VON konkret

Über diese Armut redet keiner«, klagte die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, Nadia Nashir Karim, im Interview der letzten konkret-Ausgabe. Mittlerweile ist überall zu lesen, dass die Hälfte der afghanischen Bevölkerung von Hunger bedroht ist. Allerdings gern in Form einer nicht weiter bearbeiteten DPA-Meldung oder mit irreführenden beziehungsweise verharmlosenden Überschriften wie »Alle Hungerindikatoren stehen auf Rot« (»Frankfurter Allgemeine Zeitung«), die offenlassen, ob, wann und in welchem Ausmaß es Hunger geben wird.

Offiziell leiden 18,8 Millionen der 39 Millionen Einwohner Afghanistans derzeit täglich Hunger. Bis Ende des Jahres werden es voraussichtlich 22,8 Millionen sein, darunter über drei Millionen Kinder unter fünf Jahren. Benötigt werden Nahrungsmittel, Trinkwasser, medizinische Versorgung und vernünftige Unterkünfte im Winter. Die internationale Gemeinschaft hat humanitäre Hilfe in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zugesagt. Geld, das vermutlich nicht fließen wird, ehe ein paar Tausend Afghanen verhungert sind, wenn überhaupt, und dessen Menge so kalkuliert ist, dass sie den Hunger nicht beenden wird.

 

Vor dem Welternährungstag am 16. Oktober schnäuzt sich das Gewissen der Union, Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, einmal heftig: 15.000 Kinder verhungerten täglich. »Das ist ein unglaublicher Skandal. … Hunger ist Mord, denn wir haben das Wissen und die Technologie, alle Menschen satt zu machen.« Wir hätten sogar die Mittel, aber über Geld reden ist peinlich – und teuer. Statt dessen müssen wir »Hunger- und Armutsbekämpfung endlich als vorausschauende Friedenspolitik verstehen – und ganz oben auf die Agenda der Weltpolitik setzen«. Die Agenda der Weltpolitik ist ein Plätzchen, auf dem sich die Hungerpolitik häuslich einrichten könnte als Tischnachbarin der Klimapolitik, die dort auch schon länger sitzt und Däumchen dreht.

 

Alle paar Jahre erreichen den Verlag Briefe von Lesern, die fragen, warum konkret sich der digitalen Welt so trotzig verweigert. Verlag und Redaktion haben lange darüber nachgedacht und waren dankbar, als der Chefredakteur der »Mittelbayerischen Zeitung«, Manfred Sauerer, für sie antwortete:

Wir haben schon 2018 damit begonnen, bei uns im Haus eine Datenarchitektur aufzubauen, weil wir gesehen haben, dass wir mit Hilfe von Datenanalyse neue Umsätze auf dem Lesermarkt erzielen und Verluste im Printgeschäft ausgleichen können. Unser Vorhaben war, eines Tages neben den von der Redaktion kuratierten Inhalten personalisiert und passgenau Inhalte an bestimmte Zielgruppen ausspielen zu können. Als ich dann von der Idee hörte, mit Hilfe des Daten-Science-Teams von Schickler Daten aus mehreren Häusern zu bündeln und die Analysen allen zur Verfügung zu stellen, wollte ich gleich einsteigen. Drive ermöglicht uns, in einem viel größeren Teich nach Kunden zu fischen als bisher und unsere Erkenntnisse so zu verzigfachen.

Eine konkret, deren »Inhalte« personalisiert und passgenau nach bestimmten Zielgruppen fischen, hätte endlich Kunden und keine Leser, Erkenntnisse, die sich verzigfachen ließen, und Anspruch darauf, im hohen Bogen im nächsten Teich oder besser dem Papiermüll zu landen.

 

Ob es auch in diesem Jahr für einen ganzen Baum reicht? Der Kapitalismus scheint sich mal wieder in einer seiner Krisen zu befinden: Es gibt Lieferengpässe bei Chips, Baumaterial, Öl, Gas, Papier. In diesem Heft erklärt Tomasz Konicz (Seite 12), dass sich die Mangelerscheinungen im Spätkapitalismus nicht allein auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückführen lassen. Wer genau wissen will, welche systemischen Ursachen sie haben, kann das in Konicz’ Buch Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft aus der Reihe konkret texte nachlesen. Der Band ist auch über den Verlag (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) und die konkret-Website (konkret-magazin.shop) erhältlich.