LK 22

literatur konkret Nr. 22

Schreiben nach Auschwitz

Ein Etikettenschwindel wäre anzuzeigen: Die Herren Walser und Grass, die den Titel zieren, sind zwei der sehr wenigen gegenwärtigen deutschen Großschriftsteller, die in LITERATUR KONKRET 97 so gut wie gar nicht vorkommen. Es sei denn, man nähme das Bild der beiden, die in diesem Jahr ihren Siebzigsten feiern, symbolisch für zwei Sorten deutscher Nachkriegsschriftsteller: den sozial engagierten, eher linken, typisch für die Jahre bis 1989, und den zur Nation bekehrten, ziemlich rechten, danach. Als Symbol kommen sie dann freilich doch vor - in Hermann Kants Entwurf eines Grass-Walser-Denkmals.  
 
Zweimal wurde der Dichtkunst seit 1945 das Ende erklärt: 1951 von Adorno und 1968 vom »Kursbuch«. Was trotz dieser Absagen geschrieben wurde und ob es das wert war, darüber gibt LITERATUR KONKRET 97 einige Auskunft. Die hier zum Exempel aufgerufenen Dichter in der Reihenfolge ihres Auftretens: Arno Schmidt, Peter Weiss, Heiner Müller, Paul Celan, Bertolt Brecht, Gottfried Benn, Johannes R. Becher, Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Peter Rühmkorf, Heinz Erhardt, Hans Magnus Enzensberger, Heinrich Böll, Franz Fühmann, Wolfgang Neuss. Übereinstimmungen mit der Liste literarischer Favoriten der Redaktion sind rein zufällig. 

Inhalt

Dichten nach Auschwitz von Hermann L. Gremliza
Der Beitrag der deutschen Nachkriegsliteratur zur Wiedergutmachung der Nation
 
Gedicht mit war von Michael Scharang
 
140 Jahre Zweisamkeit von Hermann Kant
Gedanken zum Gedenken oder Mehrerlei Schwierigkeiten beim Entwurf eines Grass-Walser-Denkmals
 
Der Haide von Georg Seeßlen
Weder Orthographie noch Stil sind in der Dichtung Arno Schmidts das Radikale. Sondern die Verweigerung jeder Melodramatik
 
Opferkult und revolutionäres Subjekt von Gerhard Scheit
Arbeiterdichtung bei Peter Weiss und Heiner Müller
 
Celans Überwinder von Stefan Ripplinger
Durch Beckmesserei und blinde Vereinnahmung wird seit 45 Jahren versucht, Paul Celans Gedicht »Todesfuge« kleinzumachen
 
Falschmünzereien von Jan Knopf
Bertolt Brecht und die deutschen Intellektuellen: zur Geschichte eines Mißverhältnisses
 
Den Benn alleine lesen von Robert Gernhardt
Eine 50er-Jahre-Reminiszenz
 
Kind und Bad von Georg Fülberth
Über den Dichter und ersten Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher
 
School’s out forever von Jürgen Roth, Kay Sokolowsky
Die erfolgreichste Avantgarde der deutschen Nachkriegs-Literatur ist zugleich die folgenloseste. Denn so viele Apostel und Apologeten die Neue Frankfurter Schule gezeugt hat, so gründlich auch hat die Umarmung durchs bürgerliche Feuilleton ihr den anarchistischen Impuls ausgetrieben. Was bleibt, ist groß. Und Geschichte
 
Realismus mit Harfe von Frank Schäfer
Peter Rühmkorf bleibt auch im Spätwerk der gute Sozialdemokrat von einst
 
Der Kalauer als Surrogat der Befreiung von Peter Köhler
Der Ulk-Dichter Heinz Erhardt gehört zu Adenauer Wie die Freßwelle zum Wirtschaftswunder
 
Agent der Kassen von Jens Hoffmann
H. M. Enzensberger hat zu allem eine Meinung, diese öfters geändert, aber immer zum richtigen Zeitpunkt
 
Mein Club der toten Dichter von Peter O. Chotjewitz
Schon vergessen, als sie begraben wurden: ein Nachruf auf Autoren der Moderne, die einfach ignoriert worden sind
 
Tamerlan in Berlin von Peter Hacks
 
Der brave Soldat Böll von Willi Winkler
Wer war der gute Mann von Köln? Ein schlichter Katholik und schlechter Schreiber - oder, neben Arno Schmidt der einzige Realist der deutschen Nachkriegsliteratur?
 
Bericht eines Scheiterns von Rayk Wieland
Widersprüche und Wandlungen: Erinnerung an den Dichter und Essayisten Franz Fühmann
 
Vollrist von Horst Tomayer
Das komplette Werk von Wolfgang Neuss, mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlaß: mindestens so empfehlenswert Wie »Anna Karenina«