Die Anstiftung

Die Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD wird wohl jährlich 70 Millionen Euro von dem Staat erhalten, den sie abschaffen will. Von Florian Sendtner

Was war das für ein Triumphgeheul nach der Bundestagswahl: Die AfD hat verloren! Alle übrigen Parteien, bis auf Die Linke, kriegten sich gar nicht mehr ein. Neben der Union erklärte man die AfD – und in einem Atemzug mit ihr Die Linke – zu den klaren Wahlverlierern. Als ob man sich das Wahlergebnis schöngetrunken hätte. Sicher, die AfD ist nicht mehr Oppositionsführerin, doch das ist auch schon alles an Positivem, was man den Zahlen vom Wahlabend in nüchternem Zustand abgewinnen konnte. Gegenüber 2017 hat sie 2,3 Prozent verloren, aber wenn man sich nicht selbst in die Tasche lügen will, muss man es so sehen: Die AfD hat sich mit 10,3 Prozent zweistellig etabliert und eingenistet; sie ist jetzt beim besten Willen nicht mehr als Betriebsunfall abzutun, sondern festverankerte faschistische Realität.

Was gern beschwichtigend als brauner Bodensatz bezeichnet wird, treibt längst Blüten, und dieses giftige Gewächs wird jetzt auch noch kräftig gegossen. Die Wahlkampfkostenerstattung macht dabei den geringeren Anteil aus, ein regelrechter Geldsegen steht der AfD für ihre Desiderius-Erasmus-Stiftung ins Haus. Zweimal bereits hat die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht versucht, für ihre 2017 gegründete Stiftung Geld von dem Staat einzuklagen, den sie so verachtet, zweimal ist sie bislang gescheitert, allerdings aus formalen Gründen. Zuletzt verlangte die AfD 2020 in einem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht für 2018 480.000 Euro und für 2019 900.000 Euro, die ihr der Bundestag zuvor verweigert hatte, doch die höchsten Richter erklärten das Verfahren für nicht zulässig.

Die etablierten sechs parteinahen Stiftungen auf Bundesebene erhielten 2020 dem Bund der Steuerzahler zufolge allein knapp 550 Millionen Euro aus Bundesmitteln, weitere Zuwendungen, etwa von den Bundesländern und der EU, kommen hinzu. Die »Süddeutsche Zeitung« spricht von »zuletzt insgesamt jährlich knapp 700 Millionen Euro« und rechnet vor, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung dem Zehn-Prozent-Ergebnis der AfD entsprechend Anspruch auf etwa 70 Millionen Euro erheben werde.

Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die den Geldstrom an die parteinahen Stiftungen, die sich fast ausschließlich aus staatlichen Zuwendungen finanzieren, regeln würde. Die bislang bedachten Stiftungen haben sich lediglich in einer »gemeinsamen Erklärung« 1998 darauf verständigt, dass die Partei, der die Stiftung nahesteht, »wiederholt« den Einzug in den Bundestag geschafft haben muss, damit die Stiftung Anspruch auf den staatlichen Geldfluss hat. Wenn die Partei aus dem Bundestag rausfliegt, versiegt der Zustrom nicht sofort, sondern erst nach dem zweiten Nichteinzug. Nach dieser Regelung erhielt die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstmals 1999 Geld, nachdem die PDS 1998 zum dritten Mal in den Bundestag eingezogen war, die Friedrich-Naumann-Stiftung wurde 2013 bis 2017 weiter alimentiert, obwohl die FDP 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war.

Es wird also spannend zu sehen, wie der neue Bundestag auf das Begehren der AfD reagieren wird. Rein formal könnte er es unter Verweis auf die PDS ablehnen, die nach dem zweiten Einzug in den Bundestag 1994 noch leer ausging. Was die AfD sofort mit dem Hinweis kontern wird, dass die PDS 1990 und 1994 bundesweit keine fünf Prozent erreichte und nur deshalb trotzdem ins Parlament kam, weil es 1990 ausnahmsweise reichte, die Fünf-Prozent-Hürde in den fünf neuen Bundesländern zu überspringen, und weil die PDS 1994 vier Direktmandate holte und damit immerhin als Gruppe, wenn auch nicht als Fraktion ins Parlament einzog – was man ja wohl schlecht mit dem zum zweiten Mal zweistelligen Wahlergebnis der AfD vergleichen könne.

