Kleiner Hinweis

Hat Markus Söder die Landsleute zur Denunziation aufgerufen? Von Florian Sendtner

»Alle anderen Interpretationen sind falsch und unseriös.« Wenn ein CSU-Politiker mit einer solchen Beteuerung aufwartet, weiß man Bescheid: Die angeblich falschen und unseriösen Interpretationen sind richtig, werden aber aus taktischen Gründen empört zurückgewiesen. In diesem Fall war es Söders Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), der etwas richtigstellen musste. Da hatte sein Herr und Meister das Volk der Bayern auf den Lockdown eingeschworen, der Bayerische Rundfunk (BR) hatte am 30. Oktober auf seiner Internetseite über die ab 2. November geltenden Kontaktbeschränkungen in Privatwohnungen informiert, und dann hatte es geheißen: »Nachbarn könnten bei größeren Treffen ähnlich wie bei Ruhestörungen entsprechende Hinweise geben, so der bayerische Ministerpräsident.«

Ein Aufruf zur Denunziation? Ach wo! Nur ein kleiner Hinweis! Dennoch empörten sich die üblichen Verdächtigen, der böse Hashtag #söDDR machte sich über den Mann lustig, der nichts so verabscheuungswürdig findet wie die DDR und der gleichzeitig in jedem Bayern einen potentiellen IM sieht. Das Dementi war fällig. Söders Chefbüttel Herrmann versicherte, niemand habe die Absicht, eine Mauer – Pardon: die Bevölkerung zur gegenseitigen Bespitzelung anzuleiten: »Bayern setzt bei der Kontrolle von Verstößen gegen die Kontaktbeschränkungen in Privatwohnungen nicht im Geringsten auf Hinweise und Anzeigen von Nachbarn.« Nun kann sich jeder raussuchen, was er braucht.

Der BR baute das Dementi in den ursprünglichen Text ein, als habe dort nie etwas anderes gestanden. Und die »Süddeutsche Zeitung« dekretierte tapfer: »Es gibt keine Aufforderung der Staatsregierung, die Nachbarn zu denunzieren«, bezichtigte die Nachrichtenagentur Reuters und den »Spiegel« der böswilligen Falschinterpretation – und zitierte, wie um sich selbst zu widerlegen, aus Söders O-Ton: »Wie bei Ruhestörung zum Beispiel. Wenn Sie eine private Feier machen, unabhängig von der Personenzahl, und es findet eine Ruhestörung statt …, dann können die Nachbarn ja entsprechende Hinweise geben, und dann kommt die Polizei, und in der Regel wird die Polizei sagen: Bitte verhalten Sie sich anders.«

Zuerst freilich wird sie sich freundlich, aber bestimmt Zutritt zu der Wohnung verschaffen. Denn »in der Regel« bedarf es dazu zwar eines Durchsuchungsbefehls. Außer es ist Gefahr im Verzug. Wann aber ist das der Fall? Im juristischen Repertorium wird die Frage endlos diskutiert, in der Praxis, zumal in Bayern, auf dem Land, wird sie seit eh und je pragmatisch beantwortet: Ob Gefahr im Verzug ist, entscheiden die Nachbarn.

Florian Sendtner