The Good, the Bad and the Conspiracy

In der ukrainischen Comedy-Serie »Diener des Volkes« spielt Wolodymyr Selenskyj eine politische Lichtgestalt. Von Paul Göttle

Was verbindet Peter Altmaier (CDU), Cem Özdemir (Grüne), den Bremer Altbürgermeister Henning Scherf (SPD) und Wolodymyr Selenskyj (Diener des Volkes)? Sie alle legen den Weg in den politischen Betrieb gerne per Fahrrad zurück. Gilt dies für die ersten drei im buchstäblichen Sinne, führte für den Letztgenannten die erstmals zwischen 2015 und 2019 ausgestrahlte ukrainische Fernsehserie »Diener des Volkes« – in der die Figur, die er spielt, als radelnder Quereinsteiger zum Präsidenten wird – zum tatsächlichen Wahlerfolg mit der gleichnamigen Partei. Und während seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im westlichen Kulturbetrieb jeder Russe, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, vom Hof gejagt wird, ist ebendiese ukrainische Polit-Sitcom in den Fokus der hiesigen Medien gerückt. Seit November 2021 ist ihre erste Staffel in der Mediathek des Fernsehsenders Arte verfügbar, und seit neuestem ist sie auch auf Netflix in den USA zu sehen.

Die Geschichte der ersten Staffel der auch von Selenskyj geschriebenen und produzierten Serie ist schnell erzählt: Er selbst spielt Wassyl Holoborodko, einen Geschichtslehrer, der ungewollt im Internet viral geht, nachdem ein Schüler eine Wutrede von ihm über die korrupte Politik mit dem Handy gefilmt hat. Mittels Crowdfunding finanziert ihm seine Klasse ungefragt den Wahlkampf, mit dem Ergebnis, dass Wassyl unverhofft über Nacht zum Präsidenten wird. Nun gilt es, gegen das korrupte Parlament, das korrupte Kabinett, die korrupten Richter und, allen voran, seinen Widersacher anzukämpfen, den korrupten Ministerpräsidenten Jurij Iwanowytsch. Um das Establishment trockenzulegen (»Drain the swamp«), besetzt Wassyl schließlich alle verfügbaren Posten mit Bekannten und Freunden, die über keinerlei politische Erfahrung verfügen.

In ihrer Ästhetik knüpft die Serie dabei an die US-Sitcoms der neunziger Jahre an. Der Großteil der Szenen spielt sich an nur wenigen Schauplätzen ab, wobei die Wohnung, in der Wassyl mit seinen Eltern, seiner Schwester und seiner Nichte wohnt, den Ausgangspunkt bildet. Der saufende und machohafte Vater und die plappernden, shoppingwütigen und amüsiersüchtigen Frauen stehen dabei stellvertretend für das einfache Volk. Mit seiner Exfrau Olga Mischenko, die er zur Zentralbankchefin gemacht hat und mit der er einen Sohn hat, pflegt Wassyl hingegen ein progressives Familienmodell.

Das von der Serie vermittelte Politikverständnis ist christlich-konservativer Natur. Alle politischen, ökonomischen und sozialen Widersprüche, Strukturen und Interessen werden ignoriert und durch den simplen Kampf zwischen Gut und Böse, Täuschung und Wahrhaftigkeit, Egoismus und Altruismus ersetzt. In seinen Reden kritisiert der neue Präsident abermals vor allem die Korruption der Politiker. Er streicht den Parlamentariern das kostenlose Mittagessen, so dass mit der eingesparten Summe mittellosen Rentnern notwendige Operationen bezahlt werden können. Selbst seinen Feierabend verbringt er damit, eine ehemals gute Schülerin zu überreden, ihren Job als Stripperin zu kündigen. Die ökonomischen Bedingungen, die die einst fleißig Lernende dazu gebracht haben, ihren Körper zu verkaufen, bleiben unerwähnt, denn sie zu thematisieren, würde schlichtweg nicht zum schnöden Moralismus der Serie passen.

Das Böse, gegen das Wassyl sich durchsetzen muss, ist sowohl in seiner Semantik als auch in seiner Darstellung von großer Einfachheit und wird auf zwei Ebenen konstruiert: Die öffentliche Ebene besteht aus sämtlichen etablierten Parteien und Politikern, allen voran dem Ministerpräsidenten Iwanowytsch. Ausgestattet mit teuren Uhren und Anzügen, Rhetorikcoaches und Limousinen, machen sie aus dem politischen Betrieb eine einzige Show und kassieren insgeheim Bestechungsgelder. Auf der zweiten Ebene agieren die reichen Hinterzimmerfiguren: Ihre Gesichter werden kaum gezeigt, ihre Silhouetten tauchen zumeist nur im blauen Licht der Nacht auf, begleitet von dunkel raunender Musik, versteht sich, so dass niemandem die bösen Absichten dieser Verschwörer entgehen, die einen verschwenderischen Luxus pflegen. Dialoge, die Fremdscham auslösen, sollen die Selbstverständlichkeit zeigen, mit der sie im Geheimen das Land beherrschen. Eine Kritik politischer Verhältnisse oder des Kapitalismus findet nicht statt, statt dessen werden die stumpfesten Verschwörungsphantasien bedient.

Dabei ist offensichtlich, dass dies alles nur als Kulisse dient für die eigentliche Botschaft der Serie: die Verkündigung des modernen Heilands in Gestalt Wolodymyr Selenskyjs, äh, Wassyl Holoborodkos. Der neue Präsident verkörpert dabei die bloße Negation des als böse, verlogen und egoistisch markierten Establishments: Er fährt mit dem Rad zur Arbeit und mit dem Taxi zur Vereidigung, er hält sich nicht ans dröge politische Skript, sondern improvisiert seine Reden und verzichtet auf professionalisierte Fototermine und Selbstinszenierung. So betont die Serie fortwährend Wassyls vermeintliche Authentizität. Ähnlich wie in der Influencer-Szene, in der alle ungefragt versichern, »authentisch« zu sein, ist derlei jedoch als entlarvendes Zeichen des Gegenteils zu sehen. Die Influencer ähneln Wassyl allerdings noch in anderer Hinsicht: Während diese reine Werbeoberflächen sind, fungiert jener als inhaltsleere Projektionsfläche. Über politische Inhalte wird in der Serie so gut wie nicht geredet.

Kaum anders war es bei Selenskyjs Wahl zum Präsidenten. Der ukrainische Politikwissenschaftler Yevhen Hlibovytskyi sagte dem Sender Deutsche Welle, der Kandidat habe kein politisches Programm, sondern fungiere eher als Symbolfigur, auf die unterschiedlichste Wünsche und Träume projiziert werden. Das Image des Quereinsteigers ist dabei konstituierend, sowohl für den fiktiven Wassyl wie auch für den realen Selenskyj. Das Problem der Sitcom »Diener des Volkes« ist nicht, dass Selenskyj als echter Präsidentschaftskandidat von dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj finanziert wurde, dessen Fernsehsender 1+1 die Serie erstausstrahlte. Das Problem ist, dass sie inhaltlich und ästhetisch kaum mehr zu bieten hat als faden, pseudokritischen Personenkult.

Paul Göttle studiert Philosophie und Geschichte