LK 28

literatur konkret Nr. 28

Schreibtisch-Täter: Revanche für 1945. Wie die deutsche Literatur den Krieg gewinnt

Ein halbes Jahrhundert lang sahen die Deutschen sich verfemt und gaben sich zerknirscht: als Kriegstreiber und Kriegsverbrecher zweier Weltkriege. Im Krieg der USA gegen Saddam Hussein haben sie sich als echte Freunde des Friedens erwiesen, vom Minister bis hinab zum jüngsten Ministranten.  
»Wir Deutsche wissen, was Krieg bedeutet«, hieß es auf den Podien und Kanzeln zwischen Leipzig und Köln. Wer denn verbrannte im angloamerikanischen Feuersturm über Dresden, wer ertrank, torpediert von sowjetischen U-Booten, in der eisigen Ostsee, wer wurde von tschechischen Totschlägern aus seiner Heimat vertrieben, von russischen Horden vergewaltigt? Na? Gut, daß wir Dichter und Denker haben, die spät, aber nicht zu spät, der Wahrheit eine Gasse bahnen.  
LITERATUR KONKRET 2003 zieht eine Bilanz der literarischen Mühen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts ins Deutsche zu übersetzen. Die Flut der Neuerscheinungen zum Thema war kaum zu bewältigen. Hier eine Auswahl von durchaus repräsentativen Titeln, die den Rezensenten nicht auch noch zuzumuten waren: Wolfgang Bönitz: Feindliche Bomberverbände im Anflug. Zivilbevölkerung im Luftkrieg (Aufbau); Dietmar Arnold/Reiner Janick u.a.: Sirenen und gepackte Koffer. Bunkeralltag in Berlin (Ch. Links); Nina Grontzki/Gerd Niewerth (Hg.): Als die Steine Feuer fingen (Klartext); Uwe Bahnsen/Kerstin von Stühmer: Die Stadt, die sterben sollte. Hamburg im Bombenkrieg (Convent); Christoph Kucklick: Feuersturm. Der Bombenkrieg gegen Deutschland (Ellert & Richter); Als der Feuertod vom Himmel fiel (Wartberg); Joachim Paschen: Hurra, wir leben noch. Hamburg nach 1945; Guido Knopp: Die Gefangenen (Bertelsmann); Wilhelm Langthaler/Werner Pirker: Ami, go home. (Promedia); Geiko Müller-Fahrenholz: In göttlicher Mission. Warum George W. Bush die Welt erlösen will (Knaur); Rüdiger Göbel (Hg.): Bomben auf Bagdad – Nicht in unserem Namen! (Kai Homilius).  
Die Fotos im Innenteil stammen aus den Archiven des Deutschen Historischen Museums, Berlin, aus Hermann Claasens Bildband Das Ende (Rheinland Verlag) sowie aus dem Film »Soweit die Füße tragen«, den Georg Seeßlen in seinem Beitrag »Nichts in Sicht« (S. 8 ff.) als nationale Versöhnungslegende beschreibt und den auch heute noch Schulklassen zur Veranschaulichung des Geschichtsunterrichts vorgeführt bekommen. Daß das Gedenken an deutsche Kriegsopfer nicht bloß ein privates, sondern ein nationales Anliegen ist, zeigt das Titelbild: Gerhard Schröders Schreibtisch im Kanzleramt mit einem Foto seines Vaters in Wehrmachtsuniform.
Erscheinungsdatum: 26.9.2003, eingeheftet in KONKRET 10/03; beim Verlag auch einzeln erhältlich.

Inhalt

  • Opa, erzähl vom Krieg
    Wie Deutschlands Enkel ihrer Großeltern gedenken.
    Von Magnus Klaue
  • Nichts in Sicht
    Die subjektlose Kriegsgeschichte. Denkwürdige Revisionen in den Erzählungen und Bildern vom deutschen Krieg.
    Von Georg Seeßlen
  • Paradies auf Erden
    In literarischen Erinnerungen gibt sich die Kriegskindergeneration dem Vergnügen hin, alles, auch das Schäbige und Tabuisierte, haarklein zu erzählen.
    Von Christel Dormagen
  • Die Weltmacht zu Erlangen
    Ein deutscher Wegweiser: Gregor Schöllgens Buch "Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne".
    Von Hermann L. Gremliza
  • Gekränkte Unterhosen
    Deutsche Autoren wollen den Amerikanern die pazifistische europäische Tradition beibringen.
    Von Joachim Rohloff
  • Groß im Leiden
    Gedanken zur fortlaufenden Debatte um den Bombenkrieg.
    Von Kurt Pätzold
  • Schwert und Wiege
    Warum werden die "Lebensborn-Kinder" heute so wortreich betrauert?
    Von Magnus Klaue
  • "Lösung der Tschechenfrage"
    Die Sudetendeutschen wollen beweisen, daß sie auch bloß Opfer waren.
    Von Erich Später
  • Offene Rechnungen
    Neue Bücher zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern.
    Von Tjark Kunstreich
  • Exil im Exil
    Eine Lese neuer Veröffentlichungen aus der Emigration.
    Von Werner Jung
  • Onkel Adolf
    Das Obszöne an den Romanen des Schauspielers Michael Degen ist, daß der Nationalsozialismus und der Holocaust banalisiert werden
    Von Thomas Blum
  • Rezensionen
    10 Autorinnen und Autoren stellen 12 neue Bücher vor:
    - Frank Schäfer über Klaus Modicks "Der kretische Gast"
    - Jens Hoffmann über "Die fragile Grundlage" von Salomon Korn
    - Jan Süselbeck über "Die anwesende Abwesenheit" von Axel Dunker
    - Marit Hofmann über "Fundbüro" von Siegfried Lenz und Wladimir Kaminers "Mein deutsches Dschungelbuch"
    - Michel Raus über "Leben lernen. Erinnerungen" von Peter Härtling
    - Roland Buhles über Martha Kents "Eine Porzellanscherbe im Graben"
    - Klaus Thörner über " Erinnern, Verdrängen, Vergessen" von Michael Klundt/Samuel Salzborn u.a.
    - Hermann Kant über Robert A. Caros "The Years of Lyndon B. Johnson, Vol. 3"
    - Michael Rudolf über "Meine freie deutsche Jugend" von Claudia Rusch