LK 34

literatur konkret Nr. 34

Heißer! Wilder! Schärfer! Das Neueste von der Sexfront

KONKRET? Gibt’s das noch? Früher hab ich das auch gelesen.« Das Früher der älteren Herren sind die Jahre, in denen KONKRET mit allerlei Onanierhilfen und Titelzeilen wie »Mögen Frauen Vergewaltigung?«, »Was Mädchen weich macht – Rezepte für Männer« oder »Machen Miniröcke dumm?« für Absatz gesorgt hatte. Der Lyriker Peter Rühmkorf war noch in seinen letzten Lebenstagen stolzer Theoretiker dieses vom ihm erfundenen Verkaufsrezepts, dessen Praktiker, sein Freund Klaus Rainer Röhl, bei der Auswahl der Titelbilder stets darauf bestand, daß der nackte Hintern der Abgebildeten am rechten Bildrand erschien, denn: »Man schlägt von rechts.« Geschäftsführender KONKRET-Redakteur jener Jahre war unter anderen ein gewisser Stefan Aust. Wenn Not am Mann war, ging der investigative Journalist auch gern selbst mit der Kamera auf Motivsuche für »heiße Reports« (»Liebe unter freiem Himmel – Wie frei sind Deutschlands Mädchen?«; 10/1967) oder reiste an den »Sonnenstrand von Bulgarien« (7/67): »Bäuchlings liege ich im heißen Sand. Ich bin braun wie ein Zeozon-Mann und nackt wie Adam vor dem Sündenfall.« (Eine Selbsttäuschung. Braun wie ein Zeozon-Mann wurde Aust erst bei der Abfassung seiner Wiedervereinigungsopern auf »Spiegel-TV« zwanzig Jahre später.)  

 
Auch Hermann L. Gremliza, der als Herausgeber ab 1974 auf die Erfindung der Herren Rühmkorf und Röhl verzichtete und damit eine Generation älterer Herren aus der Abonnentenkartei vertrieb, verschloß sich nicht immer der verkaufsfördernden Magie nackter Haut. Wenn es um die Verhinderung eines Atomkriegs durch KONKRET ging, trug er sogar seine eigene zu Markte – als Torso,auf den der Graphiker im Februar 1981 den Kopf des Verteidigungsministers Hans Apel setzte.  
 
Literatur Konkret 2009 will durch seine Illustration einen Beitrag zur Aufarbeitung der ferneren KONKRET-Vergangenheit leisten. Die in diesem Heft versammelten Beiträge zu Sex & Politics – zum Mythos Sex, zu Homosexualität und Gesellschaft, feministischen Strategien gegen den Männlichkeitswahn, Religion und Repression, Sexismus und Rassismus – dementieren die Botschaften, die einst die im Innenteil abgedruckten Titelbilder an den Mann (und nur ihn) gebracht hatten.  
 
Als Coverboys dieses Heftes wurden indes Mitarbeiter der Bremer Frauensenatorin mutwillig mißbraucht.

Inhalt

  • Die Schönheit des Vollmonds
    Von unterirdischen Liebhabern und anderen Botschaften aus der Finsternis. Eine Erzählung von Peter O. Chotjewitz
  • Oh, Mann!
    Mindestens drei gute Gründe, den Herrenverherrlichungsschriften aus Frauenhand zu mißtrauen. Von Katrin Hildebrand
  • "Gott will deinen Orgasmus"
    Gespräch mit der Historikerin Dagmar Herzog über die NS-Sexualpolitik, aufgebrachte '68er und die evangelikale Rechte in den USA
  • Brothers in Crime
    Sarah Diehl sichtet Neuerscheinungen zu Religion und Repression, Sex und Frömmigkeit
  • Das Leben, ein Kaffeeklatsch
    Wer hofft, über Homosexualität die Gesellschaft verstehen zu können, kommt bestenfalls zu der Erkenntnis, daß das nicht funktioniert. Von Ilse Bindseil
  • Mittelmaß und Wahn
    Tina Klopp über den Mythos von nützlichen Sexratgebern
  • Female Misbehaviour
    Interview mit der Regisseurin Monika Treut über feministische Filmkunst, taiwanesische Metrosexuelle und den Frauenbefreier de Sade
  • Nichts wie weg!
    T. C. Boyles Roman "Die Frauen" könnte Leserinnen von dem Wunsch kurieren, mit einem Mann zu leben, der sich für den größten Irgendwas der Welt hält. Von Layla Dawson
  • Das Kapital in uns
    Magnus Klaue knöpft sich das Gefühlssortiment der Sachbuchverlage vor
  • Im Neandertal
    Wie Rassismus, Sexismus und Klassengesellschaft zusammenhängen (außer an deutschen Unis). Von Bea Dorn
  • Rezensionen
    - Ina Bösecke über "Manneswehen" von Bruno Preisendörfer und "Trockenzonen" von Charles Roch
    - Michael Sailer über "Lüge. Die Erzählungen" von Viktor Hofmann
    - Christiane Ketteler über "Bonk. Alles über Sex - von der Wissenschaft erforscht" von Mary Roach und "Die Macht der Geschlechternormen" von Judith Butler
    - Christel Dormagen über "Der Kaiser sagt Ja und andere Glossen" von Luise F. Pusch
    - Iris Dankemeyer über "Zur Phänomenologie des arbeitenden Weibes" von Joseph von Westphalen
    - Werner Jung über "I love Dollars und andere Geschichten aus China" von Zhu Wen
    - Stefan Gärtner über "Peace" von Alexa Hennig v. Lange
    - Sonja Eismann über "Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts" von Mithu M. Sanyal und "Strangeland" von Tracey Emin
    - Tim Schomacker über "Nackig in Garden Hills" von Harry Crews
    - Marit Hofmann über "Der Mann schläft" von Sibylle Berg und "Schade um den schönen Sex" von Simon Borowiak
    - Kay Sokolowsky über "Seichtgebiete" von Michael Jürgs