VON konkret

Mit dem Krieg in der Ukraine scheint die Wiedergutwerdung der Deutschen endlich abgeschlossen. Vereint stehen sie auf der richtigen Seite der Geschichte und machen im Kampf gegen den russischen Hitler, was sie am besten können: schlechte Musik (siehe die Kulturkolumne von Marco Tschirpke auf S. 41), schlechtes Entertainment (»Schillern für die Ukraine« – eine Benefiz-Gala unter anderen mit Harald Martenstein und Ilja Richter) und schlechte Getränke wie die »Love and Peace«-Schorle oder den »Vodka Zelensky«; letzterer ist allerdings ein Schweizer Produkt, das mit der Kampagne »drink for peace« für Alkoholismus mit gutem Gewissen wirbt. Und, nicht zu übersehen, die »vierte Gewalt«: Schon ist sie in Sorge, dem Publikum könnte ihr Kriegsgeschrei irgendwann zum Hals raushängen. Selbst »Monitor«-Redaktionsleiter Georg Restle beklagt das »journalistische Dilemma«:

Je mehr wir berichten, umso mehr droht eine »Ermüdung« der Bevölkerung. Je weniger wir berichten, umso mehr schwindet dieser Krieg aus der öffentlichen Wahrnehmung. Was also tun?

Vielleicht sollte Restle, statt zu »berichten«, also Propaganda zu treiben, gemeinsam mit Martenstein und Richter – gern auch vor Publikum – zugunsten der Ukraine ein paar jener gelb-blauen Flaschen leeren – bis zur vollständigen Bewusstlosigkeit. Eine Vorstellung, die das nächste halbe Jahr, zwecks Hebung des Ukraine-Solidaritätsniveaus im Kultursektor, en suite gezeigt werden könnte.

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, »die Heldengestalt der gesamten westlichen Welt« (RND), die »unsere Freiheit« verteidigt, hat verfügt, alle ukrainischen TV-Sender zusammenzulegen. In Kriegszeiten, so Selenskyj, sei es wichtig, eine »einheitliche Informationspolitik« zu haben. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« ist ganz dieser Meinung und bereitet die deutsche Öffentlichkeit schon mal auf ähnliche Verhältnisse vor: »Wer angesichts der Kriegsverbrechen in der Ukraine noch Verständnis für Putins Russland fordert, hat das Recht dazu. Das gehört zum Wesen der Freiheit, die gegen Putin verteidigt werden muss. Aber es sollte in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr als akzeptierte Meinung gelten.« Denn »eine ernsthafte Debatte über Strategien gegen den Despoten ist … nur möglich, wenn ein Grundkonsens darüber besteht, dass sie nötig sind«.

Welche Strategien das sein könnten, die der Gedanke unmöglich macht, der Westen könnte auch nur einen winzigsten Anteil am Zustandekommen dieses Krieges haben, möchte man lieber nicht wissen. Doch dass sich die »Frankfurter Allgemeine« um einen Grundkonsens sorgt, auf den die Medien die Öffentlichkeit dieses Landes seit Jahrzehnten erfolgreich eingestimmt haben, hat, wie diese in der Ratgeberkolumne »Familientrio« in der »Süddeutschen Zeitung« abgedruckte Zuschrift einer besorgten Mutter aus Weinheim zeigt, was Drolliges:

Mein Sohn (16) hat einen russischen Mitschüler. Sobald im Unterricht die Sprache auf den Krieg kommt, verteidigt der Junge Russland und findet das Vorgehen Putins »verständlich«. Von den Lehrenden wird das so stehengelassen. Wir Eltern finden das schwierig. Wie können wir angemessen darauf reagieren?

Wir wissen nicht, was der Zahnarzt dieser Mutter empfiehlt. Wir empfehlen zum wiederholten Male Vodka Zelensky.

 

Am 25. Mai um 19 Uhr findet im Tagungszentrum der Aidshilfe München in der Lindwurmstraße 71 die Veranstaltung »Pandemie trifft Klassengesellschaft – Reflexionen zur Corona-Pandemie, zur staatlichen Arbeitskraftbewirtschaftung und dem Gesundheitssektor« statt. Es diskutieren die konkret-Autor/innen Thomas Ebermann und Nadja Rakowitz. Für die Moderation ist Dr. Julia Killet vom Kurt-Eisner-Verein der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern zuständig.

 

Thomas Ebermanns Buch Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie, das als Band 80 der Reihe konkret texte erschienen ist, ist nach wie vor über den Verlag erhältlich.