Um bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags einen Alterspräsidenten der AfD zu verhindern, hat der Bundestag 2017 seine Geschäftsordnung geändert. Seitdem eröffnet nicht mehr der älteste Abgeordnete die erste Sitzung, sondern der dienstälteste, zuletzt Wolfgang Schäuble (CDU). Dass die konstituierende Sitzung des deutschen Parlaments im Alten Reichstag durch einen AfD-Politiker wie Wilhelm von Gottberg eingeläutet würde, der 2017 der älteste Abgeordnete gewesen ist und der gern mit Zitaten von Holocaust-Leugnern hausieren geht – bei der Vorstellung machte sich eine Mehrheit des damaligen Bundestags ernsthaft Sorgen um das deutsche Ansehen in der Welt. Zur allgemeinen Beruhigung nahm man Zuflucht bei einem Kunstgriff, der von verschiedenen Seiten als nicht ganz sauber moniert wurde.

Ob es zur Verhinderung der staatlichen Finanzierung der Desiderius-Erasmus-Stiftung vergleichbare Bemühungen geben wird? Deutschlands Renommee würde durch eine mit 70 Millionen Euro jährlich aufgepumpte AfD-»Bildungs«-Maschine wohl kaum groß tangiert. Die einzelnen Maßnahmen einer parteinahen Stiftung laufen weit unter dem internationalen Radar ab. Warum sollte die »New York Times« über Veranstaltungen mit Titeln wie »Clan-Kriminalität in Deutschland – die unterschätzte Gefahr«, »Asyl in Recht und Praxis« oder »Ungarn im Kreuzfeuer deutscher Politik und Medien« (so drei Seminar- und Vortragsthemen aus den letzten Monaten) berichten? Klingt doch erstens harmlos, zweitens unverdächtig und drittens ganz ähnlich wie die Themen deutscher Talkshows oder Politmagazine.

Und auch bei dem Vortragsthema »R. M. Rilke – unser kulturelles Erbe aus den Vertreibungsgebieten« wird die »Washington Post« nicht hellhörig werden, denn wer hat schon parat, dass Rainer Maria Rilke 1875 in Prag geboren ist und die Vereinnahmung des Dichters durch die extreme Rechte unter der Überschrift »unser kulturelles Erbe aus den Vertreibungsgebieten« im Grunde eine Kriegserklärung an die Tschechische Republik darstellt? Denn der Vortragstitel hebt ab auf das »deutsche Prag«, sprich: auf das Prag von Reinhard Heydrich und seinen SS-Mörderbanden.

Es ist zu befürchten, dass Erika Steinbach, wenn sie jetzt zum dritten Mal die Hand aufhält, um die Finanzierung der, wie sie das nennt, »gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit« der Erasmus-Stiftung durch den Staat einzufordern, Erfolg haben wird. Erika Steinbach? Genau, keine geringere als die verdiente Vertriebenenfunktionärin und langjährige CDU-Rechtsaußen-Politikerin hat die Erasmus-Stiftung 2018 zu ihrer Vorsitzenden auserkoren. Mit anderen Worten: Der Fisch stinkt vom Kopf her.

Erika Steinbach weiß, wie man der Welt ein X für ein U vormacht. Sie wurde 1943 in der Nähe von Danzig geboren – weil ihre Eltern mit der deutschen Luftwaffe in das 1939 von Nazi-Deutschland überfallene Polen gekommen waren. Dass Steinbachs Mutter es im Januar 1945 vorzog, wieder dorthin zurückzukehren, wo sie hergekommen war, nämlich nach Westdeutschland, verkauft die Tochter seit einem halben Jahrhundert erfolgreich als »Vertreibung« und bitteres Unrecht.

