Sí pasarán

In Madrid werden Straßen nach Faschisten benannt und Statuen errichtet, die den spanischen Kolonialismus würdigen. Von Carmela Negrete

Der Vorsitzende der konservativen Volkspartei Spaniens (PP), Pablo Casado, will am 20. November, dem Todestag Francisco Francos, bloß »zufällig« an einem Gottesdienst in Granada zu dessen und des Putschisten José Antonio Primo de Rivera Gedenken teilgenommen haben. Weder will er dort die spanische Flagge mit dem franquistischen Symbol gesehen haben noch den römischen Gruß, den zahlreiche Messeteilnehmer zeigten. Und auch das Absingen der Franco-Hymne »Gesicht zur Sonne« habe er nicht mitbekommen. Den Blumenkranz mit dem Namen des Gründers der faschistischen Falange auf der Banderole, der vor dem Altar plaziert war, an dem der Priester die Messe las, hat Casado, von seinem unerschütterlichen Glauben an Gott geblendet, vermutlich auch nicht gesehen. Wie in drei Teufels Namen ist er nur in diesen Gottesdienst geraten? Er sei, sagte Casado später, mit seiner Familie unterwegs gewesen und dann eben rein »zufällig« in eine der rund 2.300 Kirchen Spaniens spaziert. Auch die Wege des Herrn Casado sind eben unergründlich. Er ging also ausgerechnet in eine jener sieben Kirchen, in denen an diesem Tag die beiden Faschisten geehrt wurden.

Sieht man einmal davon ab, dass sich hier der Chef einer konservativen Partei, der den ahnungslosen Deppen gibt, von einer Veranstaltung zu Ehren von Faschisten nicht ausdrücklich distanziert hat, stellt sich doch die grundsätzliche Frage, warum eine solche Veranstaltung in Spanien überhaupt stattfinden kann. Die Opfer der Franco-Diktatur und deren Angehörige werden von einem guten Teil der Justiz und der Politik des Landes regelrecht ignoriert. Kommen sie dann doch einmal zur Sprache, beschränkt man sich vor allem auf Symbolpolitik. Dann geht es etwa darum, ob sich die Würmer weiter durch die Gebeine des Caudillo im von Tausenden Zwangsarbeitern errichteten monströsen Mausoleum im sogenannten Tal der Gefallenen fressen dürfen oder ob an anderer Stelle anderes Kriechgetier an ihnen nagen darf. Eine Frage, die die regierenden Sozialdemokraten 2019 beantworteten und Francos Überreste umbetten ließen.

Solcherlei Symbolpolitik hat die Forderungen der Opfer nach Entschädigung und Wiedergutmachung bisher erfolgreich überlagert. Aber selbst der alles andere als radikale Akt, die Überreste Francos umzubetten, hat Spaniens Rechte auf die Palme gebracht. Die Angelegenheit werde politisch instrumentalisiert, um progressive Wähler zu fischen, behauptet Casados postfranquistischer PP, der die Verbrechen der Diktatur nie verurteilt hat. Doch in seinen Reihen steht auch ein Mann, der seit einiger Zeit ganz aktiv eine revisionistische Erinnerungs- und Gedenkpolitik betreibt: Madrids Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida lässt die Straßen der Hauptstadt wieder nach denjenigen Franquisten benennen, deren Namen die Vorgängerregierung aus dem Stadtbild entfernt hatte. Zu Hilfe kommen ihm dabei Gesinnungskameraden aus der Justiz, die gefällige Urteile sprechen.

Aber damit nicht genug. Der Bürgermeister Madrids lässt außerdem neue Denkmäler errichten. Geplant ist eine sechs Meter hohe Soldatenstatue vor dem königlichen Palast, die einen Fremdenlegionär aus dem Jahr 1921 darstellen soll – das Jahr, in dem Madrid Truppen nach Nordmarokko entsandte, um das spanische Kolonialgebiet zu erweitern. Die ein Jahr zuvor gegründete Legión Española machte sich durch zahlreiche Kriegsverbrechen einen Namen im fünf Jahre währenden Rifkrieg zwischen Marokko und Spanien. Noch heute herrscht in der spanischen Legion ein ausgesprochen reaktionärer Geist, der die koloniale und faschistische Vergangenheit verklärt. Der bronzene Legionär steht noch nicht, dafür aber eine andere Plastik.

Im wohlhabenden Madrider Stadtteil Chamberí weihte Martínez-Almeida im Januar 2020 die Statue zu Ehren der »Letzten auf den Philippinen« ein. Ein Mann mit gezogener Pistole repräsentiert die letzten 53 spanischen Soldaten, die sich 1898 beinahe ein ganzes Jahr lang in einer befestigten Kirche verschanzt hatten und den Nachrichten von der Niederlage im spanisch-amerikanischen Krieg keinen Glauben schenken mochten. Auch diese Figur verklärt Raub, Krieg und Kolonialismus.

Madrids Bürgermeister ficht die Kritik an diesem offenen Geschichtsrevisionismus nicht an. Im vergangenen Mai erklärte er: »Wir mögen vielleicht Faschisten sein, aber regieren können wir.« Und wie: Auf dem Madrider Friedhof Almudena ließ Martínez-Almeida Steintafeln mit 3.000 Namen von standrechtlich Erschossenen aus den ersten Jahren der Franco-Diktatur entfernen.

Doch warum zeigt die spanische Rechte ausgerechnet jetzt einen solchen Eifer? Man kann spekulieren, dass mit dem erinnerungspolitischen Rollback ein neues Gesetz noch vor dessen Verabschiedung attackiert werden soll. Nach dem Willen der Regierungskoalition aus sozialdemokratischem PSOE und dem Linksbündnis Unidas Podemos soll es das unzureichende »Gesetz des historischen Erinnerns« aus dem Jahr 2007 ersetzen, um endlich auch die juristische Verfolgung der Verbrechen des Franquismus zu ermöglichen. Die Massengräber sollen geöffnet und die Opfer identifiziert werden. Und auch die von den Schergen der Diktatur entführten Säuglinge sollen mit Hilfe einer DNA-Analyse ihre eigentlichen Eltern ausfindig machen können.

Den eher sozialdemokratisch orientierten Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) geht diese Novellierung nicht weit genug. Die Partei will dem Gesetz die Zustimmung verweigern, solange sich darin nicht auch eine Entschädigungsregelung für die Opfer der Diktatur findet. Und Opfer gibt es zuhauf. Zu ihnen gehören nicht nur die Angehörigen der im Krieg und in der Nachkriegsphase ermordeten Linken und Republikaner, sondern auch die Hunderttausenden Zwangsarbeiter, die das Regime unter mörderischen Bedingungen für Repräsentationsbauten und Infrastruktur eingesetzt hat. Die Zwangsarbeiter wurden allerdings auch an Unternehmen »ausgeliehen«, doch darüber spricht in Spanien kaum jemand. Der Journalist Antonio Maestre hat dazu recherchiert und in seinem Buch Franquismo S.A. dargestellt, welche Unternehmen vom Franco-Regime profitierten und wer diese Unternehmen noch heute besitzt und leitet. Spaniens Bourgeoisie verdankt ihren Reichtum nicht zuletzt dem Zwangsarbeitsregime. Da nimmt es nicht wunder, wenn die Rechte in Panik gerät, sobald die Rede auf Diktatur und Wiedergutmachung kommt. Sie hat noch immer sehr viel zu verlieren.

Carmela Negrete ist freie Journalistin und lebt in Berlin