Rassismus verweht?

Wozu eine Neuübersetzung von Margaret Mitchells Erfolgsroman Gone with the wind?

Von Tim Wolff

Rassismus ist ein motherfucker (amerikanische Redewendung), auch für die, die seine Privilegien genießen. Man kann sich noch so sehr mit besten Absichten gegen ihn sträuben, er erfasst einen trotzdem, lässt einen in eine der vielen Fallen tappen, die er stellt. Denn er ist vor allem eine mit dem Kapitalismus hervorragend kooperierende soziale Realität, gegen die man sich ständig neu stellen müsste.

Das ist wahrlich keine neue Erkenntnis, erst recht nicht in den USA, dem Land, das in seiner Verfassung und Verfasstheit ohne Blut- und Bodenschund auskommt – und trotzdem im Kern rassistisch ist. Schließlich haben es »slave owners who wanted to be free« (George Carlin) gegründet. Sklavenhalter, denen mit brutaler Kriegsgewalt die Freiheit, Menschen als Arbeitstiere zu halten, genommen werden musste – ein Trauma, das nur durch Differenzierung rassistischer Gewalt in Staats- wie Privatmilizen, alltäglicher Täter-Opfer-Umkehr und verkitschter Nostalgie, na ja: bewältigt werden konnte. Unter anderem mit Hilfe der Jim-Crow-Gesetze des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und von Romanen wie Margaret Mitchells Vom Winde verweht, mitten in der Hochzeit der Restauration und Segregation entstanden – und »eines der verkanntesten Bücher der Weltliteratur«.

Das meint zumindest Andreas Nohl im Nachwort zu seiner gemeinsam mit Liat Himmelheber verfassten Neuübersetzung mit dem um ein E bereinigten Titel Vom Wind verweht, was weniger »poetisch«, mehr »prosaisch« sein soll und dem damaligen »journalistisch geprägten, unsentimentalen Zeitgeist« entsprechender. Unsentimental – ein großes Wort für einen Stoff, den man als reich an Kitsch erinnert. Doch nach wenigen Seiten kann man Nohl zustimmen. Der Text ist klar, die Figuren, Rhett Butler noch mehr als Scarlett O’Hara, sind nicht unkomplex, und gewiss hat der Roman Emanzipatives. Es handelt sich durchaus um »einen Antikriegsroman aus weiblicher Perspektive und um einen Coming-of-Age- und Entwicklungsroman« (Nohl), der, mit dem Klappentext gesprochen, »moderner und ambivalenter ist als das durch die Verfilmung verklärte Bild«.

Aber das Wort Ambivalenz wird gern in Stellung gebracht, wo es allzu Eindeutiges zu verwischen gilt. Und diese »Ambivalenz«, dieses Quantum weniger Sexismus und die Skepsis gegenüber (einem verlorenen) Krieg, durfte eine Frau in den dreißiger Jahren in den US-Südstaaten eben nur bringen, weil der Roman im Kern genau das separate but equal abbildet, mit der die Segregationspolitik die white supremacy rettete. Nohl selbst reproduziert das mit einem hanebüchenen Argument gegen den »Vorwurf« des »inhärenten Rassismus« des Buches: Auch wenn Butler »sich des Mordes an einem befreiten Sklaven schuldig macht, so wird dies gleichzeitig konterkariert durch seinen Mord an einem ›weißen‹ Yankee«. Denn wer einen Weißen tötet, hat einen Schwarzen frei.

Fast jeder Versuch Nohls, den Text freizusprechen, beißt sich in den Hintern. Die Sachlichkeit, die das E bannte, soll auch den Rassismus tilgen: »Das neue Textverständnis wird … sichtbar in der möglichst strikten Vermeidung von sprachlichen Rassismen bzw. rassistisch anmutenden Beschreibungsstereotypen. Auch hier sollten wir … den Zeithorizont beachten, in dem Roman und Erstübersetzung entstanden sind … So gibt es in der Neuübersetzung keine ›Neger‹, ›Wulstlippen‹ oder ›rollenden Augen‹ mehr, sondern bestenfalls ›Schwarze‹, ›volle Lippen‹ und ›weit aufgerissene Augen‹.« Ja, klar! So wie Blackfacing bekanntlich auch nicht rassistisch ist, wenn Weiße sich nur unter Beachtung des Zeithorizonts und Vermeidung rassistisch anmutender (also nicht etwa wirklich rassistischer) Beschreibungsstereotype schwarz schminken.

