LK 14

literatur konkret Nr. 14

Während der Verband deutscher Schriftsteller Hamburg auf einer Podiumsdiskussion noch Antworten auf die Frage sucht, ob in der bundesrepublikanischen Literatur die »neue Müdigkeit« vorherrscht, h at der Branchendienst »Buchreport« die Antwort bereits parat. Er meldet die Kapitulation des Piper Verlegers vor der Erkenntnis, »daß der Abgrund zwischen dem geringen Interesse an einer Zeitschrift, die sich ganz der deutschsprachigen Literatur widmet, und dem Aufwand, der mit ihrer Herausgabe untrennbar verbunden ist, unüberbrückbar ist.« Mit anderen Worten: »Litfass«, die Literaturzeitschrift des Piper Verlages, wird eingestellt und teilt somit das Los zahlreicher »müde« gewordener Vorgängerinnen aus anderen Verlagen. 
 

Ist der ökonomische »Abgrund« für Verlage »unüberbrückbar«, lassen sich mit dem sexuellen blendende Geschäfte machen. Gleichgültig, ob als weibliche, als feministische oder als Anti-Pornographie - der Rowohlt Verlag hat bis Ende 1989 über hunderttausendmal Elfriede Jelineks »Lust« verkauft. Es scheint so, als hielten Lustgewinn und Triebverzicht literarische Umkehr. Anders ausgedrückt: der literarische Lustverzicht der Autorin paart sich mit dem Geschäftstrieb des Verlages. Mit beiden »Abgründen« beschäftigt sich LITERATUR KONKRET. Den ökonomischen widerlegt das Erscheinen des 14. Heftes, den sexuellen kritisiert diese Ausgabe. 
 
Karl Kraus-Preis 1989: Warum auf Fritz j. Raddatz (1986) und Günter Wallraff (1987) auch 1989 keiner folgt, begründet Hermann L. Gremliza. 
 

Inhalt

Lebenselixier auf dem Misthaufen von Michael Scharang
Sie hat der Menschheit die letzte Illusion geraubt: Liebe ist in dieser Gesellschaft zu Unterdrückung, Sentimentalität und Geschlechtsgymnastik verkommen. Ausschließlich davon zu sprechen und doch vom ganzen Leben zu handeln, hat vor Jelinek Literatur noch nicht gewagt.
 
Blaubarts letztes Privileg von Marlis Gerhardt
Was bei den weiblichen Versuchen passiert, die männlich besetzte Pornographie umzuschreiben und die Rollen zu vertauschen, analysiert Marlis Gerhardt 
 
Masochismus ist nichts anderes als politische Rebellion von Barbara Jung, Sabine Saßmann
Kathy Ackers neuer Roman »Empire of the Senseless« heißt bei uns »Im Reich ohne Sinne«. Mit der Autorin unterhielten sich Barbara Jung und Sabine Saßmann
 
Lustverzicht und Triebgewinn von Ingrid Klein
Weibliche Pornographie befindet sich voll im Trend, die Welt zu einem einzigen Schlüsselloch zu machen.
 
Dem Schönen selbst eignet ein Schrecken von Hartmut Böhme
Hubert Fichtes Poetik in seinem letzten Roman »Der Platz der Gehenkten« ist zuerst ein Reflex des Schreckens zu dem das Weiß der Seiten gehört. Gleichzeitig entwickelt sie eine Sprache der Erscheinungen.
 
C.M. Wieland, Kombabus von Jan Philipp Reemtsma
 
Mich sollst du drücken - nicht das Heroin von Katja Lange-Müller
 
Bullendämmerung oder: Kill them all von Gunter Blank
Die Lektüre US-amerikanischer Kriminalromane von Dasbiell Hammett bis Marcel Montecino hinterläßt nachhaltig den Eindruck, daß jede Gesellschaft die sexuellen Obsessionen hervorbringt, die sie verdient
 
Preisausrede von Hermann L. Gremliza
 
Ja, ja, wenn der Verlagsvertreter erzählt von Matthias Altenburg
Wir sind die Frontmen der Verlage, die Elite der Drücker, die Hansdampfs in allen Gassen. Wir sagen nie, was wir denken, und denken nie, was wir sagen.
 
Unser Päckchen nach drüben von Horst Tomayer
Aufgegeben von Horst Tomayer
 
Marken-Literatur von Harry Leckin
Der erste Schriftsteller, den die »Bild am Sonntag« für ihre Idee gewinnen konnte, Produktwerbung im Roman zu plazieren, ist Heinz G. Konsalik. Eine nützliche Idee, findet Harry Leckin
 
Wortgewalt und Gewaltverhältnisse von Angelika Mechtel
Die Inhaftierung der ägyptischen Autorin Nawal el Saadawi war dank öffentlicher Proteste von kurzer Dauer. Schlechter als ihr geht es mehr als dreihundert Autoren weltweit.
 
Perversion als Kunstwerk von Volkmar Sigusch
Baron des Kitsches, Pionier der plein-air-Photographie, Verkünder des ewig Ephebophilen - eine Auswahl aus dem Deutungskatalog über den Aktfotografen Wilhelm von Gloeden. Worin seine eigentliche Meisterschaft besteht, erklärt Volkmar Sigusch
 
Eine Bildschirm könnte ich nicht küssen von Ulli Langenbrinck, Boris Penth
Miguel Barnets »erzählende ethnologische Prosa« ist ein neues Kapitel innerhalb der lateinamerikanischen Literatur, das er nun abgeschlossen hat. Darüber und über seine künftigen Pläne sprachen mit dem Kubaner: Uli Langenbrinck und Boris Penth
 
Verfrühter Antifaschismus von Ruth-Esther Geiger
In den dreißiger und vierziger Jahren galt Lillian Hellman als die politisch-psychologische Dramatikerin der USA. Bei uns ist sie, wenn überhaupt nur als Lebensgefährtin von Dashiell Hammett bekannt.
 
