Deutsche Welle

Wie die hiesige Öffentlichkeit die extremen Folgen der Klimakrise verdaut, ohne am Kapitalismus zu zweifeln. Von Tomasz Konicz

Alles lief nach Plan – doch dann kam der Regen. Die historisch beispiellose Flutkatastrophe, die mitten im Bundestagswahlkampf Westdeutschland heimsuchte, hat nicht nur mehr als 150 Menschenleben gekostet und viele Tausend Existenzen zerstört. Das Extremwetterereignis drohte sich auch zu einer echten PR-Katastrophe zu entwickeln – vor allem für die Wahlkämpfer/innen von CDU und FDP, die die Grünen noch wenige Wochen vor der Flut als Verbotspartei gebrandmarkt hatten, weil sie lächerlich inadäquate Klimaschutzmaßnahmen wie Tempolimits, Flugverbote und höhere Spritpreise forderten. Noch wenige Tage vor dem »Starkregen« machte das CDU-Fossil Armin Laschet aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen gegenüber dem britischen »Guardian« klar, dass europäischer Klimaschutz auch künftig an den Interessen der deutschen Wirtschaft seine Grenzen finden würde, da die CO2-Reduktionsziele der EU nicht »auf Kosten einer Verminderung der Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie« umgesetzt werden dürften.

Die »Tagesschau« berichtete noch am Vormittag des 15. Juli auf ihrer Internetseite, dass Laschet sich als »Bremser« bei der Ausarbeitung des Mitte Juli von der EU-Kommission vorgestellten »Klimapakets« betätigt habe, indem er etwa den verbindlichen Abschied vom Verbrennungsmotor kritisierte. Nur wenige Stunden später hieß es an derselben Stelle, Laschet habe den Klimaschutz für sich entdeckt und wolle nun das »Thema beschleunigen«. Dass diese absurde Kehrtwende nicht ähnliche öffentliche Aufregung hervorrief wie Annalena Baerbocks zwar peinliche, aber irrelevante Lebenslaufmanipulation, liegt zuvorderst an den politischen Präferenzen des Medienbetriebs. Die »Wirtschaft« traut den Grünen nur die Rolle des Juniorpartners zu. Das hat inzwischen auch die »Taz« eingesehen, als sie Ende Juli schon mal auf Brautschau bei der CDU ging, die nach Ansicht des informellen Parteiorgans der Grünen plötzlich »beim Klimaschutz Ernst machen« werde. Laschet kann seine Kanzlerschaft eigentlich nur noch durch peinliche Auftritte vergeigen. Er arbeitet daran. Mitte Juli wurde er im Katastrophengebiet feixend während einer Rede Frank-Walter Steinmeiers (SPD) gefilmt. Er lachte mit dem CDU-Politiker Gregor Golland, der in NRW im Wirtschafts- und Umweltausschuss sitzt und im »Nebenjob« jährlich 90.000 Euro von einem RWE-Tochterunternehmen kassiert.

In der öffentlichen Debatte über die Flut in NRW ging es selten um Ursachenforschung, und bald schon wurde der Blick auf Nebenaspekte gelenkt. Schließlich darf nicht sein, was doch offensichtlich ist: Die Klimakrise, die in eine Katastrophe übergeht, wird von einem Gesellschaftssystem angetrieben, das aufgrund seines uferlosen Verwertungszwangs außerstande ist, dem Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre entgegenzuwirken. Von »FAZ« bis »Taz«, von »Spiegel Online« bis zum Querfrontorgan »Telepolis« ist man in einer Art Todestrieb vereint. An den Grundlagen der Wirtschaftsweise wird nicht gerüttelt, und wenn es das Ende des Planeten bedeutet.

Pünktlich mit dem Starkregen setzten auch schon die üblichen Warnungen vor der »Instrumentalisierung« der Überschwemmungskatastrophe ein. Der »Focus« meinte damit aber nicht etwa das Treiben von Nazis und Querdenkern in den Katastrophengebieten, sondern alle öffentlichen Versuche, das beispiellose Extremwetterereignis als Folge der sich zuspitzenden Klimakrise zu benennen. Die »Bildzeitung« fand gar Meteorologen, die den Unterschied zwischen Wetter und Klima betonten, um einen Zusammenhang mit dem Klimawandel zu leugnen.