Sachlich übersetzt kann man sogar »den afroamerikanischen Sklaven mit einer ›normalen‹ kommunikativen Intelligenz ausstatten, wie sie der Wirklichkeit entsprach«. Statt »Radebrechen mit Infinitiven«, wie in der Erstübersetzung von 1937, gibt es jetzt wie »im Original vor allem durch ein phonetisches Abschleifen von Silben und von bestimmten Vokalen und Konsonanten« gekennzeichnete Sätze. Die ungefähr so klingen wie der schwarze Pirat in Asterix: »Ne Menge Gentlemänner hätten vielleicht mich gekauft, aber sie hätten meine Prissy nich mitgekauft, nur damit ich nich traurig bin, und ich dank Ihnen dafür.« Schwupps, kein bisschen rassistisch mehr.

Aber wird der Rassismus nicht nur abgebildet? Muss er doch in einem Roman über das Ende der Sklaverei! Nohl bemerkt zumindest auch »den zusätzlichen Rassismus, der sich in der stumpfsinnigen ›deutschen‹ Redeweise der Schwarzen ausdrückt«. Doch der ist hier ja weggezaubert. Und der Inhalt gibt laut Nohl gar keinen her: »Am Ende des Romans … ist da immer noch Mammy: ›Plötzlich sehnte sie sich verzweifelt nach Mammy, so wie sie sich als kleines Mädchen nach ihr gesehnt hatte, nach dem breiten Busen, um den Kopf darauf zu legen, nach der schwieligen Hand auf ihrem Haar. Mammy, die letzte Verbindung zur alten Zeit.‹ Ganz ähnlich wie Dilsey in Faulkners Schall und Wahn ist die von der Sklaverei befreite schwarze Bedienstete am Ende die Statthalterin des Humanen.« Oder eben die »Verbindung zur alten Zeit«, in der Sklavinnen noch am richtigen Platz waren.

Ohnehin ist das mit der »Rassenfrage« (Nohl, unironisch) nicht so wichtig, weil eigentlich kann man nix dafür: »Margaret Mitchell wuchs als Kind in dieser für sie naturgegebenen Welt der Rassentrennung auf.« Die Arme! Und irgendwann nach der Niederschrift war sie eventuell sogar ein wenig geläutert: »Mitchell selbst begann offenbar, je älter sie wurde, immer mehr am Sinn der Segregation zu zweifeln, und finanzierte Stipendien für afroamerikanische Medizinstudenten.« Die Gute!

Warum das alles? Wozu Gone with the Wind neu übersetzen? Um genau das zu zeigen: Die »naturgegebene« rassistische Welt hat uns, die gutgewordenen Deutschen, die immer gegen Rassismus waren und afroamerikanische Medizinstudenten im TV fast so ehrfürchtig wie Clark Gable angucken, doch nicht zu Rassisten gemacht. Vom Wind verweht ist so der passende Roman zur Rettung des hiesigen Rassismus, nicht des vulgären der Nazis von AfD & Co., sondern desjenigen der braven Mehrheit, die mit der Kasernierung und Abschiebung hilfesuchender Nichtweißer keinerlei Probleme hat, solange nicht das N-Wort benutzt und der Zeithorizont beachtet wird, in dem man geworden ist, was man ist.

Margaret Mitchell: Vom Wind verweht. Aus dem Englischen von Andreas Nohl und Liat Himmelheber. Kunstmann, München 2020, 1.328 Seiten, 38 Euro

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