden Satz »Politik ist Theater!« auf die Leinwand powerpointen und in einer kaum frequentierten, mit schwarz-rot-goldenen Wimpeln trist geschmückten Fußballkneipe an der Seite einer Handvoll rassistischer Rentner den Platzverweis von Jérôme Boateng im Länderspiel bejubeln. Allein für derlei Einblicke lohnt die Sichtung dieses Films, weil sie den traurig-lachhaften Alltag solcher Gestalten vor Augen führen – mit AfD-Funktionären hängen wirklich nur die allerletzten Frustfressen ab.

Im bizarren Quartett der Porträtierten ist Kleinwächter der Volksvertreter mit der größten Fallhöhe, gilt er doch unter anderem der Wochenzeitung »Zeit« als »gemäßigter« AfDler. Was ihn nicht daran hindert, sich und seine armen unverstandenen Kollegen bei einem Hinterzimmertreffen in eine Reihe mit den Opfern der Inquisition, der Kolonialisierung, der Apartheid und selbstredend auch des Holocaust zu stellen.

Gemein ist allen vieren indes die enorme Eitelkeit, die im Fokus von »Volksvertreter« steht und sich unter anderem in permanentem Posieren für die PR-Teams ausdrückt. Diese Volksvertreter vertreten vor allem sich selbst. Ein Eindruck, den wiederum Brückner mit seiner Dokumentation bestätigt, die nicht nur die interne Rivalität in den Blick nimmt, sondern ebenso zeigt, dass das Misstrauen bezüglich demokratischer Grundüberzeugungen der AfD nicht nur von außen kommt. Auch innerhalb der eigenen Reihen herrscht da eine gewisse Skepsis, wenn es bei der Stimmenauswertung auf dem Berliner Landesparteitag heißt: »Du weißt, der Büroleiter vom Kalbitz ist auch in der Zählkommission, da musst du drauf aufpassen ein bisschen.« Dabei gut zu sehen: Je rechtsextremer die Kreise, desto stärker scheint der Zusammenhalt, weshalb Höcke den Laden wohl früher oder später übernehmen wird, sofern nicht der Führer selbst wiederaufersteht.

Beim ständigen Überprüfen von Kommentaren und Likes machen die Abgeordneten in »Volksvertreter« zudem dem Ruf der AfD als Internetpartei alle Ehre. Mitunter ringen sie um jedes Wort eines Posts, bevor sie selbigen auf Facebook hinterlassen, so dass man sich fragt, wie es sein kann, dass dabei am Ende trotzdem zuverlässig Mist herauskommt.

Fans der Comedy-Fernsehserie »Stromberg« werden sich außerdem an Glatzkopf Komning delektieren, der bei einem mäßig besuchten Wahlkampftermin mit den Worten »Hast du Fotos gemacht mit vielen Leuten drauf?« auf seinen Lakaien zugeht und nach Sondierung der Smartphone-Aufnahmen enttäuscht in die laufende Kamera blickt wie Berthold »Ernie« Heisterkamp in seinen jämmerlichsten Momenten. Zur Verteidigung der AfD (ein Halbsatz, von dem ich nie gedacht hätte, ihn einmal zu schreiben): Derartige Koketterie findet sich ebenso hinter den Kulissen aller anderen Parteien; das weiß nicht nur, wer etwa die Dokuserie »Kevin Kühnert und die SPD« gesehen hat (zu finden in der ARD-Mediathek).

Aufregender als die dröge Rede von Götz Frömming bei einem Medienempfang, auf dem Alexander Gauland direkt neben dem Redner einzuschlafen scheint, ist überdies der Umgang der »Volksvertreter« mit dem eigenen Stab: Während der kettenrauchende Exjournalist Hampel seinem Redenschreiber erklärt, wie man Reden schreibt, wirkt der unbeholfene Enrico Komning, der unvorstellbarerweise früher Rechtsanwalt gewesen sein soll, als könnten ihn seine Berater jederzeit mühelos dazu bewegen, sich nackt auszuziehen und das »Biene Maja«-Lied zu singen.

Allen Action-Fans sei ebenfalls eher zu »Volksvertreter« denn zu »Eine deutsche Partei« geraten. Zwar haben beide Dokumentarfilme keine Kampfchoreografien in petto. Allerdings ist es Wilcke gelungen, einen hübschen Tumult beim »Bürgerdialog« in Herzberg einzufangen. Ein älterer Herr, dem präzise Definitionen wichtig sind, ruft: »Natürlich sind wir Nazis!« Dagegen Kleinwächter: »Wir sind keine Nazis!« Wiederum der Herr, während er bereits aus dem Saal geschubst wird: »Aber wir sind keine Faschisten!« Darauf ein weiblicher Gast: »Hä? Doch?!« Was muss der Verfassungsschutz für einen Spaß dabei haben, diese Gurken rund um die Uhr beobachten zu dürfen.

Vielleicht vereitelt genau dieser fremdschamfreudige Voyeurismus die erhoffte Selbstentzauberung. In »Volksvertreter« machen die Rechten keinen Hehl daraus, dass es ihnen vor allem um Provokation geht. Der Zauber der AfD liegt vermutlich gerade in dieser unverhohlenen Selbstentzauberung. Sie sind wie Fußballspieler, die vor dem Block des Gegners jubeln, wenn dessen Team ein Eigentor schießt. Sie straucheln, sie strunzen, sie blamieren sich – aber sie genießen Aufmerksamkeit. Ihr Kalkül geht auf. Auch dank dieser Filme, auch dank dieses Texts.

Was das Dilemma ist. Denn auch diese halbprivaten Aufnahmen aus der zweiten AfD-Reihe mögen zwar dem Geltungsdrang der politkarrieristischen Gecken entgegenkommen, dienen jedoch gleichzeitig der gesellschaftlichen Aufklärung, lassen sie doch keinen Zweifel daran, dass niemand in dieser politischen Slapstick-Truppe etwas Gutes im Schilde führt. In bester Strache-auf-Ibiza-Manier diskutiert etwa Hampel, bei welchen Medienhäusern man sich zur Berichterstattungsbeeinflussung entsprechend einkaufen müsste. Deshalb sei zuletzt auch dessen Medienschelte aufgegriffen. Der 64jährige beklagt sich, er werde stets nur zur Hälfte zitiert. Wenn er etwa sage »Ich halte Alexander Gauland für ein Riesenarschloch, aber er ist der beste Fraktionsführer, den ich je gesehen habe« (Originalzitat), dann titele der NDR nur: »Ich halte Gauland für ein Riesenarschloch!« Keine Sorge, Herr Hampel: nicht nur der NDR!

»Volksvertreter«. Regie/Kamera/Produktion: Andreas Wilcke; Dokumentarfilm; Deutschland 2022; 94 Minuten

»Eine deutsche Partei«. Regie/Buch/Kamera: Simon Brückner; Dokumentarfilm; Deutschland 2022; 110 Minuten

Beide Filme sind bereits im Kino angelaufen.

Cornelius W. M. Oettle schrieb in konkret 11/20 über die Allgegenwart der Rechten in Deutschland