LK 12

literatur konkret Nr. 12

Frauen

FRAUEN als Programm in LITERATUR KONKRET 1987: entweder kommen wir damit zehn Jahre zu spät oder zu früh. Frauen & Literatur ist so out wie die Frauenbewegung selbst. Für die einen ist Frauenliteratur uninteressant geworden, weil sie sich höheren Dingen, zum Beispiel der Bedrohung des Globus, zugewandt haben, für andere ist Frauenliteratur der Stoff, aus dem die Journale sind, im Taschenbuchformat. Sowohl die Schreibprodukte der resignierten als auch die der eingebildeten Feministinnen haben ihren Markt. Jenseits dieser Tendenzen schreiben Frauen Literatur und über sie: Es werden Geschichten erzählt; es wird an einer Ästhetik gearbeitet, die weder männliches Abziehbild noch Damenbiedermeier sein will; man schreibt autobiographisch ohne Leidensbonus; man hat literarische Lieblinge, auch Männer übrigens; es werden Frechheiten geprobt. Das ist das Programm von LITERATUR KONKRET 1987. 

Inhalt

Editorial von Christel Dormagen, Ingrid Klein

They call her Elfie von Gabriele Riedle
Elfriede Jelineks Texte sind feministisch, aber nicht so gemeint. Sie stylt nicht nur sich, sondern auch ihre Texte. Sie ist obszön, weil sie immer recht hat
 
Gewaltstreich der Begierden von Gisela Elsner
Die klassischen Ehebrecherinnen der Weltliteratur könnte man für Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation halten. Tatsächlich waren sie meistens Opfer ihrer Sehnsüchte und der Moral.
 
Enthüllungen von Sarah Schumann
 
Haben wir nichts zu lachen? von Ingrid Klein
In einer 1500 Seiten Anthologie über literarische Hochkomik werden außer zweihundert Schriftstellern auch zwei Schriftstellerinnen zitiert. Das sind zwei zuviel findet: Ingrid Klein
 
Traurige und unverbesserliche Optimisten von Nella Bielski
Das russische Wort für Dissidenten ist »inakomisljatschie«, das heißt Andersdenkende. Die wichtigste Aufgabe von Schriftstellern war immer, anders zu denken
 
Weibliches als Verfahren von Marianne Schuller
Trotz aller Beschwörungen des Gegenteils ist in der feministischen Wissenschaft kein Bruch mit den herrschenden Diskursregeln feststellbar. Es handelt sich lediglich um eine terminologische Umbesetzung, entsprechend der theoretischen Konjunktur. Obgleich es sich mit den Texten von Eva Meyer anders verhält, setzt sich der akademische Feminismus nicht mit ihnen auseinander.
 
Einmal seufzt Kassandra, fünfmal der Pudding von Sabine Rosenbladt
Was kann Rowohlt dafür, daß Tiramisu, Madonna und Mütter gerade in sind, Emma, Abtreibung und Germanistikstudium out? 
 
Stadtläuferinnen, alle drei von Anna Rheinsberg
Krieg war ihr Marsch- und Schreibgefährte. Der reale und der Krieg des Herzens. Sie waren Wegbereiterinnen der literarischen weiblichen Moderne.
 
Karl Kraus-Preis 1987 von Hermann L. Gremliza
Preisrede
 
Emanzipation des Zwischenraums von Christel Dormagen
Wo bleiben unsere Literaturfrauen? Die Herbstprospekte der Verlage offenbaren: überwiegend wird geschwiegen. Die Autorin. unzufrieden mit diesem Ergebnis, ging dem Schweigen nach und erhielt verwirrende Auskunft: Es sei etwas im Gange, man wisse nichts Genaues, möchte nicht zu früh reden. Vielleicht könnte Frau Dr. X weiterhelfen. 
 
Das Geheimnis des ersten Satzes von Barbara Rosenberg
Alle sind mehr oder weniger durch Zufall Erfolgsschriftstellerinnen geworden. Geblieben sind sie es durch harte Arbeit und Disziplin.
 
Meine große Mutter Ogbueyin von Buchi Emecheta
Frage der Redaktion: Gibt es für Sie eine Lieblingsschriftstellerin oder einen -schriftsteller? Antwort:
 
Als ob Kafka eine Frau, Rimbaud eine Mutter gewesen wäre von Hélène Cixous
Clarice Lispector war eine feinfühlige Titanin, eine Wächterin der Welt. Sie wußte von nichts und deckte alles auf 
 
Mein Inneres ist nicht bekannt von Michaela Ott
Marguerite Duras spricht und schreibt über Einsamkeit Schmerz, Leid, Sinnlosigkeit, Verweigerung, Schweigen: Resignative Abkehr, begnadete Entrückung oder Prophetie?
 
Sie haben ihr das Sprechen nicht verziehen von Birgit Klarner
Seit 1901 wurde der Nobelpreis sechsmal an Frauen verliehen. Eine davon war - 1926- die Sardin Grazia Deledda. 
 
Die »andere« Moral ist nicht mein Thema von Elisabeth Lenk
Ein Lieblingsthema: Soll man für viele oder für wenige schreiben? Ich bin als Akademikerin an diesem Punkt gezwungenermaßen elitär. Besuch bei Christa Wolf
 
Die primitive Kunst der Zunge von Laurie Anderson
Warum Laurie Anderson William S. Burroughs und Computer liebt
 
Meine Bezaubernde, sei gegrüßt! von Helga Schubert
Die »Schuld« daran, daß er wegen zu vieler Besucher nicht arbeiten könne, gab Anton Tschechow seinen durchlässigen Türen.
 
