Zeitnah am Wannsee

Stefan Gärtner über die ZDF-Produktion „Die Wannseekonferenz“ von Matti Geschonneck

Wäre man Popautor geworden, ließe sich bescheidwisserisch schreiben: Natürlich ist der Film »Die Wannseekonferenz« von Heinz Schirk tausendmal besser als »Die Wannseekonferenz« von Matti Geschonneck (ZDF 2022), denn in der BR-Produktion von 1984, zu sehen auf Youtube, darf Dietrich Mattausch seinen Reinhard Heydrich in herrenmenschlicher Jovialität als Deutschen geben, während der unauffällige Heydrich Philipp Hochmairs bloß das banale Böse sein will.

Das alte Drehbuch von Paul Mommertz war für sich schon eine (und sei’s schriftstellerische) Leistung; denn von der Konferenz, auf welcher der Chef des Reichssicherheitshauptamts mit Vertretern von Partei, SS und Ministerialbürokratie die organisatorischen Fragen der Shoah besprach (dass der Mord an den europäischen Juden hier »beschlossen« worden sei, ist ein populärer Irrtum), existiert kein wörtliches Protokoll. Aus den 15 Seiten Zusammenfassung, von der ein einziges Exemplar überliefert ist, eine plausible Spielhandlung gemacht zu haben beeindruckt – bei aller effektbewussten Spekulationsbereitschaft und den sachlichen Fehlern, auf die der »Spiegel« damals hinwies – noch heute: Hier tagt eine Herrenrunde, die bei Kaffee, Kognak, Schnittchen und Zigarren den Völkermord so aufgeräumt bis zotig bespricht wie ein Kegelclub die Weihnachtsfeier.

Das neue Skript (Magnus Vattrodt) basiert auf Mommertz’ Buch, kassiert aber dessen Theweleitsches Männeraroma wie den wohl nicht mehr opportunen Hinweis auf die Bereitwilligkeit, mit der etwa baltische Ortskräfte bei Massenerschießungen mitwirkten. In den Vordergrund rücken Rivalitäten. Die waren im »Dritten Reich« notorisch, aber insofern sich Geschonnecks Film darauf konzentriert, verschiebt er den Fokus auf Macht, Intrige, Eitelkeit, sich selbst also Richtung Serienfernsehen. Überdies wimmelt es von Sätzen, die schon deshalb nicht gefallen sein dürften, weil sie so schlimm nach Schulbuch schmecken und heutigem Publikum, nach Jahrzehnten der »Bewältigung«, nicht einmal banalstes Geschichtswissen mehr zutrauen: dass der Führer öffentlich »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« angedroht hatte oder dass es vor Auschwitz ein Euthanasieprogramm für »unnütze Esser« gab. All das müssen die Teilnehmer in grotesk erratischer Ausführlichkeit aufsagen, und wenn Eichmann verspricht, Transporte würden »zeitgleich«, ja »zeitnah« erfolgen, ist die Bildungsmoderne schlussendlich geglückt.