Steinbach war maßgeblich an der Hetzkampagne gegen den CDU-Politiker Walter Lübcke wegen dessen flüchtlingsfreundlicher Haltung beteiligt. Bereits im Mai 2017 und nochmals im Februar 2019 beförderte sie bewusst die Verbreitung eines Hetzvideos gegen ihren Exparteifreund – Steinbach war im Januar 2017 aus der CDU ausgetreten und macht seitdem Werbung für die AfD, der sie angeblich nicht angehört. Peter Tauber, bis 2018 CDU-Generalsekretär, machte Erika Steinbach mitverantwortlich für die Ermordung Walter Lübckes am 2. Juni 2019 durch einen Rechtsextremisten. Kurzum: Die 78jährige ist geradezu prädestiniert für die Stelle der Vorsitzenden der Erasmus-Stiftung. Wenn es klappt mit der vollen Finanzierung durch den Staat, dürfte Steinbach zu ihrer satten Pension als Ex-MdB noch ein fünfstelliges Salär als Stiftungsvorsitzende draufgelegt bekommen.

Und da ist außerdem noch der Großökonom und Werteunionist Max Otte, der im November 2020 mit einem Vortrag zum Thema »Weltsystemcrash und Corona-Schock – Wie geht es weiter?« brillieren wollte; wie zur Bestätigung musste die Veranstaltung »coronabedingt abgesagt« werden. Da referiert Norbert Bolz, vor 30 Jahren progressiver Star der Philosophie an der FU Berlin, auf dem stiftungseigenen Youtube-Kanal über den »späten Sieg der DDR« und gewinnt sein Publikum schon allein mit der Feststellung, dass Akademiker über ein besonders schlechtes Urteilsvermögen verfügten; er müsse es schließlich wissen, er habe sich sein ganzes Leben immer nur mit Akademikern abgegeben. Da wiehert der ganze Stall voller Wissenschaftsverächter. Bolz hat in einem früheren Leben über Adorno promoviert. Irgendwann ereilte ihn dann die Erleuchtung, dass die wahre Bestimmung der Frau das Kinderkriegen ist, wirklich wahr.

Warum die Stiftung der extremen Rechten nach Erasmus von Rotterdam benannt ist, dafür kommen verschiedene Gründe in Frage: Der Name des humanistischen Theologen ist allseits bekannt und positiv besetzt; und nur der Kenner weiß, dass Erasmus etwas gegen die Juden hatte. Zahlreiche nach ihm benannte Einrichtungen wie das Erasmus-Programm der EU zur Förderung des Auslandsstudiums ärgern sich über die Verwechslungsgefahr mit der extremen Rechten. Die AfD wiederum profitiert von dieser Verwechslungsgefahr ganz gehörig. Der kaum jemandem geläufige Vorname Desiderius klingt wahnsinnig gelehrt und will sagen: Diese Stiftung ist ein Desiderat der politischen Landschaft!

Nein, die ach so demokratischen Parteien werden sich nicht lumpen lassen und der Erasmus-Stiftung den Geldhahn aufdrehen. Die demokratische Republik, die abzuschaffen sich die AfD so sehnsüchtig wünscht, wird diese Schlange an ihrem Busen mit regelmäßigen Millionenüberweisungen nähren. Wie heißt es bei Brecht: »Eilet herbei, alle / Die ihr absägt den Ast, auf dem ihr sitzet«!

Im Juni 2022 ist ein »Symposium zum 100. Todestag von Walther Rathenau« in Berlin geplant. Was wohl die Teilnehmer dieser Veranstaltung erwartet? Geht es vielleicht einfach darum, die Mordparole von 1922 (»Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!«) möglichst oft möglichst unschuldig zu zitieren und dabei einen inneren Reichsparteitag zu feiern? Oder werden sich die Symposiumsteilnehmer selbst in die Rolle des verfemten und ermordeten jüdischen Politikers hineinphantasieren? Was heißt schon »oder«: Der Desiderius-Erasmus-Stiftung ist jederzeit beides gleichzeitig zuzutrauen.

Florian Sendtner schrieb in konkret 10/21 über die allzu intensive Karl-May-Lektüre von Olaf Scholz