Pannonische Inventuren von Ilma Rakusa
In Paris gilt Danilo Kis unter Kennern als Nummer Eins im mitteleuropäischen Trio der drei Ks. Bei uns kennt man ihn kaum. 
 
Ich bin hoffnungslos altmodisch von Patricia Highsmith
»Eine Autorin, von der ich ehrlich begeistert wäre, fällt mir nicht ein, auch wenn ich zum Beispiel die Engländerin Jane Austen und die Amerikanerin Willa Cather schätze und bewundere.«
 
Auch »mein« Proust ist zweigeteilt von Barbara Honigmann
Nach der Lektüre der »Suche nach der verlorenen Zeit« verspürt der Proust-Verehrer starke Entzugserscheinungen. 
 
Morgens McDonalds, abends M.A.S.H. von Caroline Fetscher
Bobbie Ann Masons Vietnam-Roman spielt im Provinzstaat Kentucky. Diese Bewältigungsarbeit, in den USA ein Bestseller, vermittelt eine Ahnung davon, wie illusionslos die nächste Generation den Mythos Amerika sieht. 
 
Männer und Frauen von Christel Ehlert-Weber
Eine englische Landadelsfamilie kompensiert ihre chronisch ereignisfreien Tage durch ganz, ganz viel Reden. Ivy Compton-Burnetts konstruierte Endlos-Dialoge sind wirklicher als die Wirklichkeit. 
 
Mehrere Männer bzw. Al Capone von Brigitte Kronauer
Ror Wolf wurde u.a. mit Beckett, Weiss, Kafka und Getrude Stein in Verbindung gebracht. Seine Texte sind makellos unakademisch, ohne versteckte Philosophie, ohne gelehrtes Augenzwinkern. 
 
Das gemeine Leben hat Bergverbot von Edelgard Abenstein
Elfriede Czurdas dritter Prosaband ist eine herbe Satire auf die Männerphantasien und ihre reale Entsprechung im faschistischen Typus. 
 
Die Welt ist tief von Annette Garbrecht
1984 erhielt sie den Aspekte-Literaturpreis für ihr erstes, kürzlich den Ricarda Huch-Preis für ihre beiden bisher im Westen erschienenen Bücher: Die gebürtige Deutsch-Rumänin Herta Müller gilt bei uns als Entdeckung. 
 
Japanische Regenschirme & das kleine Glück von Margarete Schubert
In den Erzählungen der populären sowjetischen Schriftstellerin Viktorija Tokarewa haben sich die »überflüssigen Menschen« emanzipiert. Zumal die Frauen. 
 
Die Wahrheit ist eine Überläuferin von Johanna Wieland
Das »Wunder des Verstehens« verlangt Marina Zwetajewa von ihren Lesern, was sie ihnen avantgardistisch und konservativ zugleich - nicht leicht macht. 
 
Auftauchen aus der Bescheidenheit von Beate Koch
Sabina Spielreins Leben war ein einziges Verschwinden: als Kranke hinter Klinikmauern, als Schulfall in der Psychiatrie, als Skandalfall zwischen Jung und Freud. Zu entdecken sind ihre theoretischen Arbeiten. 
 
Das beharrliche Schweigen von Eva Meyer
Marguerite Duras' neues Buch hat keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende. Es hat auch keine Geschichte. Sie gibt das ins Buch ab, was ihr nicht möglich zu leben gewesen wäre. 
 
Humanismus und Marxismus von Ann Kathrin Scheerer
Dai Houying, eine Politikerin der siebziger Jahre, hat einen kitschigen, opportunistischen Bestseller geschrieben, der in China leider nicht aus diesem Grund verboten worden ist..
 
Papierene Leidenschaften von Karin Reschke
Die Heldin der Erzählung von Yoko Tawada unternimmt eine Reise im fremden Land: zu Büchern im Leben und im Kopf. 
 
Die Lektüre wird zum Gespräch von Ingeborg Weber-Kellermann
Nicht nur ihre »Gemeinde«, auch Ingeborg Drewitz selbst hätte Gefallen gehabt an dieser klug und einfühlsam zusammengestellten Anthologie ihrer verstreuten Kurzgeschichten, Essays und Reden. 
 
Das gewöhnliche Leiden von Maria Neef-Uthoff
In ihrem neuen Roman hält Gabriele Wohmann ihre Zeitgeistkonserven fest am Gängelband und läßt sie nur das tun, was man von ihnen erwartet.
 
Here comes »Winston« Julie Burchill von Hannelore Heinrichs
Julie Burchill zur Weltpolitik: Warum hat die Sowjetunion England nicht überfallen, obgleich es nicht weiter entfernt von ihr liegt als Grenada von den USA? 
 
Alle sind miteinander verwandt oder? von Ingrid Strobl
Seltsame Geschichten erzählt Fabrizia Ramondino: über eine verfaulende Gesellschaft und verfaulende Menschen. Es sind Geschichten ohne jeden Ausweg. 
 
Ästhetik und Theorie von Marlies Janz
Sind wir weitergekommen mit den Fragen nach einer »weiblichen Ästhetik« und einer »weiblichen Schreibweise«? Einige Wissenschaftlerinnen sind ins feministische Biedermeier versunken, aber es gibt auch ermutigende Beispiele.