Ein weißer Kakerlak von Gabriele Korn-Steinmetz
Jean Rhys war ihr Leben lang eine Grenzgängerin: zwischen Dominica und Paris, zwischen Realität und Fiktion, zwischen Normalität und Wahnsinn.
 
Verzaubert und entzaubert von Ilma Rakusa
Tatjana Tolstajas poetische Welt ist unverwechselbar und überragend. Die Enkelin Alexej Tolstojs läßt sich in kein Literaturschema einordnen. Sie steht abseits in ihrer eigenen Welt.
 
Was »Warmgemachtes« von damals von Gerd Fuchs
Michael Schneider und Rady Fish dokumentieren, daß der Krieg im Osten von Anfang an ein geplanter Genozid war, über den auch die Wehrmacht im Bilde war. 
 
Die Sehnsuchts-Metapher von Doris Gercke
Warum Irina Liebmann ihr Land, die DDR, verlassen konnte, obwohl sie es liebt, versteht man nach der Lektüre ihres ersten im Westen erschienenen Erzählbandes besser.
 
Summa: zwei Welten von Manfred Dworschak
Für die bessere Welt hält Ronald M. Schernikau die DDR. Seine Liebeserklärung analysiert Manfred Dworschak
 
Angebot und Nachfrage von Gabriele Kreis
In Helga Schütz' Gesellschafts- nicht Liebesroman kommt die alte Ost-Liebe mit ihren wärmenden Gedanken und Gesten nicht gegen die »Sündflut« pelzgefütterter Lederjacken an.
 
Drang oder Schemel? von Peter Körte
Warum schreiben? Die Antworten ergeben für den Verleger Neven Du Mont »eine Art 'innere' Landkarte der heutigen Literatur«. Ob wir die nötig haben, fragt Peter Körte
 
Lauern einer 3. Kraft von Waltraud Anna Mitgutsch
Selbst die Kinder sind in den Erzählungen der Neuseeländerin Keri Hulme Wesen voller Bosheit, Leidensfähigkeit und dämonischer Unberechenbarkeit.
 
Spiel mir das Lied vom Tod von Renate Hücking
Die Familiensaga von Maria Alice Barroso, im selben Jahr erschienen wie Márquez' »Hundert Jahre Einsamkeit«, wurde mit 22jähriger Verspätung ins Deutsche übersetzt.
 
Ein unüberwindlicher Kreis aus Schweigen von Maria Gazzetti
In einem verführerischen, melancholischen Ton beschreibt Rosetta Loy das Schicksal dreier Generationen einer piemontesischen Bauernfamilie aus dem 19. Jahrhundert.
 
Souveränes Coming-Out von Jan Feddersen
David Leavitt, ein junger US-Amerikaner, hat seinen ersten Roman geschrieben. jenseits aller modischen Strömungen behandelt er Homosexualität als Selbstverständlichkeit. Ein wunderschöner Schmöker findet Jan Feddersen
 
Der Sog des Lesens von Stefanie Holzer
William Gaddis zeigt in seinem dritten Roman einmal mehr, was US-Amerikaner hervorragend können: anhand einer 08-15-Handlung wird ein komplexes Weltgeschehen entfaltet, das den Leser zu Marathon-Lektüre treibt.
 
Sehr wenig ist über Frauen bekannt von Wolfgang Schömel
In ihren Essays über Frauen und Literatur hat Virginia Woolf die Zwiespältigkeit des männlichen Blicks mehr gespürt als analysiert.
 
Ich bin doch nicht James Joyce von Wiglaf Droste
Ein Monolog vor schlechten Bekannten. Gewidmet dem Ministerialbeamten, Zeitungskolumnen und Bücherschreiber Flann O'Brien.
 
Kunstvoller Sittenverfall von Inga Baum
Vorlage für Verfilmungen und Theaterinszenierungen war und ist der zweihundert Jahre alte Briefroman »Gefährliche Liebschaften« von Choderlos de Laclos. Die Lektüre dieses Meisterwerks empfiehlt Inga Baum
 
Er hängt an mir wie früher von Katharina Rutschky
Sigmund Freuds Briefe an Eduard Silberstein aus den Jahren 1871-1881 sind - neben dem Interesse am Verfasser - ein unschätzbares Dokument zur Charakterisierung von Jugendfreundschaften.
 
DD & Pop & Revolution von Carsten Klook
Durchschnittlich 12,5 Schallplatten pro Monat hat der konkurrenzlos dastehende Musikkritiker Diedrich Diederichsen besprochen. Zehn Jahre lang. Das Ergebnis würdigt Carsten Klook
 
Ernst Wilhelm Dürer von Burkhard Scherer
Den Tieren aufs Maul geschaut hat der Maler Ernst Kahl. Seiner anthropomorphen Interpretation folgt voll und ganz: Burkhard Scherer
 
Französische Revolution von Susanne Petersen
 
Stalinismus von Georg Fülberth