178.745.960,59 Reichsmark

Eine neue Studie erzählt die gesamte Geschichte der Ermordung der Juden im Generalgouvernement. Von Jens Hoffmann

Der Mörder mit irritierend wenig Blut an den Händen zog eine positive Bilanz. Odilo Globocnik, Organisator der »Aktion Reinhardt«, meldete seinem Vorgesetzten Heinrich Himmler im Januar 1944, dass das »Großdeutsche Reich« mit den Massenmorden in den Ghettos, Zwangsarbeits- und Vernichtungslagern des Generalgouvernements insgesamt 178.745.960,59 Reichsmark eingenommen habe. Nicht enthalten in der sechs Posten umfassenden Aufstellung ist das Raubgut, das Globocnik und seine Angestellten für sich abzweigten. Dafür hätte es vermutlich nicht so viele Eiserne Kreuze aus Berlin gegeben. Im Unterschied zur großen Mehrheit der Täter der »Aktion Reinhardt« hatte Globocnik allerdings kein besonders langes Nachkriegsleben. Er biss Ende Mai 1945 in britischer Untersuchungshaft in eine Zyankalikapsel.

Dariusz Libionka erzählt in seiner bereits 2017 auf Polnisch veröffentlichten Studie die gesamte Geschichte der von Deutschen initiierten Massenverbrechen im Generalgouvernement, von den ersten Plänen der Täter bis zur Verwischung der Spuren in den Vernichtungslagern. Ihm ist eine zugleich detaillierte und zusammenfassende Darstellung gelungen, die kein Spezialwissen voraussetzt und zu großen Teilen auf Archivmaterial basiert, das einem deutschsprachigen Publikum bislang nur schwer zugänglich gewesen ist. Empfehlenswert ist Libionkas Arbeit nicht nur wegen der Aufmerksamkeit für Ereignisse in Dörfern und Provinzstädten im Zentrum und Südosten Polens, sondern auch wegen der zumeist nüchternen und genauen Darstellung des Verhaltens polnischer Nachbarn, Polizisten, Exilpolitiker und Partisaneneinheiten während der deutschen Besatzungszeit.

Libionka dokumentiert Indifferenz, Hilfsleistungen, Denunziation, Bereicherung und Morde an Jüdinnen und Juden, die »aus Antisemitismus oder aus Gewinnsucht« begangen wurden. Zur Lage jüdischer Überlebender in der unmittelbaren Nachkriegszeit schreibt er: »Diejenigen, die in ihre Heimatorte zurückkehrten, blieben dort jedoch nur in Ausnahmefällen längere Zeit. Mit Feindseligkeit konfrontiert, die so weit ging, dass sie um ihr Leben fürchten mussten, begaben sie sich in die großen Städte, viele auch in die früher deutschen Gebiete im Westen des Landes. In den folgenden Jahren kehrten die meisten von ihnen Polen den Rücken und emigrierten ins Ausland.«

Dariusz Libionka: Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement. Metropol-Verlag, Berlin 2021, 371 Seiten, 24 Euro