Mehr Liebe

Cornelius W. M. Oettle fragt, wie die Rechten zu befrieden wären

Die Rechten sind überall. In Funk, Fernsehen, Polizei, Wirtschaft, Kultur, Politik und Internet. Alle wissen das. Bis auf die Rechten. Die können sich und ihre enorme Verbreitung nicht wahrnehmen, sind sie doch auf dem rechten Auge mit Blindheit geschlagen. Deshalb vernimmt man allerorten ihr Einsamkeitsgejaule. Wer je ein offenes Ohr für Rechte hatte, ist auf selbigem längst taubgeheult.

Aus diesem Dilemma ergibt sich eine kuriose Situation: Deutschland ist ein Land mit rechtskonservativer Regierung, gegen die rechtskonservative Bürger:innen sich im Widerstand wähnen, mit rechtskonservativen Medien, zu denen rechtskonservative Kabarettist:innen im Öffentlich-Rechtlichen sich als Gegenprogramm begreifen. Und allesamt fühlen sie sich voneinander nicht verstanden.

Die Beweisstücke sind bekannt: Dieter Nuhr beweint, dass man in Deutschland nicht frei sagen könne, was die »Bild«-Zeitung schreibt. Polizeigewerkschaften lamentieren über einen Generalverdacht, während der Innenminister (AfD CSU) jedwede kritische Studie verhindert. Und das Bürgertum von FDP über Werte-Union bis zu den Nationalnervensägen rebelliert gegen eine Regierung, die ihm nicht ähnlicher sein könnte. Selbst optisch: Horst Seehofer, Annegret Kramp-Karrenbauer, Andreas Scheuer und Julia Klöckner könnten als Models eines rechtskonservativen Lifestyle-Magazins arbeiten. Die Wand nach rechts haben Kunst, Medien und Politik längst eingerissen, aber sie laufen einfach immer weiter.

Wie sind sie zu befrieden? Man muss den Rechtskonservativen noch mehr Halt, Präsenz und Orientierung geben. Mehr Plattformen und mehr Liebe. (»Rechtskonservativ« bedeutet laut Duden übrigens: »einem Konservativismus anhängend, der nationalistische und antidemokratische Züge aufweist« – bebildern ließe sich der Eintrag also mit Olaf Scholz.) Guten Beispiels voran marschierte jüngst Pro7: Da wagte man sich ganz weit nach rechts und zeigte um 20.15 Uhr ohne Werbeunterbrechung eine Dokumentation über verschiedene Ausprägungen des Rechtsradikalismus. Ein 17jähriger Nazi erklärte, er wäre froh gewesen, in noch jüngeren Jahren einen Überblick wie diese Doku gehabt zu haben – das hätte es ihm leichter gemacht, von Anfang an bei der für seine individuellen Nazi-Bedürfnisse richtigen Nazi-Splittergruppe anzuheuern. Gut, dass nachfolgenden Generationen jetzt geholfen ist. Vielleicht sind wir dann wenigstens bald das Gejammer los.

Cornelius W. M. Oettle