VON konkret

Ab dieser Ausgabe wird Kay Sokolowsky in seiner Serie »Hofgespräche« (Seite 13) jeden Monat die Hampelmänner des Kapitals in Szene setzen.

Vor einem Jahr machte »einer der wichtigsten Denker unserer Zeit« (»Spiegel«), der italienische Philosoph Giorgio Agamben, mit einigen Stellungnahmen zu den Anti-Corona-Maßnahmen auf sich aufmerksam, in denen er zunächst behauptete, die »Epidemie« sei eine staatliche »Erfindung« zum Zwecke des Freiheitsentzugs, um dann die Gültigkeit der Pandemiebekämpfungsverordnungen mit der Gültigkeit der »Worte des Führers« und die ethische Begründung des social distancing mit der Moral Adolf Eichmanns zu vergleichen. Der Philosoph neigt zu so was. In seinem unnötig berühmt gewordenen Buch Ausnahmezustand nennt er den rechtlichen Status der Gefangenen in Guantánamo »allenfalls (vergleichbar) mit dem rechtlichen Status der Juden in den Nazi-Lagern, die mit der Staatsbürgerschaft jede rechtliche Identität verloren, aber wenigstens die jüdische noch behielten«. Eine Vorzugsbehandlung, gewissermaßen.

Agambens Statements gefielen den Berliner Organisatoren der »Hygiene-Demos« so gut, dass sie sie in ihrem Mobilisierungsblatt »Demokratischer Widerstand« (»DW«) nachdruckten und Agamben auf der Titelseite und im Impressum zum Mitherausgeber ausriefen. Darauf aufmerksam gemacht, dementierte Agamben und erklärte, er kenne diese Zeitung nicht, wolle aber auch kein Urteil über sie abgeben, weil ja schließlich jeder das Recht habe, seine Meinung usw. Das war im Frühjahr 2020 und änderte nichts. Bis heute firmiert er als Mitherausgeber der Corona-Leugner-Postille, die ihn ihren »Schutzpatron von Beginn an« nennt. Am 17. Oktober veröffentlichte sie auf Seite 1 ein Interview, das die beiden »DW«-Herausgeber Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp mit Agamben geführt hatten (oder vorgaben, geführt zu haben). Darin schimpft dieser das Corona-Regime den »totalitärsten Apparat, den die westliche Geschichte jemals hervorgebracht hat«, bezeichnet die WHO als »eine Organisation, die aktiv gegen die Freiheit der Menschen arbeitet«, und spricht von einer »Großen Transformation«, die »mit Hilfe von reinem gesundheitlichen Terror« gerade vollzogen wird und die Menschen dazu bringt, »umstandslos Einschränkungen ihrer Freiheit hinzunehmen« – ganz so wie bei der »Errichtung des Faschismus«, als sie »sich sofort anpassten … und so taten, als ob es normal wäre, den römischen Gruß zu machen oder ›Heil Hitler!‹ zu rufen, in der gleichen Weise, wie sie jetzt die Alltagsmasken tragen«.

Anfang März dieses Jahres wurde Agamben darüber informiert, dass er zum Werbeträger des völkischen Magazins »Compact« geworden war, das sein Sonderheft zur »Corona-Diktatur« mit dem Hinweis auf zwei Texte des »Großdenkers« (»Compact«) und den Nachdruck des »DW«-Interviews mit ihm anpreist. Agamben reagierte wie gehabt: Er habe diese Veröffentlichung seiner Texte nicht autorisiert, er kenne die Zeitschrift nicht, »and I am not responsible for what people does with my writing«. Was ist das: Gleichgültigkeit oder der Tod des Autors zu Lebzeiten?

In seinem neuen Buch (s. u.) schreibt Thomas Ebermann: »Linke Corona-Verharmloser, die keine inhaltlichen Schnittstellen mit der radikalen Rechten hätten, gibt es nicht.« War Agamben je ein Linker? Einen Antifaschisten wird man ihn jedenfalls nicht mehr nennen können.

Mein Ausgangspunkt bleibt, dass dem »Plan« des deutschen Staates ein notwendiges kapitalistisches Kalkül zugrunde liegt, nämlich das Ausbalancieren von akzeptierten Opfern und die Vermeidung einer »zu hohen«, das nötige Reservoir der Ware Arbeitskraft beeinträchtigenden Zahl von Infektionen – bei Erhalt der Loyalität gegenüber dem Staat sowie seinem regierenden und konstruktiv-oppositionellen Personal selbstverständlich.

Mit diesen Worten fasst Thomas Ebermann in seinem neuen Buch Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie (konkret texte 80) das Kalkül politischen Handelns in der Corona-Krise zusammen. Er wendet sich gegen einen Staat, der die Bewirtschaftung des Menschenmaterials organisiert und für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Betriebs Opferbereitschaft fordert; gegen die rechten und linken Verharmloser einer todbringenden Krankheit, gegen die Rücksichtslosigkeit und Brutalität der durch die Herrschaft geformten Subjekte; gegen die fortwährende Produktion falscher Bedürfnisse und gegen das große Heilsversprechen dieser Tage, dass wir, wenn wir uns alle nur richtig anstrengen, bald wieder zur »Normalität« zurückkehren können. Das Buch erscheint im Mai, Vorbestellungen nimmt der Verlag schon jetzt entgegen.

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Vor zwei Jahren hatte das Bühnenstück »Heimat. Eine Besichtigung des Grauens« von Thomas Ebermann und Thorsten Mense Premiere. Am 5. April um 19.30 Uhr präsentiert das Freiland Potsdam eine Online-Veranstaltung, die das Stück im Netz erlebbar macht – eingeleitet von Thomas Ebermann und Thorsten Mense. Der Link zur Veranstaltung wird einige Tage zuvor unter freiland-potsdam.de abrufbar sein. Ebermanns Buch Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung (konkret texte 75) ist über den Buchhandel und im konkret-Onlineshop (konkret-magazin.shop) erhältlich.

Im April feiert Thomas Ebermann seinen 70. Geburtstag. Verlag und Redaktion gratulieren einem guten Freund und einem Autor, der seit vielen Jahren konkret mit seinen zahlreichen Beiträgen nicht nur bereichert, sondern auch prägt.

Nach 30 Jahren als verantwortlicher Redakteur zieht sich Wolfgang Schneider aus der redaktionellen Alltagsarbeit zurück. Er wird künftig als »externer« Mitarbeiter für konkret tätig sein. Verantwortlich für den Heftinhalt ist ab der kommenden Ausgabe Friederike Gremliza.