In Reportagen aus den Überflutungsgebieten, die den Zusammenhalt vor Ort und die Solidarität mit den Betroffenen hervorhoben, wurden Zitate aufgenommen, die sich gegen »Klimadiskussionen« richteten. Das würde schließlich vor Ort niemandem helfen. Die Vertagung der Klimadebatte auf die Zeit nach der konkreten Krisenhilfe – als ob das eine das andere behindern würde – läuft aber faktisch auf deren Ausbleiben hinaus. Schon in wenigen Wochen wird eine neue Sau durch den Medienzirkus getrieben.

Beliebt war auch die verdinglichte Rede vom »Jahrhundertunwetter«, die Laschet und sein Innenminister Herbert Reul benutzten, um die Klimakrise und ihre Zuspitzung zu verharmlosen. Die vergangenen Dekaden waren geprägt von Jahrhundertdürren, Stürmen und Hitzeperioden mit alljährlich neuen Temperaturrekorden. Da die Unfähigkeit der kapitalistischen One World, die CO2-Konzentration in ihrer Atmosphäre zu reduzieren, nicht thematisiert werden darf, konzentrierte sich die Berichterstattung umso verbissener auf Forderungen nach einer verbindlichen Elementarversicherung für Hausbesitzer, wie sie etwa Autolobbyist Winfried Kretschmann (Die Grünen) ins Gespräch brachte, oder auf den mangelhaften Katastrophenschutz in der Bundesrepublik. Debatten über effektivere Warn-Apps wurden geführt oder über die Rückkehr der »guten alten Sirene«, die laut Angela Merkel – in deren Amtszeit europäische CO2-Richtlinien auf Weisung der deutschen Autoindustrie torpediert wurden – nützlicher sein könne, »als wir gedacht haben«. Man will die Sirene zurück, aber bloß keinen Alarmismus verbreiten.

Die deprimierende Krönung der deutschen Klimadebatte stellt die Ideologie vom ökologischen Kapitalismus dar, wie er gerade von den Grünen propagiert wird. Niemand, der noch einigermaßen bei Trost ist, wird einem wie Laschet seine Sprechblasen zum Klimaschutz abkaufen. Doch wenn etwa Cem Özdemir (Die Grünen) bei einer ZDF-Debatte nach der Flut von einer kommenden »ökologisch-sozialen Marktwirtschaft« spricht, in der »Wachstum, Wohlstand und Klimaschutz« gleichzeitig funktionieren würden, dann baut er Luftschlösser, in denen sich, trotz der bekannten Erfahrungen mit der »Energiewende« unter Rotgrün, große Teile der Mittelklasse gerne einrichten.

Daran schließt die fieberhafte Suche nach irgendwelchen warenförmigen Wunderwaffen wie Elektroautos, CO2-Speichern, neuartigen Batterien oder Antrieben an, die die Klimakatastrophe abwenden sollen. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner frohlockte schon, dass man »Klimaschutz zum Exportschlager machen« werde. Deutschland sei schließlich »das Land der Ingenieure und Techniker«. Schon bald, wenn eine Technologie zum Klimaschutz gefunden sei, könne die Bundesrepublik einen Beitrag für die ganze Welt leisten und auch andere Länder motivieren nachzuziehen. Irgendwas wird schon noch erfunden werden, damit endlich, befreit vom schlechten Gewissen, zum business as usual zurückgekehrt werden kann. Dass es gerade die gewöhnliche kapitalistische Geschäftstätigkeit ist, die unabhängig von ihrem konkreten Inhalt die Klimakrise befeuert, darauf kann einer wie Lindner beim besten Willen nicht kommen.

Was die öffentliche Verarbeitung des jüngsten Extremwetterereignisses auf deutschem Boden anging, gab indes die »FAZ« die Richtung vor. Das Blatt, aller grün-kapitalistischen Illusionen müde, deklarierte schlicht, man werde mit dem Klimawandel wohl oder übel leben müssen. Es sei wichtig, über Katastrophenschutz zu sprechen, über »Fragen der Kommunikation, der Art des Bauens und Zusammenlebens«. Zu »Wohlstandsverlusten« müsse das aber nicht führen, wenn künftig unter »Wohlstand die Kunst, gut zu (über)leben«, verstanden werde. Angela Merkel scheint sich diese Haltung bereits zu eigen gemacht zu haben. Während eines Besuchs im Katastrophengebiet erklärte sie, wir alle bräuchten nun einen »langen Atem«, um mit den Folgen der Flut fertigzuwerden. Man kann angesichts der Klimakrise nicht früh genug damit anfangen, das Luftanhalten zu üben.

Von Tomasz Konicz ist zuletzt das Buch Klimakiller Kapital (Mandelbaum) erschienen