In etwa so

Die Oper von Odessa – gestern und heute. Von Florian Sendtner

Die »Tagesthemen« als Stadtführer. Heute: Odessa. »Das 1887 eröffnete Opernhaus. Hier die Synagoge. Einst hatte die Stadt einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.« Was Sie nicht sagen, Oliver Mayer-Rüth! Wo kam der denn hin? Nun, für komplizierte Erläuterungen ist jetzt nicht die Zeit, es geht schließlich um die Russen, die Odessa vom Schwarzen Meer aus beschießen. Dabei wäre es gar nicht so kompliziert, der Sachverhalt ließe sich in einem Satz erklären: Von den Juden in Odessa, 180.000 an der Zahl, wurden 99.000 erschossen. 1941/42. Es waren Rumänen, die den Deutschen die Arbeit abnahmen. Rumänien stand unter der Fuchtel von Hitler-Deutschland und erledigte die Okkupation von Odessa so, wie Hitler-Deutschland das erledigt haben wollte.

99.000 Personen erschießen, das heißt: Montag bis Samstag Massenhinrichtungen, zwischendurch durften sich die Mörder erholen. In der Oper von Odessa. Vermutlich im »Rosenkavalier«. Um den Kunstgenuss der hart arbeitenden Besatzer nicht zu stören, hatte man Panzersperren vor der Oper aufgebaut. Davon gibt es ein Foto: die Oper von Odessa, davor Sandsäcke und Panzersperren. An dieses Foto erinnerte man sich bei der »Kyiv Post«, als man ein aktuelles Foto sah: die Oper von Odessa, davor Sandsäcke und Panzersperren. Man postete beide Fotos nebeneinander auf Twitter: »Odessa Opera House, in 1942 and today«. Hunderte von Tweets und Retweets zeigten sich fassungslos: Wie sich die Bilder gleichen! Wie sich die Geschichte wiederholt! Putin ist der neue Hitler!

Ein Sergei S. weist diskret darauf hin, dass Odessa 1942 von den Nazis und ihren Helfershelfern besetzt war, allein, das interessiert niemanden. Ein Rumäne macht darauf aufmerksam, auf dem Foto von 1942 wehe eine rumänische Flagge über der Oper – die Gemeinde lässt sich davon nicht stören. Wo es gerade so schön ist! Und selbst die »SZ« ist aus 2.000 Kilometern Abstand noch so hingerissen, dass sie die Fotogegenüberstellung im Feuilleton abdruckt, Bildunterschrift: »Wie sichert man das kulturelle Erbe? Auf den ersten Blick in etwa so wie im Jahr 1942, wie ein Tweet der ›Kyiv Post‹ zeigt.«

Auf den zweiten Blick muss man sagen: Die Oper von Odessa wurde schon einmal beschossen. 1925, von Sergei Michailowitsch Eisenstein, in seinem Film »Panzerkreuzer Potemkin«. Der Beschuss ist die Antwort der meuternden Matrosen auf das Massaker der zaristischen Soldaten an der mit den Matrosen sympathisierenden Bevölkerung auf der Hafentreppe von Odessa. Die Mörder sitzen in der Oper. Wer würde sich da nicht sogleich dazusetzen wollen!