In der Kackwelt

Erlebt das Werk des kommunistischen Schriftstellers Ronald M. Schernikau eine Renaissance? Von Jens Friebe

dieses ganze lange buch ist eine große abhandlung über die rolle des vergnügens in unserem leben. darf man ein vergnügen besitzen inmitten einer kackwelt?«, fragt Ronald M. Schernikau in seiner immerhin knapp 1.000seitigen Legende (aus der auch alle nicht anders ausgewiesenen Zitate stammen). Im Grunde kann man sein ganzes Leben und Schreiben im Licht dieser Frage betrachten. 1966 verließ seine Mutter mit ihm – nicht aus politischen Gründen – die DDR, die sie liebte und ihren damals sechsjährigen Sohn lieben lehrte. Mit siebzehn schrieb Schernikau seinen ersten und mit Abstand erfolgreichsten Roman Kleinstadtnovelle. Die Kackwelt tritt hier als schwulenfeindliche Provinz auf. Gegen sie behauptet der Schüler B. sein homosexuelles Begehren. Die Figur ist wie ihr Autor selbstbewusst, smart und marxistisch. Wie sie zieht Ronald zum Studieren nach Berlin. Hier tritt er der SEW und dem Tuntenensemble »Ladies Neid« bei. Zwischen den miteinander fremdelnden Welten – der kommunistischen und der homosexuellen – entwickelt er seine unverwechselbare Schreibhaltung, eine Art hochpolitischen camp. Sein fürs Ensemble verfasster Blankversschwank »Die Schönheit« strotzt vor materialistischer Analyse, seine politischen Traktate umgekehrt vor flamboyanten Posen. Bei Schernikau findet sich aber kein kausaler Kurzschluss von sexueller und politischer Befreiung. Er wusste, »die bürgerliche angst, homosexualität könne die herkömmliche gesellschaftsstruktur vernichten, ist ebenso unbegründet wie die feministische hoffnung darauf«. Nur in Verbindung mit dem Politischen ist das Private politisch. Nur in Verschmelzung mit dem Parteisoldaten wird die Tuntendiva zur voll vergnügensberechtigten Königin im Dreck (so der Titel einer Anthologie mit Texten Schernikaus). Als solche ist sie aber dann der lebende rosenberegnete Beweis: Es gibt ein richtiges Leben im Falschen.

Der ideelle und ganz am Schluss auch lebensermöglichende Stützpunkt Schernikaus war die DDR. 1989 wurde er ihr Staatsbürger. Fast genau ein Jahr nach ihrem Ende, am 20. Oktober 1991, vor 30 Jahren, starb er an Aids. Der Westen hatte ihn lang vergessen, doch seit etwa zehn Jahren kommt es zu einer Art samtpfötiger Renaissance seines Werks. Deren letzte Anzeichen waren die Neuerscheinung der Legende und ihre waghalsige Inszenierung an der Berliner Volksbühne. »der kapitalismus, je später er wird, hält er alles aus«, heißt es in dem Essay »Die Tage in L.«. Ob er aber wirklich mit Schernikau fertigwird auf seine allerletzten Tage, wird sich zeigen.