LK 19

literatur konkret Nr. 19

Der Einfluß der amerikanischen Kultur hat Westdeutschland vierzig Jahre lang davor bewahrt, im nationalistischen Sumpf zu versinken. Inzwischen klagt die deutsche Schriftstellerelite über Identitätsverlust und buhlt wieder um die Gunst des Vaterlandes. Weil er nichts zu sagen hat, konstruiert sich der deutsche Schriftsteller als Gewissen der Nation. Im Feuilleton, in der Talk-Show und demnächst im Bundestag ringt er mit den aufwühlenden Fragen, die er glaubt der Nation beantworten zu müssen. Statt für den Alexander- interessiert er sich für den Potsdamer Platz. Solange dies so bleibt - und es wird auf absehbare Zeit so bleiben -, gibt es keinen Grund, ihn im Zusammenhang mit Literatur zu verhandeln.  
 
Statt dessen haben wir uns in den USA umgetan und sind auf eine Literatur gestoßen, die sich nicht dem männlich-weiß-heterosexuellen Diskurs, dessen widerlichste Erscheinungsform die nationale Identität ist, unterwirft, sondern die darüber spricht, was es heißt, ausgegrenzt, rassifiziert, unsichtbar zu sein. In den Texten der Minderheiten geht es um den Widerstand gegen die politischen und sexuellen Normen des spätkapitalistischen Mainstream. Es geht darum, gegen die Hegemonie der Mittelschichtenkultur einen emanzipativen Diskurs zu behaupten, der mehr ist, als das Negativ der herrschenden Verhältnisse.  
 
Statt sich auf die Artikulationen der Deklassierten und Minorisierten einzulassen, reagieren Literatur und Feuilleton hierzulande verängstigt und verstört. In dem Wissen, daß sie jenen nichts als die Exegese der eigenen Wohlstandsneurosen entgegenzusetzen haben, suchen sie Zuflucht in der Affirmation ihrer kümmerlichen Existenz. Hedonistisch wollen sie sein und bringen doch nichts weiter zustande als die martialische Beschwörung bekannter deutscher Tugenden.  
 
So ergeht es der Literatur wie dem Fußball. Statt durch das hinzugewonnene Ostpotential auf Jahre unschlagbar zu sein, ist die deutsche Literatur kläglich gescheitert. Die besseren Sportarten kommen aus den USA und werden, wie etwa Basketball, von Minderheiten geprägt. Die bessere Literatur auch. Just read it.
 

Inhalt 

Für eine entartete Literatur von Bruce Benderson
Die kulturelle Hegemonie der Suburbs droht die amerikanische Literatur zu zerstören. Bruce Benderson sucht in der depravierten Welt der Inner Cities nach einem neuen literarischen Subjekt
 
Der Mitläufer als Märtyrer von Hermann L. Gremliza
Warum die schreibenden Lieblinge der Bürgerpresse sich so gerne als verfolgte Minderheit kostümieren und warum das dennoch berechtigte Notwehr ist
 
Negrophobia von Darius James
The chicken come home to roost. In James' Roman wird der blonde Teenager Bubbles Brazil von seinen rassistischen Vorurteilen heimgesucht (Auszug)
 
Sie sind tot, Jim! von Dietmar Dath
Der erfreulich beschädigte Zustand der Science Fiction kurz vor der Jahrtausendwende an zwei